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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.01.2018

Zutreffendes Zitat auf dem Buchrücken: "Einer der besten Thriller des Jahres (2017)

Wenn das Eis bricht
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Dieser Psychothriller sollte durch seinen Umfang – mehr als 600 Seiten – keinesfalls vom Lesen abschrecken. Er liest sich letztlich recht einfach und schnell und allzu viel passiert auch nicht. Die Handlung ...

Dieser Psychothriller sollte durch seinen Umfang – mehr als 600 Seiten – keinesfalls vom Lesen abschrecken. Er liest sich letztlich recht einfach und schnell und allzu viel passiert auch nicht. Die Handlung lässt sich kurz wie folgt zusammenfassen: Im Haus des reichen Geschäftsmannes Jesper wird die brutal zugerichtete Leiche einer jungen Frau gefunden. Er selbst ist verschwunden. Zehn Jahre zuvor gab es einen ungelösten Mordfall mit Parallelen. Die Ermittlungen werden u.a. von dem unter privater Beziehungsunfähigkeit leidenden Peter unter Mithilfe der an beginnender Alzheimer erkrankten Kriminalpsychologin Hanne, die einmal ein Verhältnis hatten, geführt. In den Blickpunkt gerät irgendwann die aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammende junge Verkäuferin Emma, die eine heimliche Liebesbeziehung zu Jesper hatte. Alles wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Peter, Hanne und Emma erzählt, so dass der Leser die Sicht von drei Personen erhält und sich die Puzzlestücke nach und nach zusammenfügen. Jeder Erzähler blendet zudem noch auf Ereignisse in der eigenen Vergangenheit zurück, die einem eine besondere Sicht auf sie vermitteln. Erinnerungen und Gedanken machen einen großen Teil der Geschichte aus. Sie ist sehr spannend, und lange Zeit ist der Leser unschlüssig, was passiert ist.
Ein raffinierter schwedischer Psychothriller, den das Skanska Dagbladet zu Recht als „einen der besten des Jahres“ bezeichnet.

Veröffentlicht am 03.01.2018

Die Tragik einer italienisch-deutschen Liebe

Bella Germania
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In einer Zeit der zunehmenden Migration nach Deutschland hat der bislang als Drehbuchautor bekannte Daniel Speck („Maria, ihm schmeckt’s nicht“) einen äußerlich (618 Seiten) und inhaltlich beeindruckenden ...

In einer Zeit der zunehmenden Migration nach Deutschland hat der bislang als Drehbuchautor bekannte Daniel Speck („Maria, ihm schmeckt’s nicht“) einen äußerlich (618 Seiten) und inhaltlich beeindruckenden ersten Roman verfasst. Selbst tunesische, griechische und schlesische Wurzeln aufweisend, war der Autor geradezu prädestiniert für diese italienisch-deutsche Familiensaga, in der es neben Liebe auch um die Geschichte der Italiener in München geht, die sich die „nördlichste Stadt Italiens“ nennt.
Bei Julia, einer Münchner Modedesignerin, 36 Jahre alt, vaterlos aufgewachsen, sehnlichst auf ihren Durchbruch hoffend, wird ein alter Mann als ihr vermeintlicher Großvater vorstellig - Anlass für sie, ihre Familiengeschichte aufzudecken: Ihr Großvater Vincent reist 1954 als Ingenieur für BMW nach Mailand, um einen Lizenzvertrag mit Isetta zu schließen. Er verliebt sich in die von einer kleinen Insel vor Sizilien stammende Giulietta und schwängert sie. Statt ihm nach München zu folgen, heiratet sie einen Mann aus ihrem Dorf, der ihrer Familie einst eine große Hilfe gewesen ist. Das Kind – später Julias Vater - schiebt sie ihm als sein eigenes unter. Ihr Bruder begibt sich aufgrund des deutschen Anwerbeabkommens als einer der ersten Gastarbeiter nach München. Dreizehn Jahre später flüchtet sich auch Giulietta mit ihrem Sohn dorthin und trifft wieder auf Vincent. Das und die spätere Ankunft ihres Ehemannes setzen eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang …
Der Roman ist einfach großartig. Es werden so viele interessante Themen eingeflochten – die Geschichte der italienischen Gastarbeiter, die den armen Verhältnissen ihrer Heimat entfliehen und es in Deutschland unbedingt schaffen wollen, die Geschichte der italienischen Automobilindustrie mit ihrer berühmten Isetta und der Iso Rivolta GT; das deutsche Wirtschaftswunder; der RAF-Terrorismus. Alles zeugt von einer gründlichen Recherche. Der Wechsel zwischen Dialogen und bildhaften, wenn nicht sogar filmreifen Szenen machen das Lesen spannend. In anhaltender Erinnerung bleiben solche Szenen wie das berühmte Autorennen Targa Florio in Sizilien, die Verfolgungsjagd von Julias Vater im Iso Rivolta GT mit der Polizei, die Ankunft der Gastarbeiter 1955 auf Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs. Und natürlich berührt die tragische Liebesgeschichte zwischen Giulietta und Vincent.
Dieses Buch muss man einfach lesen.

Veröffentlicht am 27.12.2017

Ein formal sehr origineller, gesellschaftskritischer Roman

Als der Teufel aus dem Badezimmer kam
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Mit dem Verlust ihrer Festanstellung bei einer Zeitung hat der soziale Abstieg der Journalistin Sophie aus Lyon begonnen. Jetzt ist sie am Tiefpunkt angelangt – bezieht Sozialleistungen, hat nur noch 17,30 ...

Mit dem Verlust ihrer Festanstellung bei einer Zeitung hat der soziale Abstieg der Journalistin Sophie aus Lyon begonnen. Jetzt ist sie am Tiefpunkt angelangt – bezieht Sozialleistungen, hat nur noch 17,30 € auf dem Konto und weiß 10 Tage vor Monatsende nicht mehr, wovon sie Lebensmittel einkaufen soll. Das Allerschlimmste aber ist, nicht mehr gebraucht zu werden. Ihre ganze Misere verarbeitet Sophie zu einem Roman, dem vorliegenden.
Das Buch ist aufgrund seiner gehörigen Portion Gesellschaftskritik an dem Phänomen der Langzeitarbeitslosigkeit in einer Wohlstandsgesellschaft interessant zu lesen. Der Sprachwitz, mit dem das Ganze dargeboten wird, darf nicht über die so negative Folge hinwegtäuschen, dass, wer kein Geld hat, praktisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen ist. In formeller Hinsicht ist das Buch einfach nur originell. Die Autorin spielt graphisch mit Buchstaben, lässt etwa einige aus dem vorgegebenen Rahmen fallen, streut Ikons ein, fügt ein Kindermärchen oder erotische Passagen ein, streut Vorwürfe ihrer Mutter ein, eingeführt mit verballhornten Verben wie z.B. „seufzeterte meine Mutter“, häuft auf einer Seite Adjektive oder Metaphern an, macht seitenweise Aufzählungen wie z.B. über Konzerte, die sich Sophie nicht leisten kann oder über Männer, die sie nicht will.
Wer wie ich an besonderen Büchern seine Freude hat, sollte sich das vorliegende nicht entgehen lassen.

Veröffentlicht am 15.12.2017

Über einen amerikanischen Traum

Rocket Boys. Roman einer Jugend.
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Eine Autobiografie, die jeden, ob jung oder alt, männlich oder weiblich, physikbegeistert oder nicht, faszinieren wird und, um es mit Elke Heidenreichs Worten auf dem Cover zu sagen, die Lesefreude in ...

Eine Autobiografie, die jeden, ob jung oder alt, männlich oder weiblich, physikbegeistert oder nicht, faszinieren wird und, um es mit Elke Heidenreichs Worten auf dem Cover zu sagen, die Lesefreude in den Himmel schießt.
Der Autor und Ich-Erzähler Homer (genannt Sonny) wächst in der Bergarbeiterstadt Coal Wood/West Virginia auf. Sein Vater ist Zechenleiter und Bergmann durch und durch, seine Mutter hasst den Bergbau. Sonny ist 14 Jahre alt, als die Russen 1957 den ersten Weltraumsatelliten Sputnik über die Stadt fliegen lassen, was sein ganzes künftiges Leben bestimmen wird. Orientiert an dem ihm zum Vorbild werdenden Raketeningenieur Wernher von Braun setzt Sonny seinen ganzen Ehrgeiz ein, um in Theorie und Praxis zu lernen, wie er und einige Freunde, die einen Raketenclub gründen, eine Rakete bauen können. Während seine Mutter ihn anspornt, damit er seinem Vater, der auch die Zukunft seines Sohnes auf der Zeche sieht, beweist, dass er jenseits des Bergbaus etwas kann, hat sein Vater kein Interesse oder gar Lob für ihn übrig. Während die erste selbst gebaute Rakete noch den Gartenzaun der Familie Hickam in die Luft sprengt, perfektionieren die Jungs nach und nach ihre Raketen, bis ihre 31. nach drei Jahren schließlich einige tausend Meter hoch fliegt.
Die Geschichte gibt einige Jugendjahre des Autors wider. Es ist aber nicht nur seine Geschichte, und es geht auch nicht nur um Raketen. Es geht um mannigfaltige Beziehungen – die zu Freunden, zu Lehrern, zu Brüdern, Eltern, Nachbarn. Auch die vom Niedergang betroffene Bergarbeiterstadt nimmt eine wichtige Rolle ein. So viel Interessantes über den amerikanischen Steinkohleabbau ist zu erfahren. Die Romanfiguren sind recht vielschichtig – die ehrgeizigen Raketenjungen, harte Footballspieler, Familien mit Problemen, profitorientierte Bergwerksgesellschafter, ganz gewöhnliche Bürger. Über Sonnys Raketenbau finden sie zusammen. Beeindruckt hat mich am meisten, wie sich die Jungs zu einer Zeit, als „googeln“ noch nicht möglich war, alles notwendige technische Wissen selbst beigebracht und sie es mit einfachen Mitteln in die Tat umgesetzt haben. Der Epilog gibt einen kurzen, schönen Ausblick auf Homers weitere Lebensjahrzehnte. Mein Fazit des Buches ist, dass sich für Jugendliche mit Ehrgeiz, harter Arbeit und Träumen ein Leben jenseits der an sich für sie vorgesehenen Pfade verwirklichen lässt.

Veröffentlicht am 26.11.2017

Über den Zweiten Weltkrieg und Konzentrationslager in Polen

Karolinas Töchter
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Verliert die Holocaust-Überlebende Lena ein zweites Mal ihre Freiheit? Wenn es nach ihrem Sohn geht, ja. Denn er will seine Mutter entmündigen und in einem Heim unterbringen lassen, nachdem sie sich von ...

Verliert die Holocaust-Überlebende Lena ein zweites Mal ihre Freiheit? Wenn es nach ihrem Sohn geht, ja. Denn er will seine Mutter entmündigen und in einem Heim unterbringen lassen, nachdem sie sich von Chicago aus 70 Jahre nach Ende des Holocausts mit Hilfe einer Rechtsanwältin und eines Privatermittlers auf die Suche nach zwei Babys macht, die sie 1943 in Polen auf dem Weg in ein Konzentrationslager aus dem fahrenden Zug geworfen hat, um sie vor dem sicheren Tod zu retten. Es gibt Anzeichen, dass Lena diesbezüglich unter Wahnvorstellungen leidet. Während in einem Handlungsstrang Lena ihrer an sie glaubenden Rechtsanwältin in aufeinanderfolgenden Gesprächssitzungen ihre Lebens- und Leidensgeschichte als Jüdin in Polen unter den Nazis erzählt und der Privatermittler Beweise aufspürt, die ihre Version stützen, liegt in einem zweiten Handlungsstrang der Fokus auf dem gerichtlichen Verfahren der Entmündigung Lenas.
Wer historische, im Dritten Reich angesiedelte Romane mag, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Gut recherchiert und sehr realistisch stellt der Autor die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Polen, in der Stadt Chrzanów und in den Konzentrationslagern Groß-Rosen und Auschwitz dar, und zwar anhand der fiktiven Protagonistin Jüdin Lena. Ergebnis ist eine sehr berührende Lebensgeschichte einer den Holocaust Überlebenden, die alle Schrecken der damaligen Zeit durchlebt hat. Zu Recht stellt sich Lena wiederholt die Frage, wie Gott so etwas zulassen konnte. Die Geschichte geht so zu Herzen, dass ich das Buch entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten nur mit längeren Pausen lesen konnte. Erbauend war dabei zu lesen, wie viel Hilfe bei ihrem Überlebenskampf Lena von Dritten zu Teil wurde. Das Buch ist ein guter Beitrag, um die Erinnerung an das furchtbarste Kapitel deutscher Geschichte wachzuhalten. Interessant ist auch der juristische Nebenschauplatz, dem anzumerken ist, dass der Autor von Haus aus Rechtsanwalt ist. Gelungen ist der Einbau einer Überraschung betreffend die im Buchtitel erwähnten Töchter.
Von mir erhält das Buch eine absolute Leseempfehlung.