Wir waren hier
“Wir waren hier” von der deutschen Autorin Nana Rademacher ist ein dystopischer Roman über ein zerstörtes Berlin im Jahre 2039. Eine Geschichte übers Überleben, über die Sehnsucht nach einer besseren Welt ...
“Wir waren hier” von der deutschen Autorin Nana Rademacher ist ein dystopischer Roman über ein zerstörtes Berlin im Jahre 2039. Eine Geschichte übers Überleben, über die Sehnsucht nach einer besseren Welt und die einer Liebe mitten in den Zeiten eines endlosen Krieges. Schwermütig und bewegend. Zum Nachdenken anregend. Für Jugendliche ab 13 Jahren und Erwachsene.
Berlin. 2039. Eine Militärregierung hat die Stadt übernommen. Die 15-jährige Anna und ihre Eltern leben in ständiger Angst und Sorge. Es herrscht Krieg. Vor Jahren hat er begonnen, Anna weiß nicht einmal mehr genau, wer angefangen hat. Es war irgendeine Wirtschaftskrise, es waren Naturkatastrophen, es waren Kriege um Ressourcen. Jetzt ist es von einem Krieg von Staaten zu einem Bürgerkrieg geworden. Nirgendwo kann man sich mehr sicher fühlen. “Vor einer Woche oder so ging es auf einmal wieder los. Wie ein Vulkan unter Druck, der plötzlich ausbricht. Aber nie ändert sich was. Alles wird nur schlimmer. Wir rennen von Ecke zu Ecke. Springen, so schnell es geht, über die Schuttberge. Immer wieder wird geschossen…”(Zitat S.16) Mal gibt es Strom, mal nicht. Mit Nahrungsmitteln werden sie nur notdürftig von den Soldaten versorgt. Hunger zu haben, das ist an der Tagesordnung. Annas Mutter ist nur noch ein Strich in der Landschaft. “Eben hat mein Vater meine Mutter an den Schultern gepackt und gesagt: “Wir werden auch diesen Winter überlebe, verstehst du? Wir werden nicht sterben. Keiner von uns.” Sie hat nur dagestanden und nichts gesagt. Alle fürchten sich vor der Kälte. Die Angst trippelt herum wie eine panische Maus, die weiß, dass überall Katzen lauern.” (Zitat S.19) Anna führt heimlich einen Blog. Das All-Net ist nicht sehr stabil, funktioniert aber noch. Doch die Web-Polizei ist eine ständige Gefahr. Anna nutzt einen abseitigen Server, um der WePo nicht in die Arme zu fallen. Dennoch hofft sie, dass es jemanden gibt, der ihre Worte vielleicht lesen kann. Oder jemanden in 100 Jahren, der vielleicht nicht mehr so leben muss wie sie. Bis sie eines Tages Ben kennenlernt. Der ihren Blog verfolgt. Der ihr Nachrichten schreibt. Zwar unregelmäßig, da auch er nicht immer Strom und Empfang hat und einmal von der Polizei inhaftiert wird, aber dennoch: “mein Instinkt sagt mir jetzt, dass es gut wäre, dich zu sehen. du bist bestimmt wunderschön.” (Zitat S.38) Und Ben und Anna sehen sich. Eine zarte Liebe entsteht zwischen den beiden. Aber dann sterben Annas Eltern und das Mädchen ist auf sich alleine gestellt. Und sie muss feststellen, dass auch Ben einige Geheimnisse vor ihr hat…
“Wir waren hier” ist ein Endzeitroman, der in drei Teilen erzählt wird. Im ersten Teil sind Annas Blogbeiträge mit datierten Überschriften zu lesen. Diese werden immer wieder durch Chatgespräche zwischen Anna und Ben unterbrochen. Im zweiten Teil, der wie alle Teile aus Annas Sicht und der Ich-Perspektive geschildert wird, berichtet sie so aus ihrem Leben, sie hat keine Möglichkeit mehr ihre Erlebnisse zu bloggen. Der dritte Teil beginnt und endet zugleich mit einem letzten Blogbeitrag. Die Sprache ist einfach und klar, sie wirkt sehr deutlich und intensiv. Nana Rademacher schafft es gut Stimmungen zu erzeugen: ”…es liegt eine Spannung in der Luft, als hätte jemand ein Gummiband zu straff gezogen. Es könnte bald reißen, und dann geht’s wieder los mit den Aufständen. Mal schießen die Soldaten auf uns, mal geben sie uns Brot. Nichts ist sicher.” (Zitat S.45) Jedoch ist der Grundton der Geschichte eher bedrückend. Wenn Anna von ihrem jetzigen Leben erzählt oder von den Erinnerungen an früher: “Da fällt mir meine Mutter in. Immer redet sie von früher. […] Früher, als es noch Arbeit gab, früher, als es noch grasgrünen Frühling gab und blätterbunten Herbst, früher als es noch Frieden gab. Früher ist tot. Genauso wie morgen schon heute tot ist.” (Zitat S.19) Niemand weiß, wie es weitergehen wird. Ob eine Flucht aufs Land besser ist als ein Leben in der Stadt. Ob sie nicht im nächsten Aufstand einfach erschossen werden. Da schluckt man als Leser manchmal schon ganz schön: “Mein Vater wird immer stiller. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Heute Morgen hat er mich angesehen und leise gesagt: “Manchmal möchte ich einfach aufgeben.” (Zitat S.81) Und man macht sich unweigerlich Gedanken darüber, was dazu geführt haben könnte, dass es in Annas Welt jetzt so ist, wie es ist. Ob so etwas verhindert werden könnte. Und wie.
Der Roman liest sich nahezu durchgehend interessant. Zuweilen sogar recht dramatisch und aufreibend. Dann wieder sanfter, ruhiger und sogar ein bisschen poetisch: “In dieser Nacht gibt es keinen Krieg. Alles ist zugedeckt von einer weißen, weichen Decke aus Stille und Frieden. Es schneit, wie es noch nie zuvor geschneit hat. Es gibt keine anderen Menschen mehr auf der Erde. Nur uns beide, Ben und mich. Was für ein schöner Gedanke. Gleich werden wir den Rand der Welt erreichen, noch einen Schritt machen und uns ins warme Nichts fallen lassen wie Schneeflocken.” (Zitat S.104) Das Ende lässt den Roman noch einmal in einem ganz anderen Licht da stehen.