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Veröffentlicht am 30.12.2017

"Ich stelle mir vor, in einer Welt zu leben

Das Fremde Meer
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... in der es ein Makel ist, nicht auf einer Insel geboren zu sein. Es
gelingt mir besser als gedacht." (S.183) Dies ist Maries Reaktion auf
Jans Schilderungen seiner Kindheit.

Marie und ihre Liebe zu ...

... in der es ein Makel ist, nicht auf einer Insel geboren zu sein. Es
gelingt mir besser als gedacht." (S.183) Dies ist Maries Reaktion auf
Jans Schilderungen seiner Kindheit.

Marie und ihre Liebe zu Jan -
davon handelt das Buch. Es ist eine große Liebesgeschichte, die in
allen Facetten, das sind hier zehn Geschichten, erzählt wird - weniger
würde nicht ausreichen. Diese Geschichten haben andere Protagonisten, es
sind in Wahrheit aber doch immer wieder Marie, Jan und ihr Umfeld.

Dabei
ist es ein Hochgenuss, den Ideenreichtum der Autorin , ihre
Belesenheit, ihr Wissen und ihre Recherchierfähigkeiten zu genießen -
vor allem jedoch ihre wunderschöne, ganz besondere Sprache.

Das
Meer ist - so verrät es ja bereits der Titel - immer wieder ein
entscheidender Player, doch es gibt auch andere Settings: die
Salpetriére, die altehrwürdige psychatrische Klinik in Paris in einem
anderen Zeitalter, in dem wir auch Blanche, der Freundin von Marie Curie
- und dem Leser möglicherweise aus "Das Buch von Blanche und Marie" von
Per Olov Enquist bekannt - begegnen, ein Luftschiff und die
Wechselstadt. Es sind Settings, die dem Leser einerseits vertraut,
andererseits aber auch wieder völlig neu vorkommen. Und immer wieder
Katharina Hartwells beeindruckender Stil - Ich komme nicht umhin, hier
eine Kostprobe dieser Fabulierkunst, die ihresgleichen sucht, zu
hinterlassen:

"...von der Welt hat er bereits genug gesehen, die
Welt ist eine zu schnelle Kutsche, die sich einem im toten Winkel nähert
und wenn sie einen erfasst, weiß man nicht einmal mehr, wo oben und
unten ist." (S.109), so der männliche Protagonist in "Astasia-Abasia",
der Geschichte, die in der Salpetriére spielt. So auch dieses Buch - von
Zeit zu Zeit wirbelt es den Leser so durch, dass er nicht mehr weiß, wo
oben und unten ist - und beginnt, die Zusammenhänge in einem anderen
Kontext zu sehen.

Ein stilles Buch - ein lautes Buch, ein zartes
Buch, ein wildes Buch, immer wieder ist es auch ein spannendes Buch -
aber vor allem ist es ein kluges, ein gekonnt konstruiertes und
aufgebautes Buch, das all dies vereint. Katharina Hart hat hier ein
Kunstwerk geschaffen, eine filigrane Gesamtkomposition aus Sprache,
Inhalt, Recherche und Emotionen, die ihresgleichen sucht. Ich muss
sagen, ich bin ehrlich froh, dass es sich hier um eine junge Autorin
handelt, die ihren 30sten Geburtstag noch vor sich hat, denn das lässt
mich auf weitere wunderbare, erkenntnisreiche, prägende und
möglicherweise das Leben oder zumindest die Sicht darauf verändernde
Werke hoffen. Hartwell schreibt vollkommen anders als jeder Autor, den
ich vor ihr gelesen habe, sie hat ihren eigenen Stil, aber vor allem hat
sie etwas zu sagen, sie trägt die Geschichten in sich. Das merkt man
vor allem daran, dass das Buch weit entfernt davon ist, gekünstelt bzw.
konstruiert zu wirken - all das kommt aus dem tiefen inneren der Autorin
und fügt sich durch ihre gekonnte Feder zu einem wundersamen
Gesamtkunstwerk.

Dieses fremde Meer ist überwältigend und
tosend, manchmal ruhig, aber immer wieder schlagen die Wellen über dem
Leser zusammen. Ich kann es es wirklich jedem ans Herz legen, der gute
Geschichten mag, vor allem aber denjenigen, die sich gern überraschen
lassen!

fügt sich durch ihre gekonnte Feder zu einem wundersamen Gesamtkunstwerk.

Dieses fremde Meer ist überwältigend und tosend, manchmal ruhig, aber immer wieder schlagen die Wellen über dem Leser zusammen. Ich kann es es wirklich jedem ans Herz legen, der gute Geschichten mag, vor allem aber denjenigen, die sich gern überraschen lassen!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Reisen bildet

Mut für zwei
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und das auch schon in sehr jungen Jahren, nämlich bei solchen Reisenden, bei denen das Alter noch in Monaten gezählt wird. So bei Levi, dem Sohn der Reiseveranstalterin Julia Malchow, der bereits im zarten ...

und das auch schon in sehr jungen Jahren, nämlich bei solchen Reisenden, bei denen das Alter noch in Monaten gezählt wird. So bei Levi, dem Sohn der Reiseveranstalterin Julia Malchow, der bereits im zarten Alter von zehn Monaten mit seiner Mutter zu einer zweimonatigen Reise mit dem Transsibirien-Express von Petersburg nach Peking aufbricht...

Doch Julia Malchow geht es in erster Linie nicht um Bildung - ihr geht es darum, für sich und ihre noch junge Familie die geeignete Lebensform zu finden - und um dies auszuprobieren und gleichzeitig darüber nachdenken zu können, eignet sich für sie nichts besser als eine Reise zu neuen Ufern - viel hat die Reisende - aus Passion, doch seit einigen Jahren auch aus beruflichen Gründen - schon gesehen, Sibirien, die Mongolei und Peking aber noch nicht - das möchte sie zusammen mit Levi kennenlernen.

Ein Plan, der in ihrem Umfeld auf Kritik, mindestestens jedoch auf Unverständnis stößt. Was tut man dem kleinen Wesen damit an, wie egoistisch ist das... nur zwei von einer Menge von Ansichten, die gegen diese Reise sprachen.

Doch Julia Malchow bricht auf, zunächst nach Sankt Petersburg, wohin sie von ihrem - gottseidank verständnisvollen - Lebenspartner begleitet wird, der sie und den gemeinsamen Sohn dann nach über einem Monat in der Mongolei wiedertreffen will.

Und los geht es mit dem Transsibirien-Express, einem Zug, den der kleine Levi sich auf ganz eigene Art erschließt. genau wie seine Mitreisenden. Rasch hat Julia ihrem kleinen Sohn eine Menge neuer Bekanntschaften zu verdanken. Zunächst ist die Reise alles andere als stressig, sondern im Gegenteil sehr entspannt, wobei allerdings ein entscheidender Beitrag die ständig von dritter Seite geleistete Unterstützung ist - Mitreisende helfen beim Proviantkauf, die emsige Schaffnerin kümmert sich - und, und, und...

Am Baikalsee, dem ersten größeren Aufenthalt, hat Julia vor allem damit zu tun, ihre und Levis Interessen durchzusetzen - hier trifft sie auf Personen - vor allem Reiseleiter - die gerne bevormunden und ihren Reiseplan diktieren wollen - natürlich zu Gunsten ihrer eigenen Geldbörse. Doch Julia folgt ihren eigenen und vor allem Levis Bedürfnissen und lernt viel - vor allem von ihrem Kind, einer Reisebegleitung der ganz besonderen Art. Diese Gedanken, die sie mit dem Leser teilt, sind dann auch das Besondere an diesem Buch, die es zu etwas ganz Persönlichem, quasi einem Geschenk an alle Rezipienten machen.

Größere Kollisionen mit den selbstgewählten Reiseführern, Levis erste Yak-Tour, Großstadtchaos in Peking - das alles erlebt Jula zu dritt, als komplette Familie. Wieder eine Umstellung, eine neue Art des Reisens, die vielen Lesern sicher nicht unbedingt verständlich ist. Julia Malchow sucht mit dem Reisen die Antwort auf brennende Fragen, diesmal die nach dem passenden Lebensmodell für sich, für ihre Familie.

Ein Buch, das polarisiert, das diskutieren lässt, das aber vor allem zeigt, dass mehrere (Lebens)Wege möglich sind. Eine Autorin, die sich öffnet, die nicht nur mir der Reise "Mut für zwei", sondern mit diesem Buch auch "Mut zum Statement" , das beileibe nicht nur wohlwollend aufgenommen wird, beweist. Ich finde es toll, diese Öffnung miterlebt zu haben und bin gespannt auf Julias weitere Reisen - mit und ohne Kind.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Echt polnisch, echt osteuropäisch, echt europäisch - echt kosmopolitisch

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter überlebt
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Alicia ist in Schweden aufgewachsen und zwar in zwei
unterschiedlichen Kulturkreisen: während ihr Vater Schwede ist, ist ihre
Mutter Polin und lebt diese Kultur auch ganz selbstverständlich in
ihrem Heim, ...


Alicia ist in Schweden aufgewachsen und zwar in zwei
unterschiedlichen Kulturkreisen: während ihr Vater Schwede ist, ist ihre
Mutter Polin und lebt diese Kultur auch ganz selbstverständlich in
ihrem Heim, was vom ausschließlichen Gebrauch ihrer Muttersprache über
die Zubereitung der - von Alicia nicht allzusehr geschätzten -
Nationalgerichte bis zum Gebrauch einer aus Alicias Sicht typischer
Gepflogenheiten wie mangelnder Diplomatie, vorbehaltloser Großzügigkeit
und permanenter Einmischung in die Privatsphäre der Mitmenschen reicht.
Ein mitreißendes, humorvolles, aber auch einfühlsames Buch, das nicht
nur das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen, sondern auch die
Auseinandersetzung einer Heranwachsenenden mit ihren Eltern beinhaltet.
Die fast schon obligatorische Liebesgeschichte darf nicht fehlen, doch
ist sie humorvoll und eher unkonventionell dargestellt und fügt sich
somit nahtlos in die originelle Erzählung ein. Auch wenn es im Buch
selbst keine exakte zeitliche Angabe gibt - die Handlung spielt im
Sommer 1989, wird doch darin der Besuch von Papst Johannes Paul II in
Schweden thematisiert und dieser fand im Juni des genanntes Jahres
statt.
Das bedeutet, dass für ältere Semester mit eigener
Osteuropa-Vergangenheit wie mich zahlreiche Erinnerungen und
Assoziationen geweckt werden. Obwohl meine eigene osteuropäische
Anbindung weder polnisch noch katholisch ist, habe ich viele Parallelen
entdeckt - sowohl beim Feiern von Festen, als auch beim Einsetzen von
Handwerkern eigener Nationalität, aber vor allem in Bezug auf
Gastfreundlichkeit und Mitgefühl. Das macht das Buch zu einem
warmherzigen, mitreißenden Leseerlebnis, das ich möglichst vielen
Interessenten weiterempfehlen will - unbedingt lohnenswert! Und zwar
nicht nur als Buch über polnische Mütter: es ist ein Paradebeispiel für
das Zusammenleben unterschiedlicher Nationalitäten miteinander: Echt
polnisch, echt osteuropäisch, echt europäisch - echt kosmopolitisch!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Ein lange zurückliegendes Ereignis

Opfer
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nämlich eines, das sich 1984 in einem kleinen englischen Küstenstädtchen ereignete, steht im Mittelpunkt dieses Krimis - was eigentlich? Nun, das werde ich Ihnen bestimmt nicht verraten, erfährt es der ...

nämlich eines, das sich 1984 in einem kleinen englischen Küstenstädtchen ereignete, steht im Mittelpunkt dieses Krimis - was eigentlich? Nun, das werde ich Ihnen bestimmt nicht verraten, erfährt es der gespannte Leser schließlich auch erst (fast) am Ende des Buches. Aber es lohnt sich, bis dahin im Ungewissen zu sein, hat man es hier doch mit einer ausgesprochen atmosphärischen Darstellung der Jugend in einer englischen Kleinstadt der Thatcher-Zeit zu tun. Es hat jedenfalls was mit Ritualmorden und der anschließenden Verurteilung einer jungen Frau, Corrine Woodrow, zu tun.
Fast kann man es selbst spüren, was die Protagonistinnen Debbie, Samantha und Corrine damals in den 1980ern fühlten, was sie bewegte und antrieb - für mich jedenfalls ist diese Zeit noch ausgesprochen gegenwärtig, auch wenn ich damals zwar noch jung, aber immerhin bereits erwachsen war. Hier gab es Freundschaften, Lieben, Animositäten und noch vieles mehr, was nicht auf den ersten Blick wahrzunehmen war - langsam hangelt sich der Leser hier vor, zusammen dem jungen Privatdetektiv Sean Ward, der 2003, also fast 20 Jahre später, die Sache wieder aufnimmt. Er agiert im Auftrag von Corrines Anwältin, die an ihre Unschuld glaubt und den Fall neu aufrollen will und trifft auf die seltsamsten Zusammenhänge und Verbindungen - schnell wird deutlich, dass dies eine weitreichende Angelegenheit ist, die in der - übrigens fiktiven - Kleinstadt Ernemouth und darüber hinaus weite Kreise zieht bis hin zur Polizei und zur Kommunalverwaltung. Offenbar gibt es eine Menge Leute, denen Seans Ermittlungen gegen den Strich gehen - warum eigentlich?
Die Auflösung zeichnet sich zwar teilweise ab, beinhaltet aber auch noch genügend Überraschendes, um dieses so mitreißenden Spannungsroman lesenswert zu machen - von mir gibt es hier eine unbedingte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Familienwirrwarr oder Naturrealismus in der Gegenwartsliteratur

Meine Mutter, meine Tochter, ihr Freund, sein Vater und ich
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ch muss gestehen: ich mag keine heiteren Frauenromane. Kerstin Gier, Susanne Fröhlich, Hera Lind und die ganze Kompanie kann mir gestohlen bleiben. Nun griff ich - wie ich dachte - doch zu einem Buch dieser ...

ch muss gestehen: ich mag keine heiteren Frauenromane. Kerstin Gier, Susanne Fröhlich, Hera Lind und die ganze Kompanie kann mir gestohlen bleiben. Nun griff ich - wie ich dachte - doch zu einem Buch dieser Sparte, das etwas anders zu sein schein. Zudem wurde angekündigt, dass eines der Themen die Affinität der Ostwestfalen zur wunderbaren Domstadt Köln sein wird, ein Thema, das mich immer wieder amüsiert.

Doch ach, es kam ganz anders! Es war - teilweise - heiter, es handelte sich ganz klar um einen Frauenroman, aber es war überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte! Es handelt sich nämlich um einen Roman mit jeder Menge Tiefgang, einen, der nachdenklich werden lässt und der vor allem das Leben aus mehr als nur aus einer Perspektive reflektieren lässt.

Worum geht es? Die 39jährige Lehrerin Meike ist von ihrem Mann betrogen worden und während dieser es sich in der bisherigen gemeinsame Wohnung in Bielefeld gemütlich macht - mehr und mehr in Gesellschaft seiner neuen Geliebten, zieht Meike mit Kind und Kegel - in diesem Fall ihrer 66jährigen, frisch verwitweten Mutter und der 14jährigen Tochter Kim nach Köln, wo sie gottseidank bereits eine neue Stelle als Mathelehrerin am Gymnasium hat. Die Mutter spendiert das Haus und gibt die Richtung vor, die hochbegabte und bisher recht pflegeleichte Tochter verliebt sich zum ersten Mal so richtig - ausgerechnet in ihren 17jährigen Nachhilfeschüler. Der hat einen ziemlich interessanten Vater. Klingt nach 08/15? Nun, fallen Sie bloß nicht darauf rein, denn ansonsten entgeht ihnen ein fabelhafter, mitreißender Roman, der leicht zu lesen ist, aber nachwirkt - ich bin sicher, auch bei Ihnen!

Es ist nämlich eine Geschichte, die sacken muss und die genauso kompliziert ist wie der Buchtitel... passt also perfekt! Damit möchte ich weder sagen, sie ist zu kompliziert noch kompliziert geschrieben. Maja Bluhm - im wahren Leben Sabine Leipert - hat durchaus immer den Nagel auf den Kopf getroffen: es ist das Leben selbst, das so wahnsinnig kompliziert ist und immer neue Windungen für uns bereit hält!