Cover-Bild Villa Europa
8,90
inkl. MwSt
  • Verlag: Suhrkamp
  • Genre: Krimis & Thriller / Krimis & Thriller
  • Seitenzahl: 535
  • Ersterscheinung: 19.05.2008
  • ISBN: 9783518460122
Ketil Bjørnstad

Villa Europa

Roman
Ina Kronenberger (Übersetzer)

Erik Ulven gehören zur wohlhabenden Osloer Gesellschaft. Doch das Leben der Reichen beginnt Erik zu langweilen. So verschwindet er eines Tages, ohne Abschied, um anderswo sein Glück zu machen. In sieben Jahren durchquert er Europa, erleidet einen finanziellen Verlust nach dem anderen und lebt von dem Geld, das seine Frau ihm schickt. In der Zwischenzeit richtet diese die Zimmer des Hauses in der Art der Länder ein, die ihr Mann bereist.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

[rezension] - Villa Europa von Ketil Bjornstad

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Viele sehnen sich danach, die ganze Welt bereisen zu können. Erik Ulven träumt nicht länger, sondern verlässt seine Frau Nina und sein Zuhause in Norwegen, um durch Europa zu reisen. Nina Ulven verfolgt ...

Viele sehnen sich danach, die ganze Welt bereisen zu können. Erik Ulven träumt nicht länger, sondern verlässt seine Frau Nina und sein Zuhause in Norwegen, um durch Europa zu reisen. Nina Ulven verfolgt die Route ihres Mannes und richtet so die „Villa Europa“ ein. In ihr spiegelt die dramatische Familiengeschichte der Ulvens die Wirren des 20. Jahrhunderts wider.

Ketil Bjørnstad vereint in seinem 1992 erschienenen Roman „Villa Europa“ europäische Länder unter dem Dach einer Villa in Norwegen. Alles beginnt mit Erik und Nina Ulven. Sie ahnt nichts, als Erik plötzlich das große Anwesen und seine Frau verlässt. Mit schlechtem Gewissen schreibt er seiner Frau immer wieder Briefe mit seinem Aufenthaltsort und kehrt schließlich reumütig zurück. Doch Nina ist bereits verstorben. Als Nachlass hat sie in dem gemeinsamen Haus seine Reiseroute nachgestellt. So gibt es jetzt Zimmer, die nach ungarischen, transsilvanischen und schweizerischen Vorstellungen eingerichtet sind.



Immer wieder die „Villa Europa“
Erik beschäftigt Ovidia, eine Frau aus dem Nachbarort, als Haushälterin. Nach einer Vergewaltigung bringt sie ein Kind von ihm zur Welt, während er unter mysteriösen Umständen stirbt. Sie erbt die gesamte „Villa Europa“, wie das Haus nun genannt wird. Über vier Generationen und das gesamte 20. Jahrhundert wird die Familiensaga Ulven und die Geschichte Europas erzählt. Wie Erik verlassen auch die Kinder und Kindeskinder in den folgen Jahrzehnten die Villa. Manche freiwillig, manche unfreiwillig – und doch kehren fast alle in das Haus in Norwegen zurück, das in den Kriegs- und Nachkriegszeiten auch Anlaufstelle für Flüchtlinge aus aller Welt ist.

Tolle Grundidee
„Villa Europa“ ist eines der anspruchsvollsten aber auch erfolgreichsten Bücher des norwegischen Autors Ketil Bjørnstad. Ein Buch, das sich über ein gesamtes Jahrhundert erstreckt, hatte ich persönlich noch nie gelesen und so wusste ich nicht, was ich erwarten sollte. Die Grundidee gefiel mir sehr gut, war es doch mal etwas anderes als immer nur Krimis zu lesen. Ich reise sehr gern und liebe es, mehr über die Kulturen und Traditionen anderer Länder zu lernen - dazu könnte mir dieses Buch verhelfen, so dachte ich. Was sich Bjørnstad inhaltlich wirklich spannend überlegt hat, fand ich jedoch in der Umsetzung nicht so gut. Der Schreibstil ist an einigen Stellen ziemlich monoton und lässt sich dadurch nicht flüssig lesen. Teilweise verfiel ich auch dem Drang, Seiten nur zu überfliegen, statt sie wirklich zu lesen.

Typische Geschlechterrollen
Dennoch wird vor allem der revolutionären Frauenrolle Tribut gezollt. Einziges Problem hierbei: die typischen Geschlechterrollen. So sind die Frauen eigentlich schwach und unterwürfig, tragen aber dennoch den Revolutionsgedanken in sich. Männer hingegen trinken nur Bier, rauchen und vergnügen sich entweder in gewissen Etablissements oder, wenn sie nicht warten können oder wollen, nehmen sie sich die Frauen auch einfach auf der Straße und vergewaltigen sie. Was mich dabei wundert – gut wir haben jetzt natürlich schon wieder eine ganz andere Zeit – ist , dass die Frauen das einfach so hinnehmen.

Mittendrin
Die wundervolle Natur Norwegens, aber auch die ruhige Landschaft in Transsylvanien sind sehr detailliert beschrieben. Auch die Städte in Rumänien, Italien und Griechenland werden so ausgemalt, dass man das Gefühl bekommt, man sei wirklich dort. Alles in allem finde ich den Roman im Grunde nicht schlecht. Wer also über monotonen Satzbau hinweg sehen kann und sich für Reisen, Familiengeschichten und die Rolle der modernen Frau interessiert, dem kann ich dieses Buch nur empfehlen.

Veröffentlicht am 04.08.2019

Traumhafte erste Hälfte, enttäuschende zweite Hälfte

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Villa Europa hat mich angezogen, weil hier die Geschichte einer norwegischen Familie über mehrere Generationen ("von der Belle Époque bis zum Fall der Berliner Mauer") erzählt wird. Gerade der Blick auf ...

Villa Europa hat mich angezogen, weil hier die Geschichte einer norwegischen Familie über mehrere Generationen ("von der Belle Époque bis zum Fall der Berliner Mauer") erzählt wird. Gerade der Blick auf Norwegen hat mich gereizt, weil ich von der dortigen Geschichte sehr wenig weiß.

Die erste Hälfte des Buches ist ganz wundervoll, hat mich durch die herrliche Sprache, den eigenen Stil gefesselt. Es gibt keine überflüssigen Passagen, der Erzählstil ist konzentriert, zeigt manchmal schön trockenen Humor ("Nicht viel später begann auch Onkel Eilif zu sterben. Er starb nicht so schnell und gekonnt wie Onkel Georg, aber er fing zumindest damit an."). Wir lernen einen angenehm überschaubaren Kreis an (teils skurrilen) Charakteren kennen, das Haus "Villa Europa" tritt fast als eigener Charakter dazu. Hier sind die einzelnen Zimmer nach europäischen Ländern benannt und entsprechend eingerichtet, was im Laufe der Geschichte zu gelungenen kleinen Anspielungen auf die politische Situation führt. Warum das Haus so eingerichtet ist, wird im ersten Kapitel erzählt, aber natürlich gibt es einen Hintergrund. Einige der Räume wurden mir irgendwann so vertraut, daß ich sie vor mir sah.

Gerade die ersten beiden Kapitel sind von Charakteren und Handlung her so ungewöhnlich, daß sie ihren ganz eigenen Zauber ausüben. Während ich manche Gedanken und Aktionen der Charaktere nicht nachempfinden konnte, waren sie doch so interessant, daß ich gerne weiterlas und mich daran erfreute, wie sich Haus, Hauseinwohner und Weltgeschichte ineinander verflochten. Die Weltgeschichte spielt zu Beginn eher eine Nebenrolle, fließt ab und an in Andeutungen ein. Erst ab den Jahren um den Zweiten Weltkrieg herum bestimmt sie Erzählung und Handlung stärker. Hier gibt es ausgesprochen interessante Informationen über Norwegen in dieser Zeit.

Gedankenwelt und Handlungen der Charaktere werden weiterhin gut dargelegt, differenziert geschildert, eine Fülle lesenswerter Themen gab es zu entdecken.

Leider fiel der Zauber des Buches mit der zweiten Hälfte abrupt und unwiderbringlich weg. Während die in der Weltgeschichte so interessanten 60 Jahre zwischen Belle Époque und Nachkriegszeit mit ihren Umwälzungen und Änderungen in der wunderbaren ersten Hälfte des Buches recht rasch behandelt werden (oft hätte ich mir hier mehr Ausführlichkeit gewünscht), ist die zweite Hälfte des Buches den etwa 25 Jahren zwischen Mitte der 60er und 1989 gewidmet. Und das wird leider ziemlich langweilig (wobei ich zugebe, daß mich diese Epoche per se nicht sonderlich interessiert). Die herrliche Sprache, die Konzentration aufs Wesentliche weicht quälend detailfreudigen Dialogen, bei denen man sich oft wie auf einer linken Studentenparty fühlt, so ausgiebig und klischeehaft wird doziert. Die Charaktere haben wenig mehr zu tun, als um sich selbst zu kreisen und sich selbst zu finden. Die psychologische Finesse der ersten Buchhälfte, die spannenden historischen Ereignisse weichen Beziehungsgezacker, politischen Vorträgen und sehr vielen Belanglosigkeiten. Ich hatte teilweise das Gefühl, zwei verschiedene Bücher in einem zu haben. Auch das vorher so präsente originelle Haus, die immerhin namensgebende Villa Europa, tritt in den Hintergrund und das ganze herrliche Geflecht des ersten Teils wird aufgeweicht, dazu noch durch viel zu viele neue, kaum eindrückliche, Charaktere zerfasert.

So sehr ich die erste Hälfte innerlich bejubelte, so sehr ärgerte ich mich über die zweite Hälfte.