Töten ist einfach, nur leicht ist es nicht – Sprachgewaltige, anspruchsvolle und spannende Agenten-Action
NiemalsNach der dramatischen und actiongeladenen Jagd auf Holm, Jenny Aarons Todfeind, besucht sie ihren ehemaligen Chef Lissek und seine Frau Conny auf den Färöer-Inseln. Doch die Ruhe und Stille währt nicht ...
Nach der dramatischen und actiongeladenen Jagd auf Holm, Jenny Aarons Todfeind, besucht sie ihren ehemaligen Chef Lissek und seine Frau Conny auf den Färöer-Inseln. Doch die Ruhe und Stille währt nicht lange. Die Polizistin Jenny Aaron erhält eine mysteriöse Nachricht vom verstorbenen Holm und erbt von ihm ein gestohlenes Vermögen, dass der ursprüngliche Besitzer um jeden Preis zurückhaben will.
Nach nur kurzem Zögern entscheidet sich die blinde Agentin und Fallanalytikerin zur Abteilung zurückzukehren. Sie reist mit ihrem Partner Pavlik nach Marrakesch und stößt bald auf den gefährlichsten Mann der Welt, der ihr das liebste im Leben auf brutale Weise entrissen hat. Sie will ihn töten und ist dafür bereit alles zu opfern.
Der Autor:
Andreas Pflüger wurde 1957 in Thüringen geboren. Er wuchs im Saarland auf und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Zu seinen Werken gehören Theaterstücke, Drehbücher für Kino- und Fernsehfilme, Hörspiele und Romane. Niemals ist der zweite Band seiner Trilogie um die blinde Polizistin Jenny Aaron. (Quelle: Suhrkamp Verlag)
Reflektionen:
Niemals ist der zweite Teil der Reihe um die BKA-Agentin und Fallanalytikerin Jenny Aaron, die bei einem Einsatz ihr Augenlicht verloren und erblindet ist. Niemals kann als stand alone gelesen werden, doch ich empfehle zunächst Endgültig, den ersten Teil zu lesen, um vollumfänglich in die Geschichte eintauchen zu können.
Nur wenige Wochen nach der actiongeladenen Jagd auf Holm stürzt Jenny Aaron in ihr nächstes, gefährliches Abenteuer. Zurück in der geheimen Sonderabteilung des BKA, in der nicht jeder Kollege eine blinde Kollegin akzeptieren will, kämpft sie sich auf ihre Position zurück.
In diesem Teil spielt neben Jenny Aaron auch ihr Partner Pavlik im Vordergrund mit. Beide sind freundschaftlich tief verbunden und bedürfen stets nur weniger Worte. Ihr Zusammenspiel in der Story, ihre intensiven Charakterzeichnungen und die tiefen Einblicke in ihre Seelen, harmonisieren die actionreiche Handlung auf vielfältige Weise.
Inzwischen kann Jenny Aaron Hell und Dunkel wahrnehmen. Ihre Augen funktionieren, doch werden die Bilder, die die Augen sehen, nicht bis ins Bewusstsein befördert, da die Kugel in ihrem Kopf einst die Hirnrinde zerstört hat. Halluzinationen plagen und verunsichern Jenny Aaron und doch sind sie ein Zeichen dafür, dass ihr Gehirn in Erinnerungen nach Bildern sucht und sich reparieren will. Eine Chance? Ja, aber nur, wenn sie in diesem Zusammenhang eine medizinisch kontraproduktive Adrenalinausschüttung vermeidet.
Nachdem sie aber Holms rätselhafte Nachricht erhalten hat, geht sie trotz ihres inneren Konflikts das gefährliche und persönliche Risiko ein, um den gefährlichsten Mann der Welt zu jagen und zu töten.
„Zwei Signaltöne; Flemming will die Tür schließen.
„Warte“, murmelt sie.
Kein Geräusch. Aber ein Geruch, sehr fein.
Frisches Waffenöl.
Rechts ahnt Aaron eine Bewegung unter der Treppe. Sie gibt Luca einen Stoß, schreit: „Lauf!“ und hechtet auf den Schatten zu, ohne sich zu fragen, wie schnell sie in dem Zustand noch ist. Sie reißt den Mann zu Boden und dreht sich im Fallen. Schüsse blaffen. Als ihr Gegner aufprallt, hat sie bereits die Glock in der Hand. Aaron feuert in den Schrei des Mannes hinein. Um sie ist ein einziger Wirbel von Schüssen. Sie riecht Blut.“ (Zitat)
Andreas Pflüger ist es in Niemals erneut meisterhaft gelungen Jenny Aaron, als eine blinde Agentin authentisch agieren zu lassen. Wenn man als Leser auch leichtfertig dazu tendiert, dass Jenny Aaron eine Super-Women mit besonderen Fähigkeiten ausgestattete Figur ist, so darf man doch sicher sein, dass Andreas Pflüger seiner Figur nur die Fähigkeiten zur Verfügung gestellt hat, die einzelnen blinden Menschen tatsächlich möglich sind. Jahrelange und fundierte Recherchen erlauben es ihm, seine Figur so glaubhaft und atemberaubend zu zeichnen.
Wer je eine Lesung von Andreas Pflügers besucht hat kann nachvollziehen, wie viel Zeit und Engagement er für Recherchen investiert. Gern erzählt Andreas Pflüger dann von Kerstin Müller-Klein, die vor zwölf Jahren plötzlich erblindet ist und die ihm immer wieder für seine Recherchen zur Verfügung steht. Wer einen kleinen Einblick in Kerstins Leben bekommen möchte, der ist auf dem Lichtscherben Blog, den ich für sie führe, und der längst zu meinem persönlichen Herz-Projekt geworden ist, jederzeit herzlich willkommen.
Bei einer blinden Protagonistin entfällt die perspektivische, visuelle Sicht der Figur, so dass man zunächst nicht erwarten darf, aus Sicht der Figur durch die Geschichte zu wandeln. Aber Andreas Pflüger gelingt es, nur durch die glaubhaft dargestellten Empfindungen und Wahrnehmungen der blinden Jenny Aaron und ihrer ausgeprägten Sinne wie Tasten, Fühlen, Schmecken, Riechen und Hören, ein turbulentes und actionreiches Kopfkino zu entfachen. Und es scheint Pflüger ein Leichtes zu sein, die Spannungskurve auf einem zuverlässig hohen Niveau agieren zu lassen und die angenehm komplexe Story mit maßvoller Dramaturgie und Actionszenen anzureichern.
Andreas Pflüger versteht es Tempo reinzulegen und Tempo zu drosseln, so dass man angehalten ist,
die Seiten zu durchfliegen. Aber Stop! Diesen Thriller darf man nicht durchfliegen, auch wenn es ein Pageturner ist. Ich habe schon lange kein Buch mehr so bewusst langsam gelesen, da ich wusste, dass es erneut literarisch auf höchstem Niveau geschrieben sein würde und schwups, befand ich mich erneut auf der literarischen Wolke 7, bereit zum stillen genießen.
In ausdrucksstarker, besonderer Sprache und in einem dynamischen Stil geschrieben, scheint ein jeder Satz von Andreas Pflüger literarisch mit einem Brillantschliff versehen zu sein. Zu Hauf liest man von wunderbar formulierten Metaphern inklusive sinniger Tiefe und man spürt, wie sehr Pflüger mit Leidenschaft Sprachgewalt kreiert.
Das ist Kunst.
Fazit und Bewertung:
Niemals ist erneut ein literarisches Feuerwerk unter den Thrillern des Jahres. Sprachgewaltig und voller Leidenschaft erzählt, kreiert Andreas Pflüger erneut eine actionreiche, komplexe und anspruchsvolle Agenten-Story. Äußerst intensive Charakterzeichnungen und eine glaubhaft agierende blinde Protagonistin überzeugen restlos.
Literarisch ist dieses Buch einfach nur Kunst und ein Highlight 2017.
©nisnis-buecherliebe