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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.12.2017

Ein Phantom ist es nicht

Wer ist B. Traven?
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dem der junge Reporter Leon hinterherjagen soll: B. Traven hat immerhin schon den ein oder anderen Roman geschrieben, jetzt - das heißt, im Jahre 1947 - wird einer sogar verfilmt. Und zwar von John Huston ...

dem der junge Reporter Leon hinterherjagen soll: B. Traven hat immerhin schon den ein oder anderen Roman geschrieben, jetzt - das heißt, im Jahre 1947 - wird einer sogar verfilmt. Und zwar von John Huston höchstpersönlich mit Starbesetzung - Humphrey Bogart und seine Frau Lauren Bacall, aber auch Walter Huston, der Vater des Regisseurs, sollen als Kassenmagneten wirken und natürlich auch dem Film sein gewisses Etwas verleihen.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Kein Wunder, denn den Film, "Der Schatz der Sierra Madre" nämlich, gibt es wirklich. Und beide Hustons bekamen dafür Oscars: John für die beste Regie und Walter für die beste Nebenrolle.

Ebenso wurde Zeit seines Lebens (da seine Bücher seit Mitte der 1920er Jahre entstanden, kann man mit absoluter Sicherheit davon ausgehen, dass dieses bereits seit geraumer Zeit vorbei ist) über die Identität des Autors B. Traven spekuliert. Die bekanntesten Thesen dazu fließen in diesen Roman ein, wie auch der Autor Torsten Seifert an anderer Stelle Realität und Fiktion geschickt vermengt.

Der Start wurde mir durch die westernartige Aufmachung (Gringo kommt nach Mexiko, um Rätsel zu lösen und kämpft dabei gegen alle) ein bisschen verleidet, aber meine Geduld wurde belohnt, der Roman spannender, die Geschichte bissiger, ja, stellenweise troff sie regelrecht vor Ironie und so konnte ich die Geschicke des Reporters Leon mit großem Vergnügen begleiten.

Torsten Seifert versteht es, seinen Figuren Leben einzuhauchen - bis zu einem gewissen Punkt. Dann verliert sich alles ein bisschen, was zwar gut zur Geschichte passt, was ich aber in Bezug auf die Charaktere dennoch als schade empfinde. Auch werden nicht alle Erzählstränge aufgelöst, was absolut passend ist, aber dass der Mord ganz zu Beginn des Romans absolut keine Rolle mehr spielt, das fand ich dann doch ziemlich schade.

Auf jeden Fall eine Geschichte, die lebendig, zeitweise sogar waghalsig daherkommt und gut unterhält - mir hat sie zudem jede Menge Anregungen für diverse Google-Aktionen gegeben!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Demaskierung einer vollkommenen Gesellschaft

Dann schlaf auch du
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anhand einer perfekt scheinenden Familie und ihrem ebenso einwandfreien Kindermädchen. So jedenfalls erscheinen Myriam und Paul mit ihren Kindern Mila und Adam sowie auch Louise, die bei ihnen angestellt ...

anhand einer perfekt scheinenden Familie und ihrem ebenso einwandfreien Kindermädchen. So jedenfalls erscheinen Myriam und Paul mit ihren Kindern Mila und Adam sowie auch Louise, die bei ihnen angestellt wird, ganz zu Beginn.

Ganz zu Beginn? Nein, stopp, das kann nicht sein, steht doch gleich zu Beginn, an erster Stelle, der Mord an den beiden noch kleinen Kindern. Und es kann eigentlich nur Louise gewesen sein. Aber was steckt dahinter?

Das ist das Wesentliche an diesem Roman, die Enthüllung der Wahrheit, die Demaskierung einer als perfekt erscheinenden Welt: Ein junges Paar mit kleinen Kindern schlägt sich herum mit Luxusproblemen. Wo wohl ist die perfekte Nounou, das perfekte Kindermädchen zu finden. Und: Oh, Wunder, sie finden sie mit Louise. Diese hat nicht nur die Kinder, sondern auch den Haushalt schnell im Griff, so schnell, dass das beruflich erfolgreiche Paar selbst im Urlaub nicht auf sie verzichten will.

Aber es gibt ein Dahinter: bei allen Akteuren, vor allem jedoch bei Louise. Und das hat mit ihrer sozialen Situation, ihrer Stellung in der Gesellschaft zu tun. Falsch, eigentlich mit dem gesamten sozialen Gefüge wie es hier im Roman präsentiert wird: Wer weiß was über wen, wen interessiert was, wer sorgt sich um wen? Welche Rechte hat eine Haushaltsangestellte, also eine Dienstbotin in Bezug auf ihr eigenes Leben, ihre Sorgen und Nöte? Wen darf sie mit so etwas belästigen?

Ein Angriff auf das soziale Gefüge in Frankreich, in Europa eigentlich, wenn auch ein leiser. Aber er erfolgt mit voller Kraft, mit einer solchen Wucht wie ihn ein Roman überhaupt bieten kann.

Ein ungewöhnliches Buch mit einem gewaltigen Nachhall - und eines, das mir dauerhaft Bauchschmerzen bereitet, denn allzuviel Hoffnung transportiert es nicht!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Die tragischen Wege einer deutschen Familie

Die Affekte
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Eine deutsche Familie in Südamerika: in den 1950ern gab es viele solche, entweder hatten sie sich bereits in den 1930ern abgesetzt oder aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg - klare Hinweise auf die jeweilige ...

Eine deutsche Familie in Südamerika: in den 1950ern gab es viele solche, entweder hatten sie sich bereits in den 1930ern abgesetzt oder aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg - klare Hinweise auf die jeweilige Abstammung bzw. Gesinnung. Familie Ertl gehört zur zweiten Kategorie: Vater Hans war ein erfolgreicher, für seine Zeit extrem innovativer Kameramann, der im Dritten Reich unglaubliche Erfolge feierte, bspw. im Olympia-Film von Leni Riefenstahl. Auch wenn er selbst nicht sehr politisch dachte, wirkten diese Erfolge natürlich nach und er fand keinen Platz im Nachkriegsdeutschland. Also Bolivien - mit der ganzen Familie.

Jahrzehnte später entwickelte sich seine Tochter Monika zu einer linksradikalen Guerillakämpferin, die ein tragisches Ende nahm.

Es sind Wege einer deutschen Familie, die hier geschildert werden, mehrere, weil diese Familie auseinanderdriftet, keinen Zusammenhalt mehr hat und unterschiedliche Lebensrichtungen einschlägt. Gewiss, Vater Hans und die älteste Tochter Monika sind sicher die hauptsächlichen Protagonisten, doch dieser kurze, dennoch extrem gehaltvolle und eindringliche Roman lebt vor allem davon, dass unterschiedliche Sichtweisen geschildert werden, so auch die der jüngeren Töchter Heidi und Trixi. Und diese betreffen nicht nur Hans und Monika, sondern auch die Wahrnehmung der anderen Familienmitglieder und geben Einblick in das Gefüge.

Hasbún hat sich einiges an dichterischer Freiheit bewahrt, wozu er ja auch jedes Recht hat - die Rolle von dem in Bolivien als Klaus Altmann lebenden Klaus Barbie bei Monika Ertls Tod bleibt bspw. völlig außen vor.

Meiner Ansicht nach ist dieser Roman überhaupt nichts für Leser, die nicht an Geschichte interessiert sind und nicht in den Hintergrund des Romans eintauchen wollen. Denn ich kann mir nicht vorstellen, was sie von diesem Roman haben sollten - in solchen Fällen sind und bleiben diese Schilderungen böhmische bzw. bolivianische Dörfer für den Leser.

Schwere Kost also? Eigentlich nicht, finde ich, denn der junge Autor schreibt leichtfüßig und wortgewandt, es macht Spaß, ihm zu folgen, auch wenn die Materie an sich natürlich keine einfache ist.

Ein kleines Buch, das großen Gewinn für seine Leser bringen kann, aber nicht muss. Definitiv kein Buch für jedermann. Ich empfehle es von Herzen weiter, allerdings mit den erwähnten Einschränkungen.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Der Mensch hinter der Tat

Ich schreibe Ihnen im Dunkeln
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Der Mensch hinter der wahren Tat, dem Mord am ehemaligen Verlobten: das ist Pauline Dubuisson. Ein Mord im Affekt war es, einer, der von einer schon vorher geschundenen und mißhandelten Frau begangen wurde, ...

Der Mensch hinter der wahren Tat, dem Mord am ehemaligen Verlobten: das ist Pauline Dubuisson. Ein Mord im Affekt war es, einer, der von einer schon vorher geschundenen und mißhandelten Frau begangen wurde, einer, der nach dem Ende der deutschen Besetzung Frankreichs, also dem Ende von Vichy-Frankreich, die Haare geschoren wurden. Was das heißt, weiß jeder, der sich zumindest ein wenig mit dem historischen Hintergrund, den Zusammenhängen, beschäftigt hat. Nichts Gutes jedenfalls, ganz und gar nicht.

Der Autor Jean-Luc Seigle gibt Pauline Dubuisson eine Stimme: sie ist die Erzählerin in diesem Buch, sie schildert ihre Sicht der Dinge. Selbstverständlich eine fiktive Sicht: Pauline hat bereits Anfang der 1960er Jahre das Zeitliche gesegnet, einer der vielen Selbstmordversuche war irgendwann erfolgreich.

Ein trauriges, ein ungerechtes Ende. Das arbeitet Jean-Luc Seigle ganz klar heraus und noch mehr: auf eine gewisse Art und Weise gibt er Pauline Dubuisson ihre Würde wieder. Es ist keine Rehabilitation, die hier stattfindet, das liegt nicht in der Absicht des Autors, denn er verurteilt Pauline Dubuisson gar nicht erst. Er zeigt sie als Menschen, dem tiefste Ungerechtigkeit widerfahren ist, schon früh - ja, und dann ergab eines das andere.

Dabei bleibt er - da er ja Pauline sprechen lässt, gewissermaßen außen vor, er lässt nicht andere urteilen. Im Gegenteil, er erklärt sich mit Pauline in der Hinsicht solidarisch, dass er sie berichten lässt, sie ihre Geschichte erzählen lässt. Eine Geschichte, die schmerzhaft ist für den Leser, so war es jedenfalls bei mir. Denn es ist die Geschichte eines unglücklichen Menschen, die hier geschildert wird, ein Leben, das nicht glücklich enden kann.

Jean-Luc Seigle schreibt sich einen Wolf, könnte man sagen: kraftvoll und stimmgewaltig auf eine stille Art und Weise ist das Buch, das ich dennoch nicht gern gelesen habe. Die Gründe dafür können sie oben lesen. Selbstverständlich empfehle ich es dennoch aus ganzem Herzen. Wenn auch nicht jedem: wenn sie sich auf diese Lektüre einlassen, benötigen Sie richtig, richtig viel Kraft. Aber dies ist ein Wagnis, das sich lohnen könnte!
Autor: Jean-Luc Seigle

Veröffentlicht am 20.12.2017

Ermittlungen im Gelobten Land

Die letzte Sünde
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Die junge Autorin Katharina Höftmann bietet uns einen klassischen Whodunnit mit allem Zipp und Zapp in ungewöhnlichem Setting, nämlich in Tel Aviv, der inoffiziellen Hauptstadt und dem schillernden Zentrum ...

Die junge Autorin Katharina Höftmann bietet uns einen klassischen Whodunnit mit allem Zipp und Zapp in ungewöhnlichem Setting, nämlich in Tel Aviv, der inoffiziellen Hauptstadt und dem schillernden Zentrum des israelischen Nachtlebens. Wer packend und eloquent formulierte, atmosphärische Krimis liebt, der ist mit Höftmanns erstem Krimi gut bedient.

Worum geht es? Eine junge Frau wird tot in einer Sprachenschule aufgefunden. Kommissar Assaf Rosenthal, eine Art israelischer James Bond und ehemaliger Armeeoffizier, ganz neu im Polizeidienst, ermittelt. Dabei tun sich Abgründe auf - genauso faszinierend ist allerdings das Drumherum, sein Team und die im Zusammenhang mit dem Mord auftauchenden Figuren, von denen jede einzelne ungeheuer plastisch und authentisch rüberkommt.

Der Auftakt zu einer Serie, wie die Autorin bereits angekündigt hat. Ich für meinen Teil bin trotz kleiner Abstriche, die vor allem die sich schon recht früh abzeichnende Auflösung des Falles und den in meinen Augen etwas zu sehr in den Mittelpunkt gestellten und dadurch vom Mord ablenkenden Auftritt des Kommissars als Frauenheld betreffen, bereits jetzt ein Riesenfan der Krimis von Katharina Höftmann! Die Autorin hat mit ihrem neuen Krimi eine Lücke auf dem deutschen Krimimarkt gefüllt und kann trotz der erwähnten kleinen Schwächen bereits jetzt mit so großartigen deutschen Krimiautoren wie Nele Neuhaus oder Siegfried Langer mithalten. Ich jedenfalls fiebere dem nächsten Werk aus der Feder dieser Autorin bereits jetzt entgegen!