In einem kleinen Dorf in Northumberland, am Rande der Zivilisation, wird Sylvia zusammen mit ihrer Mutter die nächsten Wochen verbringen müssen. Die Stadt fehlt ihr, ebenso wie ihre Freunde. Sie fühlt ...
In einem kleinen Dorf in Northumberland, am Rande der Zivilisation, wird Sylvia zusammen mit ihrer Mutter die nächsten Wochen verbringen müssen. Die Stadt fehlt ihr, ebenso wie ihre Freunde. Sie fühlt sich abgeschieden und nimmt die Landschaft um sie herum als leer wahr.
Doch mit Hilfe von Colin, einem Jungen aus dem Dorf und dessen Bruder Gabriel beginnt sie schon bald, die Welt und die Natur mit ganz anderen Augen zu betrachten. Da ist eine Musik, die die Landschaft erfüllt und die sie fasziniert. Alte Felsenmalereien und Totempfähle lassen Vergangenes nah erscheinen und als Sylvia schließlich zusammen mit Gabriel eine Knochenflöte aus dem Flügel eines Bussards schnitzt, verändert sich ihre Beziehung zu der Umgebung vollständig.
David Almond hat mit “Bone Music” ein besonderes Jugendbuch geschrieben. Er widmet sich einer Generation, die zwischen Klimastreiks, Zukunftsängsten und Hoffnung aufwächst. Es gelingt ihm, diese Themen, die auch Sylvia umtreiben und den Alltag ihres Stadtlebens mitbestimmen, mit philosophischen Gedanken und magischen Einschüben zu verbinden. Dabei verliert sich die Geschichte nie, bleibt inhaltlich stets nachvollziehbar und sprachlich ansprechend, stellenweise gar poetisch.
“Bone Music” stellt nicht nur für heranwachsende, sondern auch für erwachsene Leser eine bereichernde Lektüre dar.
Das Glashotel ist ein Hotel in der Wildnis Kanadas. Hier kommen die Reichen hin, um dem Alltag zu entfliehen und sich der Illusion hinzugeben können, dass sie von der Welt abgeschieden sind. In diesem ...
Das Glashotel ist ein Hotel in der Wildnis Kanadas. Hier kommen die Reichen hin, um dem Alltag zu entfliehen und sich der Illusion hinzugeben können, dass sie von der Welt abgeschieden sind. In diesem Hotel arbeitet auch Vincent, die Protagonistin des Romans, als Barkellnerin. Als sie eines Abends den Besitzer und Investmentbanker Jonathan Alkaitis bedient, nimmt ihr Leben eine Wende. Sie geht eine Beziehung mit Alkaitis ein, wird zu seiner “Vorzeigefrau” und betritt so eine Welt, die von Geld, Gier, Luxus und Langeweile geprägt ist.
Der Roman folgt neben Vincent und Alkaitis noch zahlreichen weiteren Charakteren. Da ist zum Beispiel Paul, Vincents Bruder, der Musiker werden möchte oder der Besitzer einer Reederei, der sein Vermögen bei Alkaitis angelegt hat. Sie alle sind miteinander verknüpft und bilden ein dichtes Netzwerk, das dem Roman seine Struktur verleiht.
“Das Glashotel” ist eine Analyse unserer Zeit und dringt in die Psyche der westlichen Gesellschaften und seiner Menschen ein. Der Roman geht der Frage nach, wie unterschiedliche Lebensgestaltungen im 21. Jahrhundert aussehen und auf welchen Wünschen und Idealen sie beruhen. Die Figuren wirken verloren, scheitern daran, ihren Platz in der Welt zu finden und bauen sich stattdessen mühselig schillernde und künstliche Fassaden auf, hinter denen sie sich verstecken können. Vincent steht stellvertretend dafür. Ihre Ehe beruht nicht auf Liebe oder Anziehung. Sie garantiert ihr lediglich ein Leben ohne finanzielle Probleme.
Der Glaube an Geld ist allgegenwärtig. Der Roman stellt dar, wozu Menschen in der Lage sind, wenn es um die Anhäufung von Reichtum und um Profit geht. Er zeigt, wie schnell sie dazu bereit sind, jegliche Moral und Werte hinter sich zu lassen. Und gleichzeitig lässt das Geld die Menschen im Roman ebenso schnell aufsteigen, wie es sie durch seinen Verlust wieder fallen lässt.
Obwohl der Roman durch seine Themen zu überzeugen vermag, wirkt er zuweilen nüchtern und schreibt dem Leser die Rolle eines unbeteiligten Zuschauers zu. Dazu tragen sicherlich auch die Sprünge zwischen Zeiten und Charakteren bei. Zusammenfassend lässt sich daher behaupten, dass der Roman zwar Schwachstellen hat und nicht während der gesamten Lektüre zu überzeugen vermag, insgesamt jedoch trotzdem lesenswert ist.
Astrid und Franzi sind die Protagonisten der zwei Erzählstränge dieses Romans. Astrid arbeitet in der heutigen Zeit in einem Biologiezentrum und ist der Natur sehr verbunden. Franzi, ihr Großvater, lebt ...
Astrid und Franzi sind die Protagonisten der zwei Erzählstränge dieses Romans. Astrid arbeitet in der heutigen Zeit in einem Biologiezentrum und ist der Natur sehr verbunden. Franzi, ihr Großvater, lebt als Junge während der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf einem Bauernhof. Sein Vater ist durch den Ersten Weltkrieg traumatisiert und sein Verhalten den Kindern gegenüber zeichnet sich durch Strenge aus. Die beiden Brüder müssen als Soldaten kämpfen und verlieren beide ihr Leben an der Front. Ihr Tod reißt die Familie in einen Abgrund, der durch das, was Franzis kleiner Schwester Elfi widerfährt, vertieft wird. Schuld, Trauma und Verlust lasten fortan auf Franzi.
Doch die eigentliche Protagonistin des Romans ist wohl Elfi, die indirekt immer präsent ist, auch im Titel, weil sie Franzis Namen lange Zeit nicht richtig aussprechen kann. Es ist ihre Geschichte, die erzählt wird und die stellvertretend steht für das unbeschreibliche Grauen und für die Unmenschlichlichkeit, die den Zweiten Weltkrieg auszeichnen.
Die Sinnlosigkeit des Krieges kommt immer wieder zum Ausdruck. So beschreibt ein Bruder den Krieg mit den folgenden Worten: “Das sind Bauern. Die sind wie wir. Die bestellen ihre Felder, machen ihren Wein, die haben Kühe und Schweine und Hühner, die sind genau wie wir. Und wir, wir machen alles kaputt.”
Krieg und Verlust werden in dem Roman auch auf die Natur übertragen. Das Verschwinden von Arten und der Verlust von Biodiversität werden durch Astrids Erzählstrang parallel gesetzt mit den menschlichen Verlusten während des Weltkriegs.
Daneben ist die Vergänglichkeit des Menschen im Angesicht der Natur ein Hauptthema des Romans. Doch trotz der Kürze seiner bisherigen Existenz hat er bereits unglaubliches Schrecken und Grauen erschaffen: “Es war die Spezies Mensch nicht viel mehr als ein Wimpernschlag, ein Augenaufschlagen und Staunen und Verlöschen. Die Zeit verflüssigte sich, oder sie stürzte geröllig über sie herein. Ein Wimpernschlag, und doch, und doch und doch und doch.”
Elisabeth Schmidauer schreibt in einer besonderen und poetischen Sprache, die sich durch viele Aufzählungen auszeichnet und die ihren ganz eigenen Rhythmus hat. Jedes Wort ist wohlplatziert und trägt dazu bei, dass die Geschichte sehr bildhaft wirkt und dass eine greifbare und dichte Atmosphäre entsteht. Gleichzeitig ist die Sprache stark geprägt von einem Wortfeld, das mit der Natur, den Pflanzen und Tieren zusammenhängt. Es ist dieses Zusammentreffen von Mensch, Krieg und Natur, die den Roman auf sprachlicher Ebene auszeichnet. Lediglich der Gebrauch von Majuskeln zur Hervorhebung und Betonung von Wörtern stört zuweilen den Lesefluss.
Schwere, Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit prägen die Geschichte zu gleichen Teilen. Manche Szenen sind dabei sehr berührend, zum Beispiel, wenn die Brüder nicht in den Krieg zurück wollen, aber der Vater sie dazu zwingt und die Geschichte im nächsten Moment die Ankunft des Briefträgers im Gasthaus beschreibt, der der Mutter durch seinen Blick signalisiert, dass die Brüder gefallen sind.
Schmidauer ist es gelungen, eine Geschichte über die “schwarze Welle der Schuld” zu schreiben, über Tod, Verlust, Krieg und auch über Aufarbeitung. Es ist jedoch insbesondere der Bezug zur Natur, der den Roman herausstechen lässt.
"Wie es sich wohl anfühlt, fragt sie sich? Ob man wirklich nichts davon spürt? Ob man einfach in den Zustand übergeht? Oder ob man doch stirbt?"
Menschen werden zu Bäumen. In Alina Lindermuths Roman "Stammzellen" ...
"Wie es sich wohl anfühlt, fragt sie sich? Ob man wirklich nichts davon spürt? Ob man einfach in den Zustand übergeht? Oder ob man doch stirbt?"
Menschen werden zu Bäumen. In Alina Lindermuths Roman "Stammzellen" ist das eine neuartige Krankheit, die sich global ausgebreitet hat. Bei der sogenannten Dendrose verwandeln sich die Körper von Menschen allmählich in Wurzeln, Rinde und Äste. Die Gründe für die Krankheit sind zunächst unbekannt und auch eine Aussicht auf Heilung gibt es nicht.
Ronja ist Ärztin und betreut die betroffenen PatientInnen und ihre Familien. Als sie Elio kennenlernt, der über Sprichwörter forscht, verliebt sie sich. Fortan versuchen die beiden in einer Welt, die zunehmend unsicherer wird, sich ein gemeinsames Leben aufzubauen.
DIe Natur schlägt in "Stammzellen" zurück, indem sie den Menschen auf radikale Art und Weise wieder zu einem Teil von ihr werden lässt. Sie zwingt ihn dazu, sich zu verwurzeln, sich in das Ökosystem einzufügen und zum natürlichen Gleichgewicht beizutragen. Dem gegenüber steht der von menschengemachte Klimawandel, der währenddessen voranschreitet und zu Umweltkatastrophen führt.
Lindermuth nähert sich ausgehend von dieser originellen Grundidee der Beziehung zwischen Mensch und Natur und dem Umgang des Menschen mit der Natur an. Es ist diese Grundidee, die den Roman zunächst ausmacht, sich allerdings im letzten Drittel ein wenig verliert, da dann der Fokus vor allem auf der Beziehung der beiden Hauptfiguren liegt. Die Entwicklung der Beziehung ist zwar nicht schlecht erzählt und auch das Ende ist durchaus stimmig, aber sie nimmt unerwartet und meiner Ansicht nach unnötig viel Raum ein.
Im Gesamten ist "Stammzellen" jedoch ein kluger Roman, der sich Themen widmet, die für unsere Zeit von Bedeutung sind - und das auf besondere Art und Weise.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts vertreiben Landbesitzer ihre Pächter, um sie durch Schafe zu ersetzen. John Ferguson, ein Priester der neu gegründeten Free Church of Scotland, braucht Geld. Er bekommt ...
In der Mitte des 19. Jahrhunderts vertreiben Landbesitzer ihre Pächter, um sie durch Schafe zu ersetzen. John Ferguson, ein Priester der neu gegründeten Free Church of Scotland, braucht Geld. Er bekommt von einem Landbesitzer den Auftrag, auf eine Insel irgendwo zwischen den Shetlandinseln und Norwegen zu fahren, um dort den letzten Bewohner davon zu überzeugen, zu gehen. Zur Not mit Waffengewalt.
Doch bei seiner Ankunft stürzt John von den Klippen. Es ist Ivar, der Einsiedler, der sich seiner annimmt und der ihn mit der Zeit nicht nur gesund pflegt, sondern ihm auch seine Sprache beibringt. Zwischen den Männern entwickeln sich zarte Bande. Aber Ivar weiß noch nicht, dass er vertrieben werden soll. Und dann ist da noch Mary, Johns Frau, die auf dem Festland auf ihn wartet.
"Ein klarer Tag" von Carys Davies ist ein atmosphärischer Roman, der mit seinen intensiven Bildern zu überzeugen vermag. Er lebt von seinen Landschaftsbeschreibungen und von der Rolle, die die karge und wilde Natur in der Geschichte spielt. Aber er lebt auch von den vielen stillen Momenten und von der fragilen Beziehung zwischen den beiden Protagonisten, die langsam aufeinander zugehen und einander zu verstehen lernen.
Sprache spielt dabei eine große Rolle und ich fand es faszinierend, Zeugin davon zu werden, wie John Ivars Sprache lernt. Es ist eine Sprache, die in jeder Hinsicht an das gebunden ist, was sie umgibt. Beispielsweise kennt sie zahlreiche Wörter für Nebel oder für Wolken, eine Tatsache, die sich für John als schwierig erweist. Für den Lesenden tragen die fremden Wörter dazu bei, dass die erzählte Welt klingender und runder erscheint.
"Ein klarer Tag" ist nicht nur eine Geschichte über Vertreibung und über den Verlust der Heimat. Vielmehr erzählt sie von der Überwindung von Unterschieden, vom gegenseitigen Verstehen. Es ist Carys Davies gelungen, eine Zeit und seine Menschen zum Leben zu erwecken.
Der einzige Kritikpunkt ist das Ende, das ich etwas unglaubwürdig fand (kann hier aber nicht spoilerfrei wiedergegeben werden).
Davon abgesehen empfehle ich den Roman und gleich dazu auch noch “West” von derselben Autorin, das mindestens genauso gut war!