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Veröffentlicht am 29.12.2017

Ein Patriarch und seine Familie

Hero
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Der Patriarch Hero, Oberhaupt einer Großfamilie mit fünf Kindern, dazu Enkeln und Urenkeln, ist an Krebs erkrankt. Die Geschichte seines Leidens und der Hoffnungen wird vor allem aus zwei Perspektiven ...

Der Patriarch Hero, Oberhaupt einer Großfamilie mit fünf Kindern, dazu Enkeln und Urenkeln, ist an Krebs erkrankt. Die Geschichte seines Leidens und der Hoffnungen wird vor allem aus zwei Perspektiven erzählt. Aus der Sicht von Hero und aus der seiner mittleren Tochter Nele, der eigentlichen Ich-Erzählerin in diesem Roman. Doch auch andere Familienmitglieder kommen zu Wort und so wird der Leser nach und nach vertraut mit dem Setting, den Positionen und Interessen der Familienmitglieder. Und dabei schreitet die Krankheit fort....

Eine Familie am Abgrund , könnte man meinen, doch die Autorin erzählt mit einer solchen Leichtigkeit und zeichnet die Figuren so eindringlich, dass es eine Freude ist. Zu letzterer trägt auch der feine Humor, die sanfte Ironie bei, von der das ganze Buch durchzogen ist, das I-Tüpfelchen jedoch, das ist Root Leebs Sprachempfinden, ja, trotz des eher stillen Eindrucks, den das Buch hinterlässt, nenne ich es ihre Wortgewalt. Dabei geht es nicht um vordergründige Emotionen, nein, das Stilmittel der Autorin ist der Abstand - die Distanz: wie durch eine Lupe betrachtet, werden Charaktere, Beziehungen und weitere Strukturen immer deutlicher und verweben sich zu einer fesselnden Geschichte. Liebhabern von Familienromanen, Freunden der deutschen Sprache und der leichten, niemals gehässigen Ironie wärmstens zu empfehlen!

Veröffentlicht am 29.12.2017

Ein Gebäude als Hauptdarsteller

Torstraße 1
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ist das Haus in der Berliner Torstraße 1 in Sybil Volks' gleichnamigen Roman - und bildet gleichsam den Punkt, an dem alle Fäden zusammenlaufen. Die Autorin begleitet das Schicksal des Hauses seit seiner ...

ist das Haus in der Berliner Torstraße 1 in Sybil Volks' gleichnamigen Roman - und bildet gleichsam den Punkt, an dem alle Fäden zusammenlaufen. Die Autorin begleitet das Schicksal des Hauses seit seiner Entstehung 1929 bis zur Gegenwart und flankiert dies durch die Lebensgeschichte zweier Familien, die quasi durch Geburt miteinander verbunden sind: auf der einen Seite die kleine Kaufhausangestellte Vicky - Mitarbeiterin des Kaufhauses Jonass, der ersten Station des Hauses in der Torstraße 1, die, schwanger vom Juniorchef, auf der Einweihungsfeier des neuen Geschäftshauses entbindet und auf der anderen Seite der Handwerker Wilhelm, der das Haus miterbaut hat und zufällig als Vickys Geburtshelfer fungiert. Er wird, so erfahren er und auch die Leser es später, zur gleichen Stunde Vater eines Sohnes. Diese beiden Kinder, Elsa und Berhard sind ihr Leben lang mal mehr, mal weniger miteinander verbunden und es sind ihre beiden Leben, ergänzt von denen ihrer Familien, die im Mittelpunkt der Handlung stehen und über Jahrzehnte die Geschichte Berlins in Ost und West auf ganz persönliche Weise präsentieren.

Ein Roman, der Atmosphäre schafft: Sybil Volks vermag es, jede einzelne von ihr aufgezeichnete Epoche lebendig werden, den Leser quasi in die Handlung eintauchen zu lassen. Auch wenn die einzelnen Phasen - sowohl in Bezug auf die historische Entwicklung als auch auf das Leben der beiden Familien - teilweise nur beiläufig abgehandelt werden, habe ich die Lektüre durchgehend genossen, denn an jeder Stelle kann der Leser sich in die geschilderte Situation einfühlen, die Begebenheiten quasi miterleben bzw. nachempfinden. Ein Roman für alle, die gerne auf farbigste Art und Weise in die neuere und neueste deutsche Geschichte eintauchen, ohne sich dabei an Sachbücher zu halten.

Allerdings sollten aufgrund der sehr charakteristischen Erzählweise gewisse Vorkenntnisse bereits vorhanden sein: der Leser muss sich darauf gefasst machen, dass er hier die Historie in Form von kurz aufleuchtenden Blitzlichtern auf sich wirken lässt. Dadurch können bei seiner Rezeption des Buches Lücken auftauchen, die er selber zu füllen hat, doch aus meiner Sicht ist es das wert, nein, es macht den Roman aus.

Für Liebhaber anspruchsvoller historischer Literatur und natürlich für Berlin-Fans genau die richtige Lektüre!

Veröffentlicht am 29.12.2017

Das Innenleben von Berlin, um genau zu sein, von Westberlin in den 1980er Jahren - das lernen wir in Ulrike Sterblichs hinreißendem Buch "Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt" kennen. In kleinen, stringent aufeinander folgenden Episoden beschreibt sie

Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt
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Das Innenleben von Berlin, um genau zu sein, von Westberlin in den 1980er Jahren - das lernen wir in Ulrike Sterblichs hinreißendem Buch "Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt" kennen. In kleinen, stringent ...

Das Innenleben von Berlin, um genau zu sein, von Westberlin in den 1980er Jahren - das lernen wir in Ulrike Sterblichs hinreißendem Buch "Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt" kennen. In kleinen, stringent aufeinander folgenden Episoden beschreibt sie ihre Jugend in der ummauerten Stadt und lässt dabei auch die jüngere Geschichte nicht außen vor - am Beispiel ihrer Familie erfahren wir einiges - viel Alltägliches, immer Interessantes und manchmal Erschütterndes - aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren und den 1970er und vor allem 80er Jahren. Wie ihre Familie aus Ostpreußen nach Berlin fand, aber auch, worin Ulrike Sterblichs Abneigung gegen ZZTop und ihr - zumindest temporäres - Faible für die Neue Deutsche Welle (korrekt: NDW) begründet sind, wie sich U-Bahn- und Busfahrten im Westberlin der1980er Jahre gestalteten und wie es damals so als Austauschschülerin in den USA war - das alles und noch viel mehr wird in diesem Buch auf allerallerunterhaltsamste Weise vermittelt.

Lesestoff für "alte" Berliner, aber auch für andere: ich bin mir sicher, dass viele, vor allem solche, die auch in den 1980ern ihre Jugend wo auch immer genossen haben, dieses Buch goutieren und nicht mehr so schnell aus der Hand geben werden. Ich selbst bin bpsw. Wessi mit osteuropäischen Wurzeln, nur wenige Jahre älter als die Autorin, aufgewachsen und sozialisiert in Köln - ich habe sooo vieles wiedererkannt: ob die Kultfilme der 80er, die damals angesagte Second-Hand-Kleidung, Neonstulpen oder die Gruftis mit ihrem Dreischrittetanz - Ulrike Sterblich trifft einfach den Nerv der Zeit! Und sie hat einen feinen, sehr individuellen Humor, mit dem sie ihre kleinen Geschichten, Erfahrungen und Erlebnisse - möglicherweise gar Phantasien garniert und würzt und mit dem sie ihrer ehemaligen Heimatstadt, die in völlig neuem Gewand als Hauptstadt der nun vereinten Bundesrepublik Deutschland auferstanden ist, ein Denkmal der ganz besonderen Art setzt - höchste Zeit also, sie umzubenennen in Ulrike Un-Sterblich, ihr und ihrem Buch größtmöglichen Erfolg und uns weitere Werke aus ihrer Feder zu wünschen!

Veröffentlicht am 29.12.2017

Ein neues Lieblingsbuch

Geheime Tochter
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Vorneweg: als Vielleserin habe ich nicht ein, sondern gleich Dutzende von Lieblingsbüchern, zu denen sich jedes Jahr etwa 5-6 neue dazu gesellen. Dieses Buch hat eindeutig das Potential dazu.

Im Fokus ...

Vorneweg: als Vielleserin habe ich nicht ein, sondern gleich Dutzende von Lieblingsbüchern, zu denen sich jedes Jahr etwa 5-6 neue dazu gesellen. Dieses Buch hat eindeutig das Potential dazu.

Im Fokus stehen zunächst zwei Frauen: Somer in Kalifornien, U.S.A. und Kadita in Indien. Während die junge und ambitionierte Ärztin Somer, die mit einem Kollegen, dem Exil-Inder Krishnan, verheiratet ist, an ihrer Kinderlosigkeit verzweifelt, hat Kadita andere Probleme: sie bekommt Kinder, allerdings zunächst nur Töchter und die gelten in Indien nur als Geldverschwendung. Ihr Ehemann veranlasst die Tötung der ersten Tochter, bei der zweiten, Usha, greift Kadita ein und bringt sie in einem Kinderheim unter. Man ahnt es schon: aus Usha wird Asha und sie findet ihren Weg in die Staaten, wo sie als Tochter von Somer und Krishnan, die ihr die Adoption nie verschwiegen haben, aufwächst. Von Indien weiss sie nicht viel, bis sie erwachsen ist und ihren eigenen Weg gehen will: das grundlegende Kennenlernen ihres Geburtslandes ist ein entscheidender Schritt.

Das alles könnte kitschig und platt sein, ist es aber nicht. Einfühlsam und gleichzeitig mitreißend schildert die Autorin die Problematik von beiden Seiten, der amerikanischen und auch der indischen.

Eine Geschichte mit vielen Windungen, die vor allem eines zeigt: dass nichts nur schwarz und weiß ist. Auch wenn die Autorin, eine Amerikanerin mit indischem Migrationshintergrund, ihre westliche Sichtweise nicht verbergen kann und dies auch gar nicht will, wird dem Leser die Situation in Indien nahegebracht und veranschaulicht.

Ein Buch mit Ecken und Kanten, aber für mich vor allem eines, in dem man schwelgen kann - nicht nur wegen der mitreißenden und aufwühlenden Geschichte, nein, auch aufgrund der liebevollen Gestaltung des Bandes. Ein Buch für Genießer und eine wunderbare Geschenkidee!

Veröffentlicht am 28.12.2017

Der böse Brundibár

Abschied in Prag
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ist die Hauptfigur einer Kinderoper des tschechischen Juden Hans Krása, die 1938 entstand und u.a. in Theresienstadt, wohin der Komponist deportiert worden war, aufgeführt wurde - eine sehr mutige Aktion, ...

ist die Hauptfigur einer Kinderoper des tschechischen Juden Hans Krása, die 1938 entstand und u.a. in Theresienstadt, wohin der Komponist deportiert worden war, aufgeführt wurde - eine sehr mutige Aktion, angesichts der Parallelen, die nicht nur von Mitinsassen gezogen wurden.

Lenka, eine der beiden Hauptfiguren des vorliegenden Romans, ist Augenzeugin, ist sie doch mit ihren Eltern und der kleinen Schwester dorthin deportiert worden. Sie hätte es besser haben können, wäre sie ihrem Ehemann Josef ins Exil gefolgt, die Möglichkeit hätte bestanden. Doch sie blieb - und das Eheleben der beiden, das gerade erst begonnen hatte, blieb auf der Strecke.

Alyson Richman ist hier ein eindringlicher Roman zu einem bereits oft beschriebenen Thema, der Situation der Juden im Dritten Reich, gelungen. Sie stützt sich auf wahre Begebenheiten und macht damit einmal mehr deutlich, dass das wahre, das echte Leben häufig die originellsten Ereignisse hervorbringt.

Definitiv ist dieser Roman, der teilweise in Künstlerkreisen in Theresienstadt - ja, die gab es - spielt, einer an den man sich lange erinnern wird. Gerade diese Passagen werden sehr authentisch vermittelt - zugegeben, es ist extrem starker Tobak, aber sehr lesenswert, auch wenn die Lektüre Mut erfordert. Denn sie wird den Leser auf lange Zeit nicht loslassen, wenn er sich mit ganzem Herzen und Verstand auf die Lektüre einlässt: Es ist die tragische Liebesgeschichte von Lenka und Josef, aber es ist auch ein Roman über eine schwere Zeit in der insgesamt sehr gebeutelten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Mich hat er sehr berührt und ich lege ihn jedem Liebhaber anspruchsvoller historischer Romane ans Herz. Ein sehr gefühlvoller Roman, doch die Emotionen werden sehr stimmig und eindringlich und mit hohem Anspruch vermittelt.