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Veröffentlicht am 17.12.2017

Einen (Schienen-)Netz von Interessen

Underground Railroad
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Die „Underground Railroad“, um die es in Colson Whiteheads Buch geht, gab es tatsächlich. Genau wie bei der U-Bahn handelt es sich um ein unterirdisches Schienennetzwerk. Züge im klassischen Sinne fuhren ...

Die „Underground Railroad“, um die es in Colson Whiteheads Buch geht, gab es tatsächlich. Genau wie bei der U-Bahn handelt es sich um ein unterirdisches Schienennetzwerk. Züge im klassischen Sinne fuhren hier allerdings keine. Sklaven, die durch die „Underground Railroad“ flohen, benutzten bei ihrer Flucht Lorenwagen und anders als bei einer U-Bahn Linie, war auch das Ziel oft ungewiss. Dennoch zogen viele eine Flucht ins Ungewisse einem Leben in der Sklaverei vor. Aber auch außerhalb der Sklaverei hatten Schwarze keinen leichten Stand.

Colson Whitehead beschreibt die Flucht mit der „Underground Railroad“ anhand von Cora und Caesar. Cora ist bereits Sklavin in dritter Generation. Ihre Großmutter Ajarry wurde frei geboren und als junges Mädchen mit allen anderen Bewohnern ihres Dorfes versklavt, Coras Mutter Mabel wurde bereits in der Sklaverei geboren. Parallel zu Coras Familiengeschichte erfährt man vom Alltag der Sklaven, von der Brutalität der Plantagenbesitzer und Sklavenfänger. Whitehead schreibt eindrücklich, die Schicksale gehen nahe und berühren. Und auch wenn einem bereits vor der Lektüre des Buches klar war, warum Menschen aus der Sklaverei flohen, macht Whiteheads eindringlicher Schreibstil dem Leser die Verzweiflung der Menschen umso bewusster. Ebenso wird deutlich, dass nicht alle Weißen im Amerika der Gründerzeit Befürworter der Sklaverei waren. Eine Tatsache, die man vielleicht außer Acht lässt, wenn man an das Amerika damals denkt. Möglicherweise genau so wie die Gewalt und Grausamkeiten der Sklaven untereinander. Dabei wird auch vor der Beschreibung von Brutalitäten nicht zurückgeschreckt, was beim Lesen manchmal schwer zu ertragen ist. Dennoch übt der Text eine ungeheure Faszination aus.

Colson Whitehead zeichnet in „Underground Railroad“ kein schwarz-weiß Bild. Weder wörtlich, noch im übertragenen Sinne. Dafür beschreibt er menschliche Beweggründe und zieht die Linie nicht zwischen gut und böse, sondern zwischen menschlich und grausam. Denn auch Protagonistin Cora ist nicht ohne Fehler. Bereits zu Beginn der Geschichte gibt es eine Situation, in der sie aus Rache und Wut handelt. Dennoch distanziert man sich in dieser Szene nicht von ihr, sondern kann, im Gegenteil, genau nachvollziehen, warum sie so handelt. Auch die Beweggründe der Menschen, denen Cora auf ihrer Flucht begegnet, werden erläutert, so dass sich ein komplexes Bild verschiedener Interessen und Motivationen ergibt.

Die Verknüpfung von historischen Tatsachen mit einem auf wahren Begebenheiten beruhendem und hier doch fiktivem Einzelschicksal ergibt eine spannende Mischung, die man trotz der beschriebenen Grausamkeiten nicht aus der Hand legen möchte. Schon deshalb nicht, weil man Cora so sehr wünscht, dass ihre Flucht in die Freiheit erfolgreich ist.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Ein undurchsichtiges Spiel

Der Preis, den man zahlt
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Fálco. Lorenzo Fálco. Oder auch Rafael oder auf welchen Namen auch immer er gerade so hört. Fálco ist spanischer Spion. Es ist das Jahr 1936. In Spanien stehen sich Faschisten und Kommunisten gegenüber. ...

Fálco. Lorenzo Fálco. Oder auch Rafael oder auf welchen Namen auch immer er gerade so hört. Fálco ist spanischer Spion. Es ist das Jahr 1936. In Spanien stehen sich Faschisten und Kommunisten gegenüber. Und je nachdem welche Interessen Fálco gerade verfolgt, wechselt er munter die Seiten. Auf welcher Seite Fálco politisch steht, bleibt dabei offen. Meistens steht er lediglich auf seiner eigenen. Als er den Auftrag erhält einen politischen Gefangenen aus dem Gefängnis von Alicante zu befreien, muss er gezwungenermaßen mit den Geschwistern Cari und Ginés Montero, sowie der Spionin Eva Rengel zusammenarbeiten. Während eindeutig ist, welches Ziel die drei verfolgen, die Befreiung des Gefangenen, bleibt unklar, was sich Fálco von dem Unternehmen verspricht.

Arturo Pérez-Reverte erzählt Fálcos Mission schnörkellos und geradlinig, dafür aber mit der einen oder anderen überraschenden Wendung. Sein Erzähltempo ist hoch, die Ereignisse folgen direkt aufeinander, was es schwer macht, das Buch aus der Hand zu legen. Die Dialoge zwischen den Charakteren erwecken den Eindruck, kein Wort zu viel zu enthalten. Die Beschränkung auf das Wesentliche betont die Schwierigkeit der Mission und die Ausweglosigkeit der Situation insgesamt. Die Welt, in der die Geschichte angesiedelt ist, gleicht einem Pulverfass. Der kleinste Funke kann die Explosion bedeuten. Fálcos Verhalten zeugt ebenfalls davon. Dadurch, dass er sich der Gelegenheit entsprechend anpasst, sichert er sich sein Überleben. Der Leser folgt Fálco dabei und erfährt einiges über dessen Vergangenheit und Beziehungen, sowohl politische als auch sexuelle. Und auch wenn Fálco nichts anbrennen lässt und jede Beziehung für seine Zwecke nutzt, ist er ein Einzelgänger. Und bei Weitem nicht der Einzige, der sich anzupassen und Situationen für sich zu nutzen weiß. Das macht es interessant zu beobachten, mit welchen Charakteren der Spion in zukünftigen Geschichten zusammenarbeiten oder konfrontiert werden wird.

„Der Preis, den man zahlt“ ist der Auftakt zu einer Reihe um Lorenzo Fálco. Genug Erzählstoff, an den Pérez-Reverte in weiteren Bänden anknüpfen kann, gibt es jedenfalls. Dadurch, dass einiges, durchaus bewusst, ausgelassen wird, wird der Handlung aber auch nichts vorweggenommen und die Spannung bleibt erhalten.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Den Teufel im Nacken

Als der Teufel aus dem Badezimmer kam
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Sophie ist Mitte dreißig und arbeitslos. Ein Schicksal, das sie mit vielen Menschen teilt. Doch Sophie hat den festen Entschluss gefasst, ein Buch zu veröffentlichen. Ein Plan, der bisher aber noch nicht ...

Sophie ist Mitte dreißig und arbeitslos. Ein Schicksal, das sie mit vielen Menschen teilt. Doch Sophie hat den festen Entschluss gefasst, ein Buch zu veröffentlichen. Ein Plan, der bisher aber noch nicht so ganz funktioniert hat. Hinzu kommt, dass ein Berg an Bürokratie den Bezug von Sozialhilfe ziemlich erschwert. Als nur noch 17,70 Euro auf dem Konto sind, muss Sophie handeln. Und zu dem Zeitpunkt kommt dann auch der Teufel aus dem Badezimmer. Dabei ist nicht so ganz eindeutig, ob Hector das Teufelchen auf der Schulter ist oder eine, von Sophie erdachte, fiktive Figur in ihrem Roman.

Genau diese Ungewissheit ist der Kern von Sophie Divrys Roman „Als der Teufel aus dem Badezimmer kam“. Eindeutig einordnen lässt sich der Text nämlich nicht. Ist er teilweise autobiographisch (der Name der Protagonistin)? Ist er reine Fiktion mit Wirklichkeitsbezügen (das Prozedere mit der Sozialhilfe)? Auf jeden Fall verschwimmen die Grenzen zwischen der Lebenswirklichkeit der Protagonistin und der von ihr verfassten Fiktion, sodass man durch diese Metaebene am Ende nicht einmal mehr weiß, ob die Situation von Heldin Sophie tatsächlich so verfahren ist. Trotz der Orientierungslosigkeit ist der Roman aber nicht verwirrend. Das Rätselspiel, was fiktive Realität ist und was der Fiktion der Protagonistin entspringt, macht den Text unglaublich unterhaltsam. Sophie Divrys lockerer und humorvoller, wenn auch manchmal etwas schwarzhumoriger, Schreibstil sorgt dafür, dass sich der „Als der Teufel aus dem Badezimmer kam“ gut runterlesen lässt, ohne dabei platt und oberflächlich zu wirken. Experimente mit Schriftarten und Satz, die man so eher aus der Lyrik kennt, runden den Roman ab. „Als der Teufel aus dem Badezimmer kam“ ist trotz Humor und literarischen Experimenten aber auch nachdenklich und mitunter auch gesellschaftskritisch.

Alles in allem kommt dabei ein experimenteller und ungewöhnlicher Roman heraus. Und wenn Sophie (oder ist es die Autorin selbst?) am Ende resümiert, dass es nicht die Arbeitslosigkeit sei, die lustig ist, sondern es die Feste wären, die die Literatur einem immer wieder bereiten kann, dann ist damit eigentlich alles gesagt.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Was nicht gesagt wird

Ich treffe dich zwischen den Zeilen
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Loveday mag Bücher. Mit Menschen hapert es dagegen schon mal. Als sie einen Gedichtband auf dem Gehweg findet und, wie bei einer zugelaufenen Katze, mit einem Aushang nach dem Besitzer des Buches sucht, ...

Loveday mag Bücher. Mit Menschen hapert es dagegen schon mal. Als sie einen Gedichtband auf dem Gehweg findet und, wie bei einer zugelaufenen Katze, mit einem Aushang nach dem Besitzer des Buches sucht, lernt sie Nathan kennen. Man ahnt es bereits, da haben sich zwei Literaturfans gefunden. Nathan geht mit Loveday zu Poetry Slams und über geschriebene und gesprochene Texte nähern sich die beiden immer weiter an. Allerdings gibt es Dinge in ihrer Vergangenheit, die Loveday lieber für sich behalten will. Schließlich kommt sie aber an einen Punkt, an dem sie sich ihren Geheimnissen stellen muss und es ist wenig verwunderlich, dass die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit durch ein Buch ausgelöst wird.

"Ich treffe dich zwischen den Zeilen" beginnt bereits mit einer Liebeserklärung an Bücher. Und es ist schön, dass durch die gemeinsame Liebe für Bücher eine Liebesbeziehung entstehen kann. Stephanie Butland erzählt detailliert, allerdings ohne sich dabei in Einzelheiten zu verlieren, und schafft so eine starke Bildlichkeit. Bereits auf der ersten Seite wird zudem die Liebe zum Buch und zur Literatur deutlich gemacht. Diese Liebe lässt sich auch am Text festmachen. Wann immer über buchbasierte Themen oder über Bücher selbst gesprochen wird, wird der Schreibstil etwas poetischer.

Stephanie Butland erzählt ihre Geschichte ausschließlich aus Lovedays Sicht, wodurch eine Nähe zwischen Leser und Protagonistin aufgebaut wird, da man Einblick in deren Gedanken- und Gefühlswelt erhält. Auch die Auseinandersetzung mit Lovedays Vergangenheit wird dadurch nachvollziehbarer. Zwischendurch finden sich immer wieder Poetry-Slam Texte von Nathan (später auch von Loveday) mit Vortragsdatum und -ort, die den Lesefluss unterbrechen und somit zum kurzzeitigen Innehalten anregen. Zusätzlich erfährt man so auch etwas aus Nathans Sicht, ohne, dass hierbei die Sichtweise gewechselt werden muss.

Victor Hugo hat einmal gesagt, dass die Musik das ausdrückt, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist. In „Ich treffe dich zwischen den Zeilen“ wird dieser Satz so umgedeutet, dass es vielmehr die Poesie, und damit in gewissem Sinne auch Rhythmus und Klang, sind, die Ungesagtes zum Ausdruck bringen können.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Schwieriges Erbe

Das Vermächtnis der Spione
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Schon im ersten Satz wird John le Carrés Roman seinem Titel gerecht, denn der Ich-Erzähler erklärt, seine Geschichte nach bestem Wissen und Gewissen verfasst zu haben. Das erinnert vom Ton her an eine ...

Schon im ersten Satz wird John le Carrés Roman seinem Titel gerecht, denn der Ich-Erzähler erklärt, seine Geschichte nach bestem Wissen und Gewissen verfasst zu haben. Das erinnert vom Ton her an eine Testamentseröffnung, inhaltlich an eine Zeugenaussage vor Gericht. Eigentlich nimmt die Eröffnung der Geschichte den Ausgang der Handlung schon vorweg, doch wird dadurch, dass der Ich-Erzähler für seine Geschichte weit ausholt, deutlich, dass es vorrangig um die Ereignisse geht, die zu diesem Ausgang führen.
Der Eindruck der Zeugenaussage verstärkt sich im Laufe, denn der Erzähler rechtfertigt sich sich zwischendurch immer wieder oder erklärt bestimmte Beweggründe. Dabei wird nicht direkt ersichtlich, wem diese Rechtfertigungen gelten. Dem Leser? Einem Richter? Einem unbekannten Zuhörer? Vielmehr scheint der Erzähler sich vor sich selbst rechtfertigen zu müssen. Wozu es auch passt, dass er nicht nur die direkten Ereignisse wiedergibt, sondern eine detaillierte Vorgeschichte dazu erzählt.

Ich-Erzähler Peter Guilliam, der ehemalige Assistent von le Carrés Held George Smiley führt den Leser dabei zurück in das Jahr 1961. Das Jahr, in dem die Berliner Mauer gebaut wurde und in dem der britische Agent Alec Leamas zusammen mit seiner Freundin dort ums Leben kam. Zunächst deutet alles daraufhin, dass Leamas zu Unrecht gestorben ist, doch wie so oft in Romanen, in denen es um den Geheimdienst geht, ist die Erkenntnislage nicht so einfach.
Und noch bevor der eigentliche Held George Smiley überhaupt auftaucht, ist der Leser gefangen von der Faszination und der Gefahr, die von der Geheimdienstarbeit ausgeht. Ein weiteres zentrales Element ist die Aufarbeitung der Vergangenheit. Hierbei steht die Frage im Raum, ob damals begangene bzw. ausgeführte Handlungen heutzutage neu bewertet werden müssen, wenn man neue Erkenntnisse dazu gewinnt. Die Diskussion dieser Frage begleitet den Leser ebenfalls durch den Roman und trägt auch dazu bei, dass man gebannt Seite für Seite weiterliest.

John le Carré versteht es meisterhaft, seine Geschichten vermeintlich harmlos zu beginnen. So auch “Das Vermächtnis der Spione”. Ähnlich wie die Protagonisten, die ebenfalls noch nicht wissen, was sie im Laufe der Handlung erwartet, tastet sich auch der Leser Stück für Stück voran und findet sich unversehens mitten im Geschehen wieder. Zu spät, um sich dem Sog der Handlung zu entziehen.