Vier erstklassige Novellen in einem Band
Vier nach MitternachtIm Original lautet der Titel der 1990 erstmals erschienenen Sammlung Four Past Midnight, doch in der ursprünglichen deutschen Fassung wurde der Band geteilt und mit je zwei Geschichten unter den Titeln ...
Im Original lautet der Titel der 1990 erstmals erschienenen Sammlung Four Past Midnight, doch in der ursprünglichen deutschen Fassung wurde der Band geteilt und mit je zwei Geschichten unter den Titeln Langoliers (1990) und Nachts (1991) veröffentlicht. Das Buch wirkt auf den ersten Blick zwar neu, beziehungsweise unbekannt, wer aber Stephen Kings Bücher schon länger liest und kauft, hat die beiden alten Bände womöglich schon im Regal stehen - diese böse Überraschung sollte ja in jedem Fall vermieden werden.
Als die deutschen Bücher erstmalig erschienen, sind sie mir irgendwie durch die Lappen gegangen, und so habe ich bei diesem Band nun zugegriffen, denn er enthält tatsächlich vier alte King-Geschichten, die für mich noch "neu" und ungelesen waren, obwohl ich allerdings zwei der vier Geschichten in der Filmversion schon gesehen habe.
Den Auftakt macht Langoliers: Ein vollbesetztes Flugzeug macht sich von L.A. auf den Weg nach Boston - es ist ein sogenannter Schnarchflug, der spätabends startet, damit die Passagiere morgens ausgeruht an der Ostküste ankommen. Einige schlafen sehr schnell ein, als das Flugzeug gerade in der Luft ist, unter ihnen ein Pilot, der auf dem Weg nach Hause ist, ein blindes Mädchen, das in Boston an den Augen operiert werden soll, ein Banker, der einen wichtigen Geschäftstermin hat, und noch einige andere. Als das blinde Mädchen während des Fluges aufwacht, stellt sie fest, dass ihre Tante nicht mehr neben ihr sitzt... Und auch der Rest des Flugzeugs wirkt auf sie verwaist und leer - wo sind denn bloß alle abgeblieben?
Es gibt eine richtig schlechte Verfilmung als TV-Zweiteiler, die ebenfalls den Titel Langoliers trägt, und man muss sie definitiv nicht gesehen haben (das einzig Positive, was man darüber sagen kann: Sie ist relativ nah am Buch, und Stephen King hat einen kurzen Cameo-Auftritt. Die Schauspieler sind aber leider nicht gerade Meister ihres Fachs und über die Special Effects sollte man am besten den Mantel des Schweigens breiten). Daher hat es mich fast überrascht, wie gerne ich diese Geschichte gelesen habe. Sie war sehr spannend, und auch sehr unheimlich und abgedreht - wirklich ausgesprochen gut gelungen.
Das heimliche Fenster, der heimliche Garten: Der Schriftsteller Mort Rainey hat gerade eine üble Trennung hinter sich. Das Stadthaus hat er seiner Frau überlassen, er lebt nun sehr abgeschieden in seinem Ferienhaus und leckt seine Wunden. Hauptsächlich schläft er viel und starrt zwischen Früh-zu-Bett-gehen, Lange-Ausschlafen und einem ausgedehnten Mittagsschläfchen ein paar Stunden am Tag in seinen Bildschirm, ohne auch nur einen einzigen Satz, geschweige denn ein neues Buch, zustande zu bringen. Aus einem seiner Nickerchen wird er unsanft geweckt, als ein Unbekannter gegen seine Tür hämmert. Es ist John Shooter, der aufgebracht mit einem Manuskript wedelt und Mort des Plagiats bezichtigt, was natürlich ein völlig an den Haaren herbeigezogener Vorwurf ist. Doch Shooter lässt nicht locker...
Zu dieser Geschichte gibt es eine grandiose (aber leider etwas unbekanntere) Verfilmung mit Johnny Depp in der Hauptrolle, Das geheime Fenster, die ich sehr liebe und schon mehrfach gesehen habe. Trotzdem war es spannend, die Geschichte nun zu lesen, und wesentlich mehr über Morts Innenleben zu erfahren, als das in einer Verfilmung je möglich wäre.
Der Bibliothekspolizist: Eine sehr düstere Geschichte, in deren Mittelpunkt der Versicherungsmakler Sam Peebles steht, der überraschend eine Rede vor dem Rotary-Club halten soll. Auf den Rat seiner Sekretärin besorgt er sich zwei Bücher in der örtlichen Bibliothek, um seinen Text ein wenig aufzulockern. Doch schon der Besuch der Bücherei ist verstörend, die Leiterin, Mrs. Lortz, warnt ihn mehrfach, seine Bücher nicht zu überziehen, denn sonst rückt ihm der Bibliothekspolizist auf die Pelle. Als der Abgabetag gekommen ist, sind die Bücher wie vom Erdboden verschluckt und für Sam beginnt ein Alptraum...
Auch diese Geschichte habe ich verschlungen, denn sie ist wirklich früher King-Horror vom Feinsten.
Den Abschluss macht die Geschichte Zeitraffer: Kevin bekommt zu seinem 15. Geburtstag eine Polaroid-Sofortbildkamera, die einen merkwürdigen Defekt aufweist. Das fertige Bild zeigt nie das aufgenommene Motiv, sondern einen Hund vor einem weißen Lattenzaun. Trotzdem sind die Bilder nicht ganz identisch...
Diese Novelle gehört zum Castle-Rock-Zyklus und bildet einen Übergang zwischen den Romanen Stark - The Dark Half und Needful Things - In einer kleinen Stadt. Da ich diese beiden Bücher sehr mag und auch schon mehrfach gelesen habe, hat mir diese letzte Geschichte besonders gut gefallen, da einige altbekannte und liebgewonnene Figuren einen Auftritt bekommen.
Insgesamt mochte ich diesen Sammelband sehr, denn die Geschichten sind sehr unterschiedlich und bieten dadurch trotz der auf den ersten Blick überwältigenden Dicke des Buches ein sehr abwechslungsreiches und kurzweiliges Lesevergnügen - sowohl für Einsteiger ins King'sche Universum, als auch für "alte" Fans eine klare Leseempfehlung.