Floras Aufstieg
„...Wenngleich Heinrich wusste, dass das Kind ihn noch nicht richtig erkennen konnte, breitete sich eine unendliche Wärme für dieses kleine Wesen in ihm aus, als Viola ihn mit großen blaue Augen ansah...“
Auf ...
„...Wenngleich Heinrich wusste, dass das Kind ihn noch nicht richtig erkennen konnte, breitete sich eine unendliche Wärme für dieses kleine Wesen in ihm aus, als Viola ihn mit großen blaue Augen ansah...“
Auf der Insel Rügen findet im Jahre 1990 die Beerdigung von Heinrich von Langenberg statt. Martha Dannert sieht die Frau von fern, die sie jahrelang schikaniert hat.
Dann wechselt die Handlung ins Jahr 1939. Die 19jährige Flora Hoffmann wächst zusammen mit 5 Schwestern auf Rügen auf. Sie träumt von einem besseren Leben. Als ihr die Arbeitsstelle gekündigt wird, sucht sie sich zielstrebig eine neue. Graf Heinrich von Langenberg ist das Ziel ihrer Wünsche.
Die Autorin hat einen fesselnden Roman geschrieben, der in zwei Zeitebenen spielt. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen.
Im Mittelpunkt des Geschehens im Jahre 1939 steht Flora. Die junge Frau sieht zu Hause nur Arbeit und Entbehrung. Für die Liebe der Mutter hat sie keinen Blick. Es gibt einen einzigen Menschen, dem ihre Zuneigung gilt. Das ist ihre jüngste Schwester Rosa. Um ihre Ziele zu erreichen, lügt, betrügt und intrigiert Flora. Sie liebt Heinrich nicht, nur sein Geld.
Der zweite Handlungsstrang spielt 1990. Viola erfährt vom Tode ihres Vaters. Zusammen mit ihrem Mann Maurice reist sie aus Marseille an, um Abschied zu nehmen. Dabei vermeidet sie es tunlichst, ihrer Mutter zu begegnen. Seitdem sie einst ihr Elternhaus verlassen hat, hat sie jeden Kontakt abgebrochen. In ihrem Herz brennt eine Wunde, die auch die Jahre nicht geheilt haben. Sie gibt der Mutter die Schuld, dass man ihr einst das Kind weggenommen hat. Jetzt halten sie und Maurice die Zeit für gekommen, die Suche nach Lilly aufzunehmen. Durch den Wegfall der innerdeutschen Grenze sind jetzt Wege offen, die bisher versperrt waren.
Der Schriftstil ist ausgefeilt und abwechslungsreich. Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Das geschieht nicht nur durch Worte, sondern vor allem durch ihr Handeln. Obiges Zitat zeigt, mit welch treffenden Worten die Emotionen der Protagonisten wiedergegeben werden. Heinrich liebt seine Frau, weiß aber bald, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Dafür gilt nun alle seine Liebe seiner kleinen Tochter Viola. Floras Ehrgeiz lässt ihr keinen Raum für Mutterliebe. Sie allein möchte im Mittelpunkt stehen. Das Kind war nur Mittel zum Zweck und ermöglichte die Hochzeit. Sie überlässt das Kind Martha, die sie als Kindermädchen engagiert hat. Es macht Flora nicht gerade sympathisch, dass sie gegenüber dem Personal fordernd und herrschsüchtig auftritt. Gleichzeitig werden die gesellschaftlichen Verhältnisse deutlich herausgearbeitet. Während der Graf nichts mit den Nazis zu tun haben will, macht Flora heimlich mit ihnen Geschäfte. Heinrichs Mutter toleriert das in der Hoffnung, dass Heinrich dadurch vom Kriegsdienst verschont bleibt.
Land und Leute werden sehr gut beschrieben. Der Gegensatz zwischen Floras ärmlicher Herkunft und der Villa des Grafen wird in passende Vergleiche gefasst. Die Autorin beherrscht das Spiel mit Metaphern.
In dem Strang der Gegenwart durchzieht die zarte Hoffnung von Viola, endlich zu erfahren, wo ihr Kind ist, wie ein roter Faden die Kapitel. Jetzt lerne ich als Leser auch eine neue Flora kennen. Bisher waren Menschen nur Spielfiguren in ihrer Lebensplanung. Jetzt spürt die plötzlich die Einsamkeit und sucht Versöhnung mit ihrer Tochter. Hat sie sich aber wirklich geändert?
Viele Geschehen aus der Vergangenheit werden nur angedeutet. Der gräflichen Familie gelingt es, kurz vor der Niederlage Deutschlands Rügen zu verlassen und bei der Verwandtschaft in Hannover unterzukommen. Was danach geschieht, bleibt vorerst zum großen Teil im Dunkeln. Es dürfte Inhalt des zweiten Teils sein.
Das Cover mit dem Blick auf das Meer und die Villa sowie den Blüten des roten Oleanders
weckt Interesse.
Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Die komplexen Beziehungen der Protagonisten und die offenen Fragen der Vergangenheit haben für einen hohen Spannungsbogen gesorgt.