Das weibliche Leseverhalten im Wandel der Jahrhunderte
Frauen und Bücher...wird hier von Autor Stefan Bollmann, keineswegs ein Neuling auf diesem Themengebiet, dokumentiert. Ein wunderschöner Band, veredelt mit Bildern und Zitaten verschafft dem Leser - oder vielmehr in den ...
...wird hier von Autor Stefan Bollmann, keineswegs ein Neuling auf diesem Themengebiet, dokumentiert. Ein wunderschöner Band, veredelt mit Bildern und Zitaten verschafft dem Leser - oder vielmehr in den meisten Fällen wohl der Leserin - Begegnungen mit so prominenten Literaturrezipientinnen vergangener Tage wie Jane Austen, Virginia Woolf und Susan Sontag - den meisten von uns bisher hauptsächlich als Autorinnen bekannt, aber auch mit etwas weniger bekannten wie Meta Klopstock und Caroline Schlegel. Desweiteren geht es um die Rezeption bekannter Werke im Wandel der Zeiten - hier stehen so bekannte Bücher wie "Die Leiden des jungen Werther" und "Ulysses" im Fokus, aber auch wesentlich Unbekanntere, deren Popularität dem Wandel des Zeitgeists nicht standhalten konnte.
Unterhaltsam und informativ - für die historisch begeisterte Leserin jedoch einerseits mit Längen, andererseits mit - natürlich schlecht vermeidbaren - Lücken. Was war mit den Frauen im Deutschland der Weimarer Republik, der wilden 1920er jahre? Wie rezipierten Französinnen ihre großen Autoren Zola und Proust zu Beginn des 20. Jahrhunderts? Diese und viele, viele weitere Fragen stellten sich mir während des Lesens - eigentlich ja sehr positiv, denn Lesen soll zum Weiterdenken anregen.
Klug und zumeist geistreich stellt Autor Bollmann den Zusammenhang zwischen Lesen und Schreiben, zwischen Lesen und der Gesellschaft, zwischen Lesen und der Politik dar, aber eines bleibt auf der Strecke - wie verlief die Entwicklung der lesenden Frauen im Vergleich zu der der Männer? Dass ihr Anteil zunahm, dass sie differenzierter und aktiver in den Lesebetrieb eingriffen - keine Frage! Aber was war mit dem Werk unseres Freundes Joyce, dem der Autor ein ganzes Kapitel widmet, aus weiblicher Sicht eigentlich anders? So richtig kommt dieser Aspekt an einigen Stellen leider für mich nicht rüber.
Anderseits verliert sich der Autor zeitweise in Kleinigkeiten - ich zumindest musste mich immer mal wieder zusammenreißen, um am Ball zu bleiben, trotz meiner grundsätzlichen Begeisterung.
Diese schwand dann endgültig zum Ende des Buches, wo Bollmann - in der Gegenwart angekommen - zunächst ein ganzes Kapitel der Fanfiction widmete, ohne groß auf Parallelentwicklungen wie Online-Lesekreise zu den verschiedensten Themen und die dadurch bedingte neuartige Einflussnahme der Leser auf die Autoren, Open Innovation im Literaturbetrieb also, einzugehen. Desweiteren erschlossen sich mir hier die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen der Fanfiction frönenden Lesern wiederum nicht. Und zum Schluss kam es dann ganz dicke: als einziges Beispiel für die Gegenwart diente "Shades of Grey" , ein Werk, das ich mit Sicherheit niemals lesen werde und das für mich nicht charakteristisch für das Lese- und Schreibverhalten der Gegenwart ist, zumindest nicht als alleinige, isoliert stehende Darstellung.
Mein Fazit - man erfährt vieles in diesem Buch, vieles - möglicherweise noch viel mehr - erfährt man jedoch nicht. Ein roter Faden zum Leseverhalten der Frauen im Wandel der Jahrhunderte zieht sich zu meinem Bedauern nicht durch das Buch, so dass es für mich wahrscheinlich eine Momentaufnahme ohne allzugroßen Erinnerungswert bleiben wird.