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Veröffentlicht am 30.12.2017

Spiel des Lebens in zwölf Zügen

Carambole
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...oder vielmehr Runden, wie der Autor sie nennt. Der Titel des Buches ist "Carambole", ein altes Spiel, das im Buch von drei Männern, drei älteren Herrschaften, als welche sie bezeichnet werden, regelmäßig ...

...oder vielmehr Runden, wie der Autor sie nennt. Der Titel des Buches ist "Carambole", ein altes Spiel, das im Buch von drei Männern, drei älteren Herrschaften, als welche sie bezeichnet werden, regelmäßig gespielt wird - doch ist es das Spiel des Lebens, um das es hier geht. Das Leben der Dorfbewohner, die tagein, tagaus in einem kleinen Dorf ihre Tage verbringen - und doch so viele Sichtweisen auf dieselben Dinge haben, wie es Einwohner gibt - oder sogar mehr.

Einige fliehen auch, sind verschwunden. Sie lassen andere zurück und nehmen etwas mit - das gemeinsame Vermögen, das gemeinsame Kind. Die Verlassenen trauern nur bedingt - sie finden sich ab und fügen sich ein in die veränderten Strukturen... etwas passiert mit ihnen - eher, als dass sie selbst agieren. Das sind die Gebliebenen, die Romanhelden, die Steinchen der Carambole, die mit ihnen gespielt wird.

Es gibt ein Ende für einen Akteur, alle anderen machen weiter - genau wie bisher? Wir wissen es nicht, denn Jens Steiner präsentiert uns lediglich einen Ausschnitt, eine Art Blitzlichtaufnahme über ein paar Tage im Dorf. Das tut er sparsam, aber trotzdem wortgewaltig. Wie das gehen soll? Nun, er ist einer dieser Autoren, die mit Worten malen, aber er braucht nur wenige: ein Satz und ein Charakter, eine Beziehung, eine Situation wird erfasst, der Leser kann ihn/sie in ihrer Gänze begreifen. Hier sitzt jedes einzelne Wort.

Steiner präsentiert, nein, er entlarvt den dörflichen Alltag dadurch, dass die Bewohner aus verschiedenen Perspektiven dargestellt werden - mal aus der eigenen, mal wieder aus anderen.

Eine Milieustudie der Normalität - oder auch gerade nicht, denn wie einer der Protagonisten verkündet "war ich schon damals längst der Normalität abhanden gekommen." (S, 160)
Dieses kurze Buch beinhaltet eine Reihe einprägsamer Sätze, die zumindest ich nicht so schnell gergessen werde - so bin ich bspw. "überzeugt davon, dass jedes Alter seine eigene Ernsthaftigkeit hat" (S.112), ich wußte es bisher nur nicht!

Wie auch vieles andere, eigentlich Selbstverständliche, das der Autor mir hier plastisch vor Augen geführt hat. Lesenswert!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Deutscher Krimi mit gesellschaftspolitischem Anspruch

Wer ohne Liebe ist
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Mit "Wer ohne Liebe ist" hat die Autorin Mechthild Lanfermann den zweiten Teil ihrer Krimiserie um die Journalistin Emma Vonderwehr und den Ermittler Edgar Blume veröffentlicht. Die Serie spielt in Berlin, ...

Mit "Wer ohne Liebe ist" hat die Autorin Mechthild Lanfermann den zweiten Teil ihrer Krimiserie um die Journalistin Emma Vonderwehr und den Ermittler Edgar Blume veröffentlicht. Die Serie spielt in Berlin, wohin es Emma nach einem Skandal in ihrer Heimat Bremen verschlagen hat, hat aber mit herkömmlichen Regionalkrimis nichts zu tun - weder betulicher Humor noch Lokalkolorit - sei es im positiven oder in negativen Sinn - finden hier Platz.

Emma ist eine unbequeme Journalistin, die sich gern der Wahrheit stellt, bis ins Detail rechercheriert und auch schwierigen Interviews bzw. solchen mit unangenehmen Gesprächspartnern nicht aus dem Weg geht. Auch sie selbst ist ein Charakter mit Ecken und Kanten, genau wie auch ihre Beziehung zu Edgar Blume - auch er ein Typ mit Ecken und Kanten.

In vorliegendem Fall führt der Tod eines jungen Lehrers schnell und zunächst überraschend ins Milieu der brandenburgischen Neonazis und ist untrennbar mit der Vergangenheit - den 1980er Jahren, der Zeit vor dem Mauerfall also, verbunden. Der Leser sollte durchaus eine gewisse Nervenstärke aufweisen, denn die Anzahl an unangenehmen Figuren und unerfreulichen Begegnungen ist in diesem Roman nicht gerade gering - dafür aber realistisch und stilistisch gut dargestellt.

Ein ungewöhnlicher Krimi mit Protagonisten, die man so schnell nicht vergisst: genauso sollte es aus meiner Sicht sein, wenn man eine Krimireihe aufbaut, die lange in den Regalen der Buchhandlungen zu finden sein soll. Allerdings nichts für Leser, die durchweg sympathische Protagonisten mögen, mit denen man sich in jeder Situation identifizieren kann - das ist hier mit Sicherheit nicht so. Für mich ist dieser Faktor unwesentlich, deswegen ist die Reihe aus meiner Sicht ein großer Gewinn für die deutsche Krimilandschaft - ich werde Emma Vonderwehr auf jeden Fall treu bleiben und hoffe auf viele weitere Bände mit ihr!

In Qualität, Thematik und Anspruch möchte ich die Krimis von Mechthild Lanfermann auf eine Stufe mit denen von Elisabeth Herrmann, Nele Neuhaus und Jan Seghers stellen - ernsthafte Krimis also mit einem Anspruch auf Gesellschaftskritik. Auch den internationalen Vergleich bspw. mit der Norwegerin Anne Holt braucht sie nicht zu scheuen. Wer also einen richtig guten und spannenden deutschen Krimi lesen will, in dem auch gesellschaftliche Mißstände angesprochen werden, der greife zu diesem Buch.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Generationsübergreifendes Demonstrieren

Guten Morgen, Revolution - du bist zu früh!
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Auweia: Charlie, die 20jährige Tochter der Journalistin Nora, ist bei einer Anti-AKW-Demo in polizeiliches Gewahrsam genommen worden und Nora löst sie - ganz Mutter und gutes Vorbild - gegen den Rat des ...

Auweia: Charlie, die 20jährige Tochter der Journalistin Nora, ist bei einer Anti-AKW-Demo in polizeiliches Gewahrsam genommen worden und Nora löst sie - ganz Mutter und gutes Vorbild - gegen den Rat des Vaters und des herbeigeholten Anwalts - Fachmann für politische Fälle - gleich aus. Mutter? ja, mit Herz und vollster Überzeugung! Gutes Vorbild - wohl kaum, denn Nora hat es vor mehr als 20 Jahren - also vor Charlies Geburt - wesentlich wilder getrieben - zum Dauerdemonstrieren kamen noch Kommunen, diverse Männerwechsel und, und, und dazu. Dagegen ist Charlie (fast) eine alte, nein, natürlich junge Spießerin, die gleichwohl kurz vor ihrem Prozess steht. Und sie braucht Unterstützung, die sie sich von den früheren Kampfgefährten ihrer Mutter holen will. Ein Wiedersehen wird organisiert, dem Nora aus gutem Grund mit gemischten Gefühlen entgegensieht.

Ein spannendes und witziges, aber auf keinen Fall ein Slapstick-Buch - dazu ist es zu klug, baut auf zu vielen ernsthaften Hintergrundinfos auf. Die Autorin Kirsten Ellerbrake weiß nur zu gut, wovon sie schreibt - fast könnte man meinen, sie sei Nora (ein Schelm, der Böses dabei denkt). Ich habe mich mit diesem Buch köstlich amüsiert und sowohl meine Jugend in den 190ern wieder aufleben lassen als auch einen warmen Gedanken an mein Patenkind - ebenfalls ein überaus politisierter junger Erwachsener - geschickt, in der Hoffnung, dass ihm Charlies Schicksal erspart bleibt. Ein Buch für Mußestunden und um in eigenen Erinnerungen und Assoziationen zu schwelgen.

Mein Fazit also: Generationenübergreifendes Demonstrieren - mit Herz und vor allem mit Verstand. Für die "Demo-Generation" der frühen 1980er, die sich noch selbst ein Bild von Gorleben gemacht haben und noch die "Strauss-nein-Danke"-Sticker im Nachtschränkchen haben, ein Muss! Wie wir hier sehr plastisch dargestellt sehen, können feurige Protagonisten der nächsten und übernächsten Generation sich aber durchaus auch damit identifizieren - oder sich zumindest zusammen mit Charlie und Nora köstlich amüsieren!

Veröffentlicht am 30.12.2017

"Gefährlich ist's den Leu zu wecken

Liebe und andere Parasiten
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..Verderblich ist des Tigers Zahn - Jedoch der schrecklichste der Schrecken - Das ist der Mensch in seinem Wahn".

Auch wenn der Autor James Meek dem angelsächsischen Literaturbetrieb zuzurechnen ist und ...

..Verderblich ist des Tigers Zahn - Jedoch der schrecklichste der Schrecken - Das ist der Mensch in seinem Wahn".

Auch wenn der Autor James Meek dem angelsächsischen Literaturbetrieb zuzurechnen ist und "seinen" Schiller möglicherweise nicht so verinnerlicht hat wie viele der deutschen Kollegen, die auf gleichem - nämlich ausgesprochen hohen - Niveau schreiben, müsste ihm das Zitat aus der "Glocke" aus der Seele sprechen. Den Menschen in seinem Wahn - ja, den lernt der Leser dieses Romans in den verschiedensten Facetten kennen - und wahrlich nicht nur ein einzelnes Exemplar.

Eigentlich ist es eine Familien- und Liebesgeschichte, die Meek hier schreibt: die Geschwister Ritchie und Bec, die als Rockstar bzw. Wissenschaftlerin vollkommen unterschiedliche Wege beschritten haben. Ihre Vergangenheit, ihr Ursprung jedoch ist derselbe und fußt im Wesentlichen auf dem frühen Verlust des Vaters, eines Soldaten im irisch-englischen Krieg, der für seine Gesinnung gefoltert wurde. Ehrgefühl und weitere ethische Wertvorstellungen kommen hier vordergründig zum Tragen - und werden von Grund auf in Frage gestellt. Ritchie und Bec gehen beide Beziehungen ein, die unterschiedlicher nicht sein können - der Leser wird hier bei der Einführung mit den unterschiedlichen Figuren - es sind so einige und alle sind mit wenigen Zügen meisterhaft charakterisiert - mit den unterschiedlichsten Treibern konfrontiert, es sind die unterschiedlichsten Werte, Interessen, Mächte, die die Figuren am Leben erhalten. Kämpfen am Ende alle nur für sich, nur um selbst zu überleben? Verrat, Eigennutz, Mißgunst - sind das tatsächlich die tragenden Säulen der Gesellschaft?

Im Verlauf der Lektüre wird der Leser mit so einigen Parasiten konfrontiert, aber rasch - und hier folgt der Autor gewissermaßen Schiller - ist zu erkennen, dass der Mensch selbst der schlimmste, der gefährlichste aller Parasiten ist. Ein kraftvoller, ein schillernder Roman, der Denkanstöße für die wahrlich großen Fragen des Lebens, nein, des Seins gibt - die durchaus ihrerseits Gefahren beinhalten können - vor allem für Rezipienten, die Veränderungen und neue Wege scheuen.

Gewisse Parallelen konnte ich zu einem anderen großen Roman des Jahres 2013 (zumindest, was die deutschsprachige Übersetzung angeht) entdecken, nämlich zu "Bonita Avenue" des niederländischen Autors Peter Buwalda. Leser, die dieses Buch genossen, sind hier mit Sicherheit gut aufgehoben. Auch sonst empfehle ich die Lektüre vorbehaltlos all jenen, die keine Scheu vor der Konfrontation mit sich selbst, mit alten Ängsten und früheren Bedrohungen haben - und natürlich jenen, die gut geschriebene Literatur mit einer Menge echt britischen Humors zu genießen wissen!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Verliebt in Mr. Malik

Kleine Tierkunde Ostafrikas
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sind vermutlich so einige der weiblichen Rezipientinnen dieses Buches nach vollendeter Lektüre, denn einen bezaubernderen Protagonisten findet man selten. Nicht, dass er keine Ecken und Kanten hätte, aber ...

sind vermutlich so einige der weiblichen Rezipientinnen dieses Buches nach vollendeter Lektüre, denn einen bezaubernderen Protagonisten findet man selten. Nicht, dass er keine Ecken und Kanten hätte, aber er bemüht sich, sie zu schleifen und geht behutsam mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen um. Mr. Malik ist indischer Abstammung, lebt in Nairobi, Kenia, gehört - vermutlich schon länger - zur Generation 50+, ist Witwer, Fabrikbesitzer, Vater einer erwachsenen Tochter - Petula, die die Fabrik sukzessive übernimmt und engagiert sich sozial und kulturell über Gebühr. Derzeit gilt sein Augenmerk vor allem dem alteingesessenen Asadi Club, einem ehrwürdigen Club nach englischem Vorbild, in dem er sich seit Jahren engagiert, indem er bspw. die jährliche Clubsafari vorbereitet. Nun jedoch steht er vor größeren Herausforderungen, denn dem Club droht das Aus...

Darüberhinaus ist sein Schwarm Rose nach 4 Jahren in Schottland wieder im Lande, leider jedoch auch sein Kontrahent seit Schulzeiten Harry Kahn...

Es kommt zu diversen Irrungen und Wirrungen mit durchaus überraschenden Windungen und Abwegen. Das Entzückende an diesem Buch ist jedoch nicht der Inhalt - der auch nicht ohne ist - sondern vor allem das "Wie". Der Autor Richard Drayson vermag absolut reizend zu plaudern - bzw. hat er einen Erzähler eingesetzt, der dies für ihn tut.

Mir hat er pausenlos Tränen in die Augen getrieben, sei es, weil ich mich vor Lachen gekugelt habe, sei es vor Rührung. Spass und Empathie werden in diesem kleinen, jedoch durchaus gehaltvollen Buch nämlich aufs Trefflichste verbunden. Es ist zwar niedlich, aber nie oberflächlich, denn Missstände und Ungerechtigkeiten werden auf die dem Autor eigene Art durchaus angesprochen.

Ein Wohlfühlbuch, aber eines mit Ecken und Kanten, eines, das ich, wie bereits den Vorgänger, die "Kleine Vogelkunde Ostafrikas" mit Sicherheit mehrfach verschenken werde - denn dieses Buch macht einfach gute Laune und gibt zudem Impulse an geeigneter Stelle - nicht gerade ein Benimm-Knigge, aber wenn man es richtig liest, kann man durchaus Empfehlungen dazu aufgreifen, wie man es im Leben ein wenig einfacher haben kann - indem man hie und da den Mr. Malik in sich hervorblitzen lässt. Ein Buch zum Lesen, zum Vorlesen, zum Schwärmen, zum Verehren, zum Verschenken an jeden, mit dem man es gut meint!