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Veröffentlicht am 04.01.2018

Tod von oben

Tod von oben
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Die Meisten von euch wissen, dass ich gerne Literatur zum Thema Weltkrieg lese. Der Autor Jürgen Ehlers berichtet in seinem Buch "Tod von Oben" über Doppelagenten und Spionage in den Niederlanden. Als ...

Die Meisten von euch wissen, dass ich gerne Literatur zum Thema Weltkrieg lese. Der Autor Jürgen Ehlers berichtet in seinem Buch "Tod von Oben" über Doppelagenten und Spionage in den Niederlanden. Als Zeitraum behandelt er allerdings nur die Zeitspanne von Juli 1941 bis Ende 1942. Dieser deckt sich mit den historischen Ereignissen und berichtet auch über reale Personen dieser Zeit, doch der Rest ist eine fiktive Geschichte.

Der deutsche Student Gerhard Prange, der in England studierte, als der Krieg ausbrach, landet eines Nachts gemeinsam mit den Niederländer Aaart Alblas mit den Fallschirm in der Nähe von Den Haag. Beide sollen für die Engländer in den Niederlanden spionieren. Gerhard wird allerdings direkt bei seiner Landung festgenommen. Sein Nennonkel Arthur Seyß-Inquart, der Reichskommissar der Niederlande, bietet ihm die Möglichkeit für Deutschland zu spionieren oder durch eine Kugel in den Kopf zu sterben. Natürlich nimmt er das Angebot an und arbeitet ab diesem Zeitpunkt als Doppelagent. Bald darauf lernt er Sofieke kennen, bei der er Unterschlupf findet, nichtsahnend, dass sich die junge Frau ebenfalls versteckt. Sie hat ihre Familie verlassen und den Kontakt komplett abgebrochen. Sofieke ist Jüdin, gibt sich aber als Niederländerin aus und hat Kontakte zum Widerstand. Zwischen den Beiden entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte.

Anfangs hatte ich kleine Probleme die vielen Personen auseinanderzuhalten und richtig zuzuordnen. Ein Personenverzeichnis gleich zu Beginn des Buches hat mir dies etwas erleichtert. Gerhard bleibt lange Zeit undurchschaubar. Erst mit der steigenden Anzahl der Seiten, erkennt man, auf welcher Seite er wirklich steht. Kopfschütteln musste ich über die unglaubliche Situation der Spione. Die sehr jungen Burschen erhielten kaum eine Ausbildung und wurden einfach ins kalte Wasser gestoßen, ohne Rücksicht auf Verluste. Dabei hatten sie noch schlecht gefälschte Ausweise und altes niederländisches Geld dabei - unglaublich! Gerhard und seine Kollegen sind völlig auf sich gestellt. Die Untergrundbewegung in den Niederlanden war in den Jahren 1941 und 1942 nicht sehr ausgeprägt. Die Bevökerung steht der Besatzung zu diesem Zeitpunkt noch eher gleichgültig gegenüber und der Widerstand ist noch zu klein und unbedeutend. Die meisten Menschen hoffen auf ein baldiges Ende des Krieges und dass alles bald wieder so wird, wie es war. Sie stecken den Kopf in den Sand. Als Gerhard Gerüchte über die geplante Massenvernichtung der Juden hört, spricht er Seys-Inquart darauf an....

Für zusätzliche Komplikationen sorgen die Spannungen zwischen der SS und der Wehrmacht, die sich gegenseitig ausbooten wollen. Der Schreibstil bleibt kühl und sachlich. Die Liebesgeschichte, die der Autor eingebaut hat, blieb mir viel zu emotionslos. Leider kamen bei mir überhaupt keine Gefühlsregungen auf. Anders war es allerdings bei Gerhards gefährlichen Aktionen. Vorallem als Funker kommt er immer wieder in brenzlige Situationen. Den Kontakt zu den Engländern hält er aufrecht. Diese schicken immer mehr Munition und weitere Spione, die allerdings sofort festgenommen werden. Seine chiffrierten Funksprüche werden nicht beachtet und als Leser fragt man sich, was sowohl die Deutschen, als auch die Engländer eigentlich vorhaben. Irgend etwas läuft hier einfach schief....

Das Ende bleibt offen. Obwohl ich offene Enden überhaupt nicht mag, fand ich es passend, dass der Autor das Schicksal von Gerhard nur bis Ende 1942 erzählt hat. Wie seine Kriegserlebnisse weiter gehen, erfahren wir vielleicht in einem Nachfolgeband.

Schreibstil:
Jürgen Ehlers schreibt knapp und sachlich. Für einen Roman wie diesen, finde ich das passend. Trotzdem tat ich mir etwas schwer damit, mich in Gerhard oder in einen anderen Protagonisten hineinzuversetzen. Ich hatte oft das Gefühl irgendwie außen vor zu stehen und nicht in der Geschichte versinken zu können.

Fazit:
Ein Stück Zeitgeschichte, das mir noch unbekannt war. Jürgen Ehlers hat hervorragend recherchiert und historische Fakten mit fiktiven Personen gekonnt verknüpft. Trotz der spannenden Spionagegeschichte, fand ich nicht ganz den Zugang zur Geschichte und vergebe knappe 4 Sterne.

Veröffentlicht am 21.12.2017

Gelungen, reicht aber noch nicht an seine heutigen Thriller heran

Die schwarze Dame
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Als großer Andreas Gruber Fan bin ich nun auch neugierig auf die ersten Bücher des Autors geworden. Der Goldmann Verlag hat eben erst "Die Schwarze Dame", das bereits 2007 im FESTA Verlag veröffentlicht ...

Als großer Andreas Gruber Fan bin ich nun auch neugierig auf die ersten Bücher des Autors geworden. Der Goldmann Verlag hat eben erst "Die Schwarze Dame", das bereits 2007 im FESTA Verlag veröffentlicht wurde, neu aufgelegt. Hier passt das Buch meiner Meinung auch deutlich besser hin, denn ich finde im Vergleich zu Grubers neuen Thrillern ist Peter Hogarts erster Fall viel zu wenig "blutig". Ich würde ihn sogar eher als Krimi und nicht als Thriller einordnen.

Versicherungsdetektiv Peter Hogart wird von Wien nach Prag geschickt. In der tschechischen Hauptstadt sollen äußerst wertvolle Gemälde des Künstlers Oktavian bei einem Brand in der Prager Nationalgalerie angeblich vernichtet worden sein. Alexandra Schelling, eine Kollegin, war für eine Versicherungsagentur in Prag unterwegs und anscheinend einem groß angelegten Versicherungsbetrug auf der Spur. Kurz vor ihrem Rückflug nach Wien ist Schelling allerdings spurlos verschwunden. Nachdem weder die tschechische, noch die Wiener Polizei Spuren der Vermissten finden, soll Hogart seine Kollegin aufspüren, ihren letzten Spuren folgen und den Versicherungsbetrug aufdecken. Kaum in Prag angekommen macht er die Bekanntschaft mit dem Mafiaboss Greco und seinen Schlägern. Aber auch Ivona Markovic, eine Privatdetektivin, kreuzt seinen Weg, die einen Serienmörder sucht. Bald bemerken die beiden Detektive, dass es einige Parallelen zwischen ihren Fällen gibt. Der zu Beginn thematisierte Versicherungsbetrug gerät sehr bald in den Hintergrund und Hogart und Markovic sind nun auf der Jagd eines Serienkillers....

Man merkt, dass "Die Schwarze Dame" ein Frühwerk des Autoren ist. Während Hogart authentisch und vorallem facettenreich beschrieben wird, sind manche Nebenfiguren sehr klischeehaft oder bleiben noch zu blass. Auch die Spannung kommt erst nach dem ersten Drittel des Krimis auf. Der Spannungsbogen steigt allerdings kontinuierlich an und endet in einem temporeichen Finale.

Besonders hervorheben muss man allerdings die wirklich atmosphärische und ausführliche Beschreibung der Stadt Prag. Andreas Gruber hat die Schausplätze so gelungen beschrieben, dass man am liebsten sofort nach Prag fahren möchte und diese - wirklich wunderschöne - Stadt besuchen und auf Peter Hogarts Spuren wandeln möchte.

Natürlich werde ich auch den zweiten Fall "Die Engelsmühle" noch lesen, den der Goldmann Verlag ebenfalls neu auflegt und der am 18. April erscheinen wird.

Fazit:
Die "Die Schwarze Dame" ist ein guter Thriller/Krimi, der aber noch nicht an Andreas Grubers neuen Werken heranreicht. Besonders gefallen hat mir die atmosphärische Beschreibung Prags. Die Spannung tritt erst nach dem ersten Drittel auf und der Autor vermag mit einigen interessanten Faktoren zu überraschen. Gelungen, aber noch nicht perfekt.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Facettenreicher Thriller mit einigen kleinen Schwachstellen

In ewiger Schuld
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ch habe bereits einige Thriller von Harlan Coben gelesen. Sehr oft verarbeitet der Autor dasselbe Grundthema, wie das Verschwinden einer Person oder dessen Tod.
Auch in seinem neuen Thriller "In ewiger ...

ch habe bereits einige Thriller von Harlan Coben gelesen. Sehr oft verarbeitet der Autor dasselbe Grundthema, wie das Verschwinden einer Person oder dessen Tod.
Auch in seinem neuen Thriller "In ewiger Schuld" ist dieses Thema der rote Faden seiner Geschichte. Mit Maya, unserer Hauptprotagonistin, lernen wie eine äußert toughe Frau kennen, die als Kampfpilotin Einsätze in diversen Kriegsgebieten flog. Nach einem problematischen Einsatz, bei dem Zivilisten getötet wurden, wurde sie aus dem Militärdienst entlassen. Dieses Trauma verfolgt Maya als Albtraum noch immer jede Nacht. Seit ihrer Entlassung arbeitet sie als Fluglehrerin und kümmert sich um ihre 2-jährige Tochter Lily. Nach dem gewaltsamen Tod ihrer Schwester steht sie nun wiederum vor einem Grab, nämlich dem ihres Ehemannes Joe. Als sie ein paar Tage später die Aufnahmen ihrer Nanny-Cam ansieht, die sie von ihrer Freundin Eileen geschenkt bekommen hat, ist sie fassungslos. Sie sieht ihren toten Ehemann mit ihrer Tochter und dem Kindermädchen. Natürlich glaubt ihr niemand, als kurz darauf die Aufnahme verschwunden ist. Maya beginnt nachzuforschen und bemerkt sehr schnell, dass der Tod ihrer Schwester und ihres Mannes einige Gemeinsamkeiten aufweisen und Joe's reiche Familie involviert zu sein scheint....

Der Thriller beginnt nach einer kurzen Anlaufzeit rasant und lässt sich wunderbar schnell lesen, auch wenn er mich nicht gänzlich packen konnte. Eines von Cobens Markenzeichen ist die Raffinesse, wie er seine Figuren dargstellt. Man weiß nie, wen man vertrauen kann.
Als Leser verfolgt man Maya's Gedanken und Handlungen. Coben versteht es viele falsche Fährten auszulegen und überraschende Wendungen einzubauen.
Das Thema Waffen und Militär ist ein zentrales und ist typisch amerikanisch. Maya ist eine Waffennärrin und liebt es zu schießen. Ihre besten Freunde sind ebenfalls beim Militär, wie ihr bester Freund Shane. Obwohl er eine zentrale Figur im Buch spielt, fehlte es ihm an Tiefe. Im Gegensatz zu Shane hat der Autor Maya sehr gut charakterisiert. Wirklich sympathisch war sie mir jedoch nicht. Sie ist extrem stur und eine sehr gute Beobachterin. Sie verliert in Stresssituationen nicht den Kopf und bleibt ruhig. Beides Fähigkeiten, die sich sich durch ihren Beruf angeeignet hat. Ihre Bemühungen eine gute Mutter zu sein, ihre Weigerung in ihrem Zustand auf medizinische Hilfe zurückzugreifen und ihre wenig schmeichelhaften Ansichten über ihre angeheirateten Verwandten machen sie zu einer vielschichtigen Figur mit Ecken und Kanten.
Die immer wiederkehrende amerikanische Glorifizierung der Army und der selbstverständliche Besitz von Waffen, nervte mich jedoch sehr.

Das Ende war eine richtige Überraschung und ich bin mir noch immer nicht richtig sicher, ob ich es mochte oder nicht... Auf jeden Fall hält es für den Leser einige Überraschungen bereit.

Schreibstil:
Harlan Coben schreibt packend und der Thriller lässt sich richtig gut und flüssig lesen. Die zahlreichen Wendungen und falschen Fährten, die der Autor eingebaut hat, heben den "Miträtseleffekt". Zeitsprünge und Perspektivenwechsel erhöhen die Spannung.


Fazit:
Ein spannender und facettenreicher Thriller mit überraschenden Wendungen, bei dem man perfekt miträtseln kann. Einige kleine Schwachstellen und unrealistische Handlungen fallen passionierten Thrillerlesern jedoch ins Auge. Abgesehen von diesen kleinen Kritikpunkten lässt sich "In ewiger Schuld" aber sehr gut und schnell lesen.

Veröffentlicht am 09.12.2017

Mehr Wirtschaftskrimi

Stimme der Toten
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Von Elisabeth Herrmann kenne ich bereits den Jugendthriller "Schattengrund", der mich absolut begeistern konnte, obwohl mir sonst Thriller für Jugendliche zu harmlos sind. Dieser war großartig! Gelesen ...

Von Elisabeth Herrmann kenne ich bereits den Jugendthriller "Schattengrund", der mich absolut begeistern konnte, obwohl mir sonst Thriller für Jugendliche zu harmlos sind. Dieser war großartig! Gelesen habe ich außerdem noch die beiden Krimis der "Sanela Beara" Reihe ("Das Dorf der Mörder" und "Der Schneegänger"), einen weiteren Jugendthriller ("Seefeuer"), de rmir nicht so gut gefiel und "Versunkene Gräber" aus der Joachim Vernau Reihe - also bereits jede Menge! Ich denke ich kenne kaum eine Autorin oder einen Autor, der so unterschiedliche Themen hat und bei dem man nicht sofort am Schreibstil erkennt, wer dieses Buch geschrieben hat. Jeder Krimi ist anders!

Den ersten Band um Tatortreinigerin Judith Kepler ("Zeugin der Toten") habe ich leider nicht gelesen, aber nachdem ich bereits in die Leseprobe (Prolog) reingeschnuppert hatte, musste ich mir den Krimi in der Bücherei reservieren lassen.
Dieser Prolog führt den Leser 6 Jahre zurück und offenbart einen kleinen Einblick in Judiths Vergangenheit. Danach geht es zurück in die Gegenwart. Judith, die als Cleanerin arbeitet, wird zu einem Toten in der CHL Bank gerufen. Dieser ist von der Galerie gestürzt und alles deutet auf Selbstmord hin. Beim Reinigen findet Judith jedoch einen blutigen Fingerabdruck im Waschraum und meldet dies der Polizei. Ab diesen Zeitpunkt gerät Judiths Leben aus dem Fugen.....

Mit "Stimme der Toten" hat die Autorin einen vielschichtigen Krimi geschrieben, der auch als Wirtschafts- oder Agentenkrimi durchgehen könnte. Neben der Cyberkriminalität werden auch die Themen Stasivergangenheit und Rechtsradikalismus angesprochen. Somit haben wir es mit mehreren Handlungssträngen zu tun, die einiges an Konzentration erfordern! Perfekt hat die Autorin diese verknüpft, was sicher keine leichte Aufgabe war. In allen davon verstrickt sich Judith Kepler, die eigentlich nichts anderes möchte, als so wenig wie möglich aufzufallen. Denn bald weiß sie nicht mehr, wer hier Freund und wer Feind ist...

Die Charaktere sind facettenreich, eben Menschen mit Ecken und Kanten. Richtig sympathisch ist mir irgendwie keiner, nicht einmal Judith selbst. Dazu ist sie zu eigenwillig und ruppig. Denn Judith ist gezeichnet durch ihre Vergangenheit. Nach dem Fall der Mauer und dem Tod des Vaters, der ein erfolgreicher Agent der DDR war, wurde sie ins Heim gesteckt. Ihr Name wurde in Judith Kepler umgeändert. Noch heute versucht sie ihr Leben zu leben und kommt aus ihrer Negativspirale nicht wirklich heraus. Denn noch immer rätselt sie, was damals genau geschehen ist. Alte Seilschaften, Erpressungen, Verschwörungen und eine Portion Cyberkriminalität sorgen für Spannung. Trotz der vielen Perspektiven-, Zeit- und Handlungswechsel hat die Autorin einen komplexen und packenden Thriller im Agentenmilieu mit einiger Portion Sozialkritik abgeliefert.

Schreibstil:
Elisabeth Herrmann schreibt flüssig und ansprechend. Die Autorin hat viele Dialoge eingebaut, die die Handlung auflockern. Obwohl man sich bei ihrem aktuellen Buch doch etwas mehr konzentrieren muss, kann man dem Inhalt leicht folgen. Die Charaktere sind facettenreich. Die Atmosphäre ist düster und bedrückt.

Fazit:
Ein vielschichter Krimi, der mehr wie ein Spionage- und Wirtschaftskrimi daherkommt. Viele Themen wie Cyberkriminalität, der kalte Krieg, Stasivergangenheit und Rechtsradikalismus werden in doch einigen Handlungssträngen verarbeitet und verlangen etwas Konzentration. Aktuell und spannend....

Veröffentlicht am 09.12.2017

Rassismus in kleinen und großen Dosen

Kleine große Schritte
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Jodie Picoult gehört bereits seit Jahrzehnten zu meinen Lieblingsautorinnen. Ihre letzten Romane konnten mich allerdings nicht mehr ganz so überzeugen, wie etwa meine Lieblingsromane "19 Minuten" und "Beim ...

Jodie Picoult gehört bereits seit Jahrzehnten zu meinen Lieblingsautorinnen. Ihre letzten Romane konnten mich allerdings nicht mehr ganz so überzeugen, wie etwa meine Lieblingsromane "19 Minuten" und "Beim Leben meiner Schwester".
Mit "Kleine große Schritte" hat fast zu ihrer alten Form zurückgefunden, auch wenn ich dafür keine 5, sondern 4 Sterne vergeben kann. Dafür hat mir doch noch einiges gefehlt...
Bei ihrem neuen Roman hat Picoult teilweise wieder zu altbewährtem gegriffen: Ein kontroverses Thema, das selten von anderen Autoren aufgegriffen wird. Teilweise deshalb, weil es hier um Rassismus in kleinen und großen Dosen geht und dieser doch immer wieder in Büchern verwendet wird. So haben wir diesmal also keine Thematik wie Organspende, Glasknochenkrankheit oder Amoklauf, sondern ein seit Ewigkeiten andauerndes Problem: Rassismus. Zu diesem Thema hatte ich dieses Jahr schon das Jugendbuch "The Hate U Give" gelesen, das aber nicht vergleichbar ist, weil es ein anderes Zielpublikum anspricht und auch die Sprache dementsprechend angepasst ist. Wer Jodie Picoult kennt, der weiß, dass sie sich gerne schwierigen Themen annimmt und diese aus verschiedenen Blickwinkel beschreibt. Auch diesmal legt die Autorin sehr viel Wert auf ihre Charakterbeschreibungen und lässt uns in die Köpfe ihrer sehr unterschiedlichen Figuren blicken.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Ruth, Kennedy und Turk in der Ich-Form erzählt. Zuerst begegnen wir Ruth Jefferson. Sie ist Mitte Vierzig, Witwe, Mutter eines 16-jährigen Sohnes und arbeitet als Hebamme und Säuglingsschwester. Sie liebt ihren Beruf, in dem sie auch sehr gut ist. Nicht umsonst ist sie die einzige farbige Schwester im Mercy West Haven Hospital. Bis zu ihrem Aufeinandertreffen mit dem Ehepaar Bauer hatte sie keine offensichtlichen Probleme wegen ihrer Hautfarbe. Doch die Bauers untersagen ihr deswegen jeglichen Kontakt zu ihrem Baby. Als der kleine Davis nach einem harmlosen Eingriff plötzlich Atemnot bekommt, ist Ruth die Einzige auf der Station, da ihre Kolleginnen zu einer Not-OP gerufen wurden. Soll sie sich der Anweisung beugen und sich wirklich von Davis fernhalten oder soll sie eingreifen? Ruth gerät in einen Gewissenskonflikt. Als das Baby stirbt, schiebt das Krankenhaus die alleinige Verantwortung auf Ruth, die des Mordes angeklagt wird.

Mir tat Ruth leid, aber ich konnte nicht immer ihre Gedanken nachvollziehen und auch keine wirkliche Nähe zu ihr aufbauen. Es blieb eine Distanz, dessen Ursprung ich nicht genau benennen kann. Ähnlich erging es mir bei Kennedy, ihre Pflichtverteidigerin. Diese ist eine priviligierte weiße Frau, die sich selbst nicht als rassistisch beschreibt. Durch diesen Fall erfährt sie allerdings einen Wandel, der auch bei ihr Umdenken hervorbringt. Doch auch bei ihr spürte ich eine Distanz beim Lesen. Einzig bei Turk konnte Picoult Emotionen bei mir hervorrufen. Normaler Weise versteht es die Autorin beide Seiten so darzustellen, dass man sich schwer auf nur eine Seite schlagen kann und sich in einer Zwickmühle befindet, da man beide Ansichten mehr oder weniger verstehen kann. Hier war das für mich kaum durchführbar. Den Schmerz, den Turk durch den Tod seines Sohnes erfährt, kann man irgednwie nachvollziehen, aber nicht wie er damit umging. Von seinen radikalen Ansichten war ich geschockt. Bei Turk konnte ich die meisten Emotionen freilassen, auch wenn es fast nur negative waren. Hier konnte mich die Autorin wirklich packen und die Darstellung des jungen Rechtsradikalen ist ihr sehr gut gelungen. Es gab auch interessante Einblicke in die rechtsradikale Szene. Interessant fand ich noch, dass Turk Bauer eine farbige Staatsanwältin zugesprochen bekam, was noch etwas mehr Pfeffer in die Geschichte bringt.

Mit viel Fingerspitzengefühl wird der Gerichtsprozess erzählt, der erst im letzten Drittel zu tragen kommt. Wie gewohnt steckt hier sehr viel Enthusiasmus drinnen und man verfolgt gebannt die verschiedenen Zeugenaussagen. Dieser Teil ist mit Abstand der Beste des Romans.

Auch wenn es für die Autorin laut ihrem Nachwort ihr wichtigstes Buch war, konnte es mich nicht gänzlich überzeugen. Picoult schreibt aus ihrer eigenen Sicht, wie sie im letzten Teil des Romans erklärt. In der Figur der Verteidierin Kennedy beschreibt sie eine weiße priviligierte Frau, wie sich selbst und erklärt, dass Rassismus in verschiedenen Bereichen gelebt werden kann. Manche davon sind uns Weißen gar nicht bewusst und dieser bereits in kleinen alltäglichen Dingen beginnt. Die Welt ist noch immer für Weiße "aufgebaut". Picoult versucht den Leser mit für uns unwesentlichen Dingen auf die Diskriminerung hinzuweisen: Wie viele Bilderbücher gibt es mit farbigen Kindern? Wo sind die Werbespots mit farbigen Frauen? Hier könnte man allerdings auch gleich hinzufügen, wo eigentlich die weiblichen Wesen mit normalen Körpermaßen sind.... Das ist zwar eine andere Geschichte - jedoch genauso eine Diskriminierung, finde ich.
Man sieht, man begegnet Ausgrenzung und Rassismus eigentlich jeden Tag auf unterschiedlichste Weise. Genau darauf geht die Autorin ein und nicht nur auf die rechtsradikalen Werte eines Turk Bauer, der einer farbigen Säuglingsschwester verbietet sein Baby anzufassen.
Das Ende hat mich ebenfalls nicht ganz zufrieden gestellt. Dazu kann ich aber nicht mehr sagen, da ich sonst spoilern würde...
Das hört sich jetzt alles eigentlich viel negativer an, als ich es empfunden habe, denn Picoult gehört weiterhin zu meinen absoluten Lieblingsautorinnen. Vielleicht bin ich deswegen umso kritischer...?
Insgesamt hat mir der Roman nämlich sehr gut gefallen und Picoult hat es wieder geschafft, dass man sich auch nach dem Beenden des Buches noch weiter mit der Geschichte auseinandersetzt und diese einem nicht so schnell loslässt...

Fazit:
"Kleine große Schritte" ist ein weiterer Roman von Jodi Picoult, der unter die Haut geht und der sich mit unangenehmen Themen auseinandersetzt. Diesmal gelang es mir aber nicht ganz, ihren Figuren näher zu kommen. Ich hatte immer ein Gefühl von Distanz. Trotzdem bleibt der Roman auch noch Tage nach dem Beenden im Gedächtnis und regt zum Nachdenken an. Für Picoult Fans wie mich, aber auf jeden Fall ein Must-Read.