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Veröffentlicht am 30.12.2017

Eine Ode an verpasste Gelegenheiten und falsche Zeitpunkte

Die Ordnung der Sterne über Como
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..mit musikalischer Begleitung und was daraus werden kann - so könnte man in wenigen Worten Monika Zeiners wundervolles literarisches Debut "Die Ordnung der Sterne über Como" zusammenfassen.

Es geht eigentlich ...

..mit musikalischer Begleitung und was daraus werden kann - so könnte man in wenigen Worten Monika Zeiners wundervolles literarisches Debut "Die Ordnung der Sterne über Como" zusammenfassen.

Es geht eigentlich um ein Allerweltsthema: Tom und Betty steht nach zig Jahren ein Wiedersehen bevor - nach Jahren ohne Kontakt, wobei sie sich früher einmal sehr nahe standen. Doch die gemeinsame Vergangenheit ist alles andere als einfach - sie wird belastet durch die Erinnerung an den gemeinsamen Freund Marc, der durch einen Unfall ums Leben kam. Tom und Betty haben weitergelebt, jeder auf ihre Weise: Betty als Ärztin in Italien, Tom als Musiker in Berlin - ein Leben ähnlich dem, das er bereits vor Marcs Tod hatte... aber dann auch wieder nicht.
In Rückblenden vor allem aus Toms, aber auch aus Bettys Perspektive erfährt der Leser die ganze Geschichte - es geht um die Bedeutung von Marc im Leben der beiden ÜBERlebenden. Mit Tom verband ihn eine ungewöhnliche, wegweisende, lebensbestimmende Freundschaft, mit Betty eine Liebesbeziehung. Doch auch zwischen Tom und Betty gab es eine Liebesbeziehung.
Wie dies alles zusammenfloss, welche Tragik dem allen innewohnte, dies erzählt Monika Zeiner virtuos, nein, sie singt es bzw. sie malt mit Worten. Aus Verlust wird zwar nicht Gewinn, so aber doch Erkenntnis, aus Schwermut wird Leichtigkeit - und aus dem so bekannten Thema wird eine unvergessliche Geschichte.

Dieser Roman ist auch ein Geschenk an die deutsche Sprache, ein Zeichen an ihre Liebhaber und Verfechter ihrer Reinheit, ihres Klanges und ihrer Möglichkeiten, denn in ihrem Werk zeigt die Autorin in mannigfaltigen Facetten ihren Reichtum, ihre schillernde Präsenz auf. Für mich ist Monika Zeiner die Königin, ach was: die Kaiserin der bedeutungsvollen, der bis ins Mark treffenden Worte.

Ich hatte bei diesem Buch den Eindruck "in den weiten Joggingklamotten meiner eigentlichen Seele unterwegs sein zu dürfen", um wenigstens eine von Zeiners literarischen Delikatessen zu zitieren (S. 110) - so wohl habe ich mich damit gefühlt - und tue es weiterhin. Für mich ist dies nämlich ein absolut unkorrumpierbares Buch, eines dem ich hundertprozentig vertraue und das ich immer in meiner Nähe wissen will, um mich an der Essenz zu laben, um die kleinen Juwelen der Wortkunst bei Bedarf immer wieder zu genießen, um mich von ihm einfangen zu lassen, wann immer ich es als notwendig erachte.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Aufbruch

Schneckenmühle
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Sommer 1989: Jens, ein Berliner Junge im Teenageralter aus dem Osten der Stadt fährt, wie auch in den Jahren davor, ins Jugendlager Schneckenmühle. Und zwar mit gemischten Gefühlen: einerseits freut er ...

Sommer 1989: Jens, ein Berliner Junge im Teenageralter aus dem Osten der Stadt fährt, wie auch in den Jahren davor, ins Jugendlager Schneckenmühle. Und zwar mit gemischten Gefühlen: einerseits freut er sich, viele Freunde wiederzutreffen, andererseits hadert er mit dem Ungewissen. Wie wird es dort dieses Jahr, das zudem sein Letztes ist? Außerdem ist er kein Durchschnittsbürger: er hat durch Verwandtschaft viel Westkontakt und ist zudem "kirchlich" - seine Eltern sind also Christen. Das unterscheidet ihn in einigem von anderen, verleiht ihm eine teilweise distanziertere, teilweise aber auch naivere Sichtweise.

Dieses Buch thematisiert den Aufbruch und zwar in unterschiedlicher Hinsicht: aus Jens' ganz eigener Perspektive den ins Erwachsenenleben, aus der Sicht seiner Familie den in ein neues, anderes Leben im Westen, aus politischer Sicht den Aufbruch in eine andere Zeit mit neuen Strukturen, neuen Grenzen. Das alles ist, da aus Jens' Sicht dargestellt, unglaublich subtil geschildert - auch wenn es der Blickwinkel eines ganz normalen, frechen Jugendlichen ist, wirkt es sehr zart, sehr empfindsam.

Ein Buch für Erwachsene? Schwer zu sagen. Ein Jugendbuch? Ganz bestimmt nicht! Was ist es denn und für wen ist es gedacht? Nun, in erster Linie ein toll geschriebener Roman, deutsche Gegenwartsliteratur zum Genießen. Aber auch eine Dokumentation einer ganz wichtigen, ja der wichtigsten Veränderung in Deutschland in den letzten 50 Jahren. Also etwas für jeden, der sich für das Thema "Wende" und "Wiedervereinigung" interessiert und nicht nur reine Fakten, sondern auch Stimmungen erfassen will. Das nämlich ist durch dieses Buch möglich: eine besondere Gabe des Autors und ein Geschenk für die Leser - jedenfalls für diejenigen, die einen Sinn für so etwas haben.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Quatschen mit Zufallsbekanntschaften in Augsburg

Warten auf ...
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das macht Marcus Ertle. Herausgekommen ist dabei ein Buch, in dem 40 dieser Interviews vereint sind, nämlich "Warten auf...": im weitesten Sinne bei dieser Aktivität nämlich hat der Auztor seine Gesprächspartner ...

das macht Marcus Ertle. Herausgekommen ist dabei ein Buch, in dem 40 dieser Interviews vereint sind, nämlich "Warten auf...": im weitesten Sinne bei dieser Aktivität nämlich hat der Auztor seine Gesprächspartner aufgegabelt und das an unterschiedlichen Orten: in Cafés, auf Parkbänken, Bahnhöfen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, und, und, und...

So unterschiedlich wie die "Fundorte" der interviewten Personen, so unterschiedlich sind auch die Gespräche, die Stimmungen, die in ihnen transportiert werden. Obwohl ich das Buch ungeingeschränkt und von ganzem Herzen weiterempfehle, haben mir lange nicht alle Interviews gleich gut gefallen - das lag ebensosehr an den Fragen wie auch an den Antworten. Man kann sich gut vorstellen, dass der Fragende und der/die Antwortende nicht immer gleich gut zusammen passen und genau das wird in diesem Buch sehr, sehr gut vermittelt und macht aus meiner Sicht einen großen Teil seines Charmes aus. Freude, Trauer, Frustration, Neugierde, Anmaßung - das sind nur einige der Gefühle, die in den Interviews transportiert werden. Jung und alt, arm und reich, weise und ein bisschen dümmlich - so unterschiedlich präsentieren sich hier die Menschen in Augsburg. Ein sehr originelles Gespräch mit einem Brecht-Experten, Lebensweisheiten eines sehr alten, dichterisch begabten Herren auf der einen und eines seiner jungen weiblichen Fans auf der anderen Seite, relativ alberne Zukunftsvisionen von Girlies, über die ich mich geärgert habe - dies sind nur ein paar Beispiele.

Zuletzt möchte ich aber noch so richtig Appetit machen auf dieses originelle Buch, das den Zeitgeist so gut aufzeigt - und zwar mit den beiden Gesprächen, die mich am meisten beeindruckt haben: "Warten auf nackte Haut" und "Warten auf einen Neuanfang" - beides Gespräche mit Männern, die jedoch unterschiedlicher nicht sein können und wahrhaft symptomatisch für das Auf und Ab von Stimmungen, mit denen der Leser des Buches konfrontiert wird.

Habe ich bei der ersteren - es geht um ein männliches Aktmodell - einen ausgesprochen sympathischen jungen Mann, der interessante und überraschende Erkenntnisse zur Körperbeherrschung und zu Beziehungen offenbart - zunächst Tränen gelacht, danach Rührung empfunden, so hatte ich bei der zweiten - hier ist der Autor im Gespräch mit einem Obdachlosen, es geht um Verluste - gleich wieder Tränen in den Augen, aber vor Mitgefühl und Betroffenheit.

Ein kleines Universum, das der Autor uns hier geschenkt hat - einfach wunderbar!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Eine Geschichte wie ein Knall

Bonita Avenue
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das ist "Bonita Avenue", das Debüt des niederländischen Autors Peter Buwalda. Das ist durchaus wörtlich gemeint, denn eine Explosion gibt es wirklich in dem Roman: die Katastrophe von Enschede, die Explosion ...

das ist "Bonita Avenue", das Debüt des niederländischen Autors Peter Buwalda. Das ist durchaus wörtlich gemeint, denn eine Explosion gibt es wirklich in dem Roman: die Katastrophe von Enschede, die Explosion der Feuerwerksfabrik im Mai 2000, durch die ein ganzer Stadtteil zerstört wurde, ist ein Bestandteil des Romans und markiert hier einen Wendepunkt bzw. setzen schleichende Veränderungen zu genau diesem Zeitpunkt ein.
Ein Mann wie ein Hammer. das ist Siem Sigerius, den man als Held, als Mittelpunkt dieses Romans bezeichnen kann: Mathematikprofessor, erfolgreicher Judoka, Jazzfan und Familienvater - ein eindrucksvoller, vielschichtiger, fragwürdiger Charakter. Um ihn, den Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, der in zweiter Ehe mit Frau und zwei Stieftöchtern glücklich ist, seine Altlasten jedoch eiskalt hinter sich lässt, rankt sich ein wahres Drama, eine Geschichte um Verrat, Hass, Ehrlichkeit, Verlogenheit und Liebe, in der die weibliche Hauptrolle von seiner älteren Stieftochter Joni, der zeitweiligen Ich-Erzählerin, einer starken, nicht minder vielschichtigen und gewissermaßen zerissenen Persönlichkeit eingenommen wird und quasi den weiblichen Gegenpol zu Siem Sigerius bildet. Einen - allerdings keinesfalls neutralen - Betrachter von aussen gibt es auch: Jonis Freund Aaron, der die Familie auf seine Weise er- und überlebt.

Ein Action-Roman mit Anspruch - das ist "Bonita Avenue". Buwalda schreibt auf hohem Niveau, doch bei ihm steht nicht das Wort, sondern die Taten, die Entwicklungen an erster Stelle. Ein Buch wie ein Film - doch wird es schwierig, die ganzen Bilder, die Buwalda in Worte fasst, in ihrer Bedeutung genau so umzusetzen. Also: lesen, lesen, lesen!

Das Buch ist etwas für Freunde anspruchsvoller Literatur, die neue Wege nicht scheuen. Buwalda ist nicht - wie oft bemüht - mit Franzen zu vergleichen. Wenn man überhaupt ein Werk der modernen Literatur zum Vergleich heranziehen kann, wäre das in meinen Augen eher Eugenides' "Middlesex" - aber eigentlich ist Buwalda Buwalda, er ist neu, ungewöhnlich, und bereit, wie eine Bombe in die Literaturwelt einzuschlagen. Ein bemerkenswertes Debüt - durchaus eine Herausforderung für den Leser. Aber eine, die man nicht verpassen sollte!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Ein Entwicklungsroman der besonderen Art

Wie keiner sonst
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Nun, Entwicklungsromane sind seit Jahrhunderten eine beliebte Darstellungsform vor allem in Europa - nach Wikipedia bezeichnet "dieser
Ausdruck einen Romantypus , in dem die geistig-seelische Entwicklung ...

Nun, Entwicklungsromane sind seit Jahrhunderten eine beliebte Darstellungsform vor allem in Europa - nach Wikipedia bezeichnet "dieser
Ausdruck einen Romantypus , in dem die geistig-seelische Entwicklung einer Hauptfigur in ihrer Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Umwelt dargestellt wird".

Das ist hier ganz klar der Fall, auch wenn die Entwicklung von Peter, den wir als Sechsjährigen, in der Obhut seines Vaters lebenden Jungen kennenlernen, ganz klar vom Mainstream abweicht. Peter und sein Vater führen zunächst eine Art Nomadenleben, das sich bei näherem Hinsehen als Flucht entpuppt - immer wieder kommt es zu hastigen Aufbrüchen und plötzlichen Ortswechseln, der Vater wählt unterschiedlichste Jobs, um sich und den Jungen, den er selbst unterrichtet und der in vielem seinen Altersgenossen weit voraus ist, über Wasser zu halten. Auch Mundraub und kleinere Gaunereien sind erlaubt, wobei der Vater jedoch strikte Prinzipien hat. Doch dann geschieht etwas ... und das Leben des kleinen Peter ändert sich jäh...

Wir folgen ihm bis ins Erwachsenenalter, erleben einen Menschen mit Ecken und Kanten, der mehr als nur ein Päckchen zu tragen hat.

Eindrucksvoll ist, dass Jonas T. Bengtsson seinen Erzählstil - Peter fungiert nicht als Ich-Erzähler, doch der gesamte Roman ist aus seiner Perspektive geschildert - dem Alter des Protagonisten anpasst. Ein wahrhaft großer Erzähler, dieser dänische Autor, dessen Leser innerhalb des Romans die Wandlungen der Hauptfigur mittragen, ja mitERtragen müssen, was teilweise keine leichte Aufgabe ist. Dadurch bleibt einiges offen - wie es eben im Leben so ist - doch keineswegs unlogisch. Man versteht die Problematik, die Schatten, die Peter umgeben, wenn auch seine Handlung nicht immer nachvollziehbar ist - doch bei wem ist sie das schon. Der Mensch ist ein Individuum und wer gerne Roman wie "Das Parfüm" und die "Blechtrommel" liest, bei denen die Entwicklung ungewöhnlicher Charaktere im Vordergrund steht, die ungewöhnliche Pfade beschreiten, der ist hier gut aufgehoben.