Aquila ist ein sehr empfehlenswerter, unheimlich packender Jugendthriller und definitiv einer der besten von Ursula Poznanski, wenn nicht vielleicht sogar der beste. Es gelingt ihr von Anfang bis Ende eine sehr beklemmende, nervenaufreibende Atmosphäre aufrecht zu erhalten, der man sich einfach nicht entziehen kann.
Man ist von Beginn an sofort vom Geschehen gefesselt und kann Nikas Wunsch herausfinden zu wollen, was in den Tagen, an die sie sich nicht mehr erinnern kann, passiert ist, nur zu gut verstehen, denn man selbst möchte ebenfalls unbedingt wissen, was genau geschehen ist und kann es kaum erwarten endlich Antworten auf die vielen Fragen zu finden. Gemeinsam mit Nika begibt man sich daher auf eine atemlose und keinesfalls ungefährliche Spurensuche, auf die Jagd nach ihren Erinnerungen.
Eine Stadt wie Siena mit ihrer historischen Altstadt, in der es mit Sicherheit viel zu entdecken gibt, ist dafür grundsätzlich ein tolles Setting. Wenn man noch nie selbst dort gewesen ist, kann man sich einige Orte nur anhand der Beschreibungen zwar leider nicht bildlich vorstellen, dank der konkreten Benennungen hat man jedoch immerhin die Möglichkeit sich im Internet Photos davon anzusehen, was man durchaus des Öfteren in Anspruch nimmt, um ebenfalls genau betrachten zu können, was Nika gerade vor sich sieht. Die typisch italienische Mentalität hat Ursula Poznanski hingegen sehr anschaulich eingefangen und auch die italienische Sprache lässt sie regelmäßig in ihre Dialoge einfließen. Dadurch fühlt man sich gut in das mediterrane Land hineinversetzt, so als wäre man gerade tatsächlich dort.
Trotz des personalen Erzählers fühlt man sich Nika sehr verbunden und fiebert die ganze Zeit über mit ihr mit. Man würde vielleicht nicht immer genauso handeln wie sie, zumal ihr Verhalten manchmal ziemlich naiv erscheint, kann aber zumindest nachvollziehen, warum sie dieses oder jenes tut bzw. denkt, und sich somit gut in sie hineinversetzen. Man sollte zudem vermutlich bedenken, dass Nika noch recht jung und zum ersten Mal allein im Ausland ist. Sie steht unter Schock und ist mit der Situation logischerweise überfordert, schließlich wird man nicht täglich mit solch schweren Vorwürfen konfrontiert und der Blackout, den ihr der ermittelnde Kommissar verständlicherweise nicht wirklich abnimmt und der sie nicht weniger verdächtig macht, ist alles andere als hilfreich. Dass die drohende Anklage ihr dem Anschein nach manchmal keine großen Sorgen bereitet und sie selbst weder ihre Mutter – verdienter Urlaub hin oder her – noch wenigstens einen Anwalt kontaktiert oder sich an die deutsche Botschaft wendet, wirkt demzufolge allerdings nur umso realitätsferner.
Da der Erzähler auf Nikas Sicht beschränkt ist, weiß man als Leser nie mehr als die Protagonistin. Man hat lediglich die Möglichkeit Spekulationen anzustellen bzw. seine eigenen Schlüsse zu ziehen, während man mit ihr miträtselt. Sie hat nur sehr wenige Anhaltspunkte und die meisten davon hat sie so gut verschlüsselt, dass sie sie selbst nicht mehr entwirren kann. Sie kann sich lediglich auf ihr Unterbewusstsein verlassen, das zum Teil sehr deutliche Reaktionen zeigt, obschon Nika den Grund dafür (noch) nicht kennt. Irgendwann ist die Verzweiflung so groß, dass sie einfach nur noch die Wahrheit wissen will, ungeachtet aller Konsequenzen, die sie erwarten, falls sie tatsächlich schuldig sein sollte.
Die Handlung ist konstant spannend und definitiv nie langweilig. Beinahe jede Antwort, die man schließlich erhält, wirft neue Fragen auf und die Stimmung wird zunehmend bedrohlicher. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass Nika eine Schlinge um den Hals trägt, die sich ständig weiter zuzieht, während sie verzweifelt versucht sich daraus zu befreien und zu ergründen, was in den verlorenen Tagen passiert ist. Schnell wird klar, dass in der verschwundenen Zeit etwas Schreckliches geschehen sein muss und Nika offenbar in großen Schwierigkeiten steckt. Bereits vor Nika hat man den Verdacht, dass sie entweder unter Drogen gesetzt wurde oder ihr etwas so Furchtbares widerfahren ist, dass ihr Gehirn das Erlebte zum Zwecke des Selbstschutzes verdrängt hat, weil sie nicht im Stande ist es zu verarbeiten. Doch das Schlimmste ist, dass Nika, da sie keinerlei Erinnerungen an diese Tage hat, nicht einmal sicher ausschließen kann, dass sie selbst etwas Fürchterliches getan hat, so gern sie das auch glauben würde.
Im Verlauf der Geschichte stellt man immer wieder neue Theorien auf, die sich größtenteils allerdings nicht bewahrheiten. Die Richtung, die das Ganze einschlägt, wird jedoch immer mysteriöser und beängstigender, manche Szenen lassen das Herz regelrecht höher schlagen. Vieles deutet auf einen dramatischen Vorfall hin und statt eines harmlosen, wenngleich geschmacklosen Scherzes, wie anfangs noch vermutet, hat man es mit einer bitterernsten Situation zu tun, die für ein flaues Gefühl im Magen sorgt.
Unklar ist darüber hinaus, wem Nika überhaupt trauen kann, da sie ohne ihre Erinnerungen nicht weiß, wer noch in die Sache verwickelt – möglicherweise sogar der Täter – ist. Man freut sich zwar als sie Hilfe von jemandem bekommt, der vor allem die sprachliche Barriere überwinden kann – Nikas Italienisch ist leider nicht sonderlich gut – kann aber nicht verhindern, dass zugleich der Verdacht aufkeimt, dass mehr dahinter steckt als nur selbstlose Hilfsbereitschaft und diese Person Nika etwas Wichtiges verschweigt. Trotz der Zweifel möchte man ihr jedoch gern sein Vertrauen schenken und hofft sich nicht so in ihr zu täuschen.
Schön und erfreulich realistisch ist der Umstand, dass Nika sich nicht auf mehr als bloße Freundschaft mit dem attraktiven Italiener einlässt, der Interesse an ihr zeigt. Solange sie nicht weiß, was geschehen ist und wie es überhaupt weitergehen soll, hat sie verständlicherweise keinen Kopf für so etwas, immerhin wird sie letztlich verdächtigt jemanden getötet zu haben und darf Siena deshalb auch nicht verlassen. Eine wirkliche Liebesgeschichte beinhaltet Aquila dementsprechend nicht.
Mit der Zeit stößt man auf immer mehr Puzzlestücke, alle Zusammenhänge erschließen sich einem aber erst ganz zum Schluss und ergeben erst dann ein vollständiges Bild. Einen Charakter hat man rigoros unterschätzt bzw. völlig falsch eingeordnet und man ist jedes Mal aufs Neue schockiert, zu was für kaltblütigen, wahrlich beängstigenden Taten dieser fähig war. Als gewisse Ereignisse endlich ans Licht kommen, läuft es einem daher kalt den Rücken hinunter.
Ursula Poznanski stellt es darüber hinaus auch in den letzten Kapiteln äußerst geschickt an: Sie enthüllt einen zeitlichen Abschnitt, hält jedoch innerhalb davon gleichzeitig noch ausschlaggebende Informationen zurück, sodass man nicht nur unbedingt weiterlesen will, sondern bis zum vorletzten Kapitel weiterhin im Dunkeln tappt und die alles entscheidenden Fakten nicht kennt.
Die Auflösung ist der Autorin infolgedessen ausgesprochen gut gelungen und alles andere als vorhersehbar, denn mit so einem perfiden, von der wahren Schuldigen perfekt eingefädelten Plan hätte man niemals gerechnet. Die letzten Erkenntnisse, die das Blatt noch einmal wenden, kommen völlig überraschend und unerwartet. Alle losen Enden werden gekonnt zusammengeführt, alle offenen Fragen zur Zufriedenheit beantwortet. Danach folgt außerdem noch ein letztes Kapitel, mit dem man die Geschichte wunderbar ausklingen lassen kann und das einen kurzen Ausblick darauf gewährt, wie Nika mit der ganzen Sache umgehen und wie ihre Zukunft nun vielleicht aussehen wird.
FAZIT
Mit Aquila hat Ursula Poznanski eine großartige Idee gekonnt umgesetzt und erneut einen unheimlich spannenden Jugendthriller geschrieben, bei dem kleinere Kritikpunkte zwar vorhanden sind, insgesamt aber nicht weiter ins Gewicht fallen.