Einen (Schienen-)Netz von Interessen
Underground RailroadDie „Underground Railroad“, um die es in Colson Whiteheads Buch geht, gab es tatsächlich. Genau wie bei der U-Bahn handelt es sich um ein unterirdisches Schienennetzwerk. Züge im klassischen Sinne fuhren ...
Die „Underground Railroad“, um die es in Colson Whiteheads Buch geht, gab es tatsächlich. Genau wie bei der U-Bahn handelt es sich um ein unterirdisches Schienennetzwerk. Züge im klassischen Sinne fuhren hier allerdings keine. Sklaven, die durch die „Underground Railroad“ flohen, benutzten bei ihrer Flucht Lorenwagen und anders als bei einer U-Bahn Linie, war auch das Ziel oft ungewiss. Dennoch zogen viele eine Flucht ins Ungewisse einem Leben in der Sklaverei vor. Aber auch außerhalb der Sklaverei hatten Schwarze keinen leichten Stand.
Colson Whitehead beschreibt die Flucht mit der „Underground Railroad“ anhand von Cora und Caesar. Cora ist bereits Sklavin in dritter Generation. Ihre Großmutter Ajarry wurde frei geboren und als junges Mädchen mit allen anderen Bewohnern ihres Dorfes versklavt, Coras Mutter Mabel wurde bereits in der Sklaverei geboren. Parallel zu Coras Familiengeschichte erfährt man vom Alltag der Sklaven, von der Brutalität der Plantagenbesitzer und Sklavenfänger. Whitehead schreibt eindrücklich, die Schicksale gehen nahe und berühren. Und auch wenn einem bereits vor der Lektüre des Buches klar war, warum Menschen aus der Sklaverei flohen, macht Whiteheads eindringlicher Schreibstil dem Leser die Verzweiflung der Menschen umso bewusster. Ebenso wird deutlich, dass nicht alle Weißen im Amerika der Gründerzeit Befürworter der Sklaverei waren. Eine Tatsache, die man vielleicht außer Acht lässt, wenn man an das Amerika damals denkt. Möglicherweise genau so wie die Gewalt und Grausamkeiten der Sklaven untereinander. Dabei wird auch vor der Beschreibung von Brutalitäten nicht zurückgeschreckt, was beim Lesen manchmal schwer zu ertragen ist. Dennoch übt der Text eine ungeheure Faszination aus.
Colson Whitehead zeichnet in „Underground Railroad“ kein schwarz-weiß Bild. Weder wörtlich, noch im übertragenen Sinne. Dafür beschreibt er menschliche Beweggründe und zieht die Linie nicht zwischen gut und böse, sondern zwischen menschlich und grausam. Denn auch Protagonistin Cora ist nicht ohne Fehler. Bereits zu Beginn der Geschichte gibt es eine Situation, in der sie aus Rache und Wut handelt. Dennoch distanziert man sich in dieser Szene nicht von ihr, sondern kann, im Gegenteil, genau nachvollziehen, warum sie so handelt. Auch die Beweggründe der Menschen, denen Cora auf ihrer Flucht begegnet, werden erläutert, so dass sich ein komplexes Bild verschiedener Interessen und Motivationen ergibt.
Die Verknüpfung von historischen Tatsachen mit einem auf wahren Begebenheiten beruhendem und hier doch fiktivem Einzelschicksal ergibt eine spannende Mischung, die man trotz der beschriebenen Grausamkeiten nicht aus der Hand legen möchte. Schon deshalb nicht, weil man Cora so sehr wünscht, dass ihre Flucht in die Freiheit erfolgreich ist.