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Veröffentlicht am 30.12.2017

Was für ein Theater!

Theatertod
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ein ziemlich marodes, nämlich das Schauspielhaus Köln, ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Romans. Dass es der Handlungort ist, wäre falsch ausgedrückt: nein, die Kölner Bühne ist der Dreh- und Angelpunkt ...

ein ziemlich marodes, nämlich das Schauspielhaus Köln, ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Romans. Dass es der Handlungort ist, wäre falsch ausgedrückt: nein, die Kölner Bühne ist der Dreh- und Angelpunkt dieses ganz im klassischen Whodunnit-Stil gehaltenen Krimis.

Zu den Ereignissen: Peter, ein junger, vom Regisseur gequälter Schauspieler, dessen Leistungen sehr umstritten sind und der somit unter starkem Druck steht, stirbt unter merkwürdigen Umständen. Regieassistent Michael, selbst - obwohl durchaus begabt und auch beliebt - nicht gerade in der besten Position, beginnt zu ermitteln und gerät dadurch ins Kreuzfeuer der Ereignisse und vor allem der Fronten. Ein manipulativer,gieriger intendant, ein erbarmungsloser, dabei unfähiger Regisseur, unterschiedlich ehrgeizige Schauspieler mit verschiedensten Interessen, Prioritäten und Bedürfnissen, ein mit Michael konkurrierender Regieassistent... und dann kommt ihm auch noch die Liebe in die Quere - und das nicht zu knapp!

Sie finden, das ist alles ein wenig zu viel des Guten? Da bin ich ganz Ihrer Meinung, zumal die Figuren nicht gerade sonderlich vielschichtig dargestellt wird, aber aufgrund der tollen, atmosphärischen Darstellung des Theatermilieus und vor allem des Kölner Schauspielhauses bin ich bereit, nicht nur ein Auge zuzudrücken.

Eine etwas umständliche Darstellung mit zahlreichen klassischen Krimielementen, die vor allem die Liebhaber alter englischer Krimis interessieren bzw. gar begeistern könnten. Die Auflösung gestaltet sich auch ein wenig komplex, überrascht aber durchaus.

Auf jeden Fall ein passendes Geschenk für Theaterliebhaber, vor allem die aus dem Kölner Raum.

Veröffentlicht am 30.12.2017

"What a marvellous night for a moondance"

In der Nacht
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Das singt Van Morrisson, einer meiner All-Time-Favoriten und die Nacht
passt natürlich auch gut in den Titel eines Buches im Noir-Stil: Dennis
Lehane, einer der ganz großen Autoren der stilvollen Spannungsliteratur,
hat ...

Das singt Van Morrisson, einer meiner All-Time-Favoriten und die Nacht
passt natürlich auch gut in den Titel eines Buches im Noir-Stil: Dennis
Lehane, einer der ganz großen Autoren der stilvollen Spannungsliteratur,
hat sein neuestes Werk in das USA der 1920er/1930er Jahre verlegt, in
die Zeit der Prohibition und der großen Wirtschaftskrise. Warum? Nun,
lassen wir den Protagonisten Joe Coughlin, der sich vom kleinen
Handlanger des Syndikats zum Drahtzieher entwickelt, selbst zu Wort
kommen - in einem Dialog mit Dion, seinem Weggefährten über lange Jahre:

"Wir sind süchtig danach." "Wonach? Nach der Nacht - sie ist
unwiderstehlich. Wer sich für den Tag entscheidet, der muss nach ihren
Regeln spielen. Darum haben wir uns für die Nacht entschieden und
spielen nach unseren eigenen. Das Dumme ist nur, wir haben im Grunde
keine Regeln." (S.528)

Ein kleiner Eindruck vom großartigen,
coolen Stil des Romans, der den ein oder anderen Interessierten
vielleicht schon Blut lecken lässt. Mehr erfahren vom Leben für die
Nacht heißt, alles zu erfahren über Joes Leben: hier geht es vor allem
um sein Leben als Gangster, eingebettet in eine aufregende Epoche des
20. jahrhunderts. Wer sich auf das Buch einlässt, der lässt sich auf
jede Menge Spannung, aber auch auf Brutalität ein, denn die Jungs, um
die es hier geht , gehen nicht sanft miteinander um.

Lehane
schreibt - wie bereits angedeutet - einfach toll und sehr, sehr
atmosphärisch.... schwuppdich, ist man direkt im Boston in den 1920er
Jahren, dann wieder im Süden Amerikas bei den Schnapsbrennern und
Zigarrenbaronen, wohin der Leser, will er bei der Stange bleiben, Joe
folgen muss. Aber das wird den meisten Rezipienten nicht schwer fallen,
liest sich das Buch doch ungeheuer packend und fesselnd. Mir persönlich
allerdings fiel es an manchen Stellen dann doch schwer - zu brutal und
erschütternd die Entwicklungen, aber ich war dann doch zu neugierig und
kann nur sagen - es hat sich gelohnt, am Ball zu bleiben.

Die
Atmosphäre, die Präsenz des Zeitgeistes - das sind ganz eindeutig die
Vorzüge dieses Romans. Der Leser spürt auf Schritt und Tritt, wie Joe
sich ändert, spürt dessen sich ändernde Wahrnehmungen schrittweise im
Text. Joe als naiver Jungspund, als Strippenzieher des Syndikats, als
Liebhaber... diese und andere Rollen nimmt man dem Autor Lehane
vorbehaltlos ab: der ganze Erzählstil wechelt extrem von Teil zu Teil .
joe klingt nicht mehr so emotional, so überschäumend, er ist zunächst
ernüchtert und dann selbstbewußt...

Eine bzw. zwei Schwächen gibt
es aus meiner Sicht: die Figuren sind nicht so richtig plastisch
gezeichnet - es passiert mir selten genug beim Lesen, aber hier habe ich
mir immer mal wieder gewünscht, das alles als Film zu sehen, um mir ein
"richtiges" Bild machen zu können. Das Zeichnen eines Charakters mit
wenigen Pinselstrichen ist nicht Lehanes Stärke. Und teilweise waren die
Entwicklungen dann doch ausgesprochen vorhersehbar - zumindest im
Groben wusste man dann doch sehr oft schon im Voraus, wohin die Reise
geht...

Trotzdem ein großer Roman, einer der Botschaften
transportiert und der mit Genuss gelesen werden kann - wie schon
erwähnt, werden Freunde der gehobenen und stilvollen Spannungsliteratur
ihre helle Freude daran haben!

Veröffentlicht am 30.12.2017

Marmor, Stein und Eisen bricht...

Liebe Steine Scherben
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Liebe und Freundschaft leider auch: es ist hart, jung zu sein in den späten 1970ern, in einer Zeit, in der für Eltern und Großeltern Krieg und Verlust noch mehr als lebendig sind, der Zeit des wirklich ...

Liebe und Freundschaft leider auch: es ist hart, jung zu sein in den späten 1970ern, in einer Zeit, in der für Eltern und Großeltern Krieg und Verlust noch mehr als lebendig sind, der Zeit des wirklich und wahrhaftig eisKalten Krieges, der jeden Tag losgehen konnte... und der Zeit des Krieges in Deutschland. Ja, dieses Buch spielt im Jahr des deutschen Herbstes, in dem viele von uns, die damals jung waren, ein Stück erwachsener wurden. Wer sich zurückversetzen will in diese schwierige und doch so lebendige Zeit, der kommt um dieses Buch nicht drumherum.

Sommer und Herbst 1977: Erzählt wird aus der Perspektive des 13jährigen Johann, der liebt : schmerzvoll und seit langer Zeit. Objekt seiner Begierde ist die Nachbarstochter Tilda, schon fünfzehn, die mit ihm den Molly macht - ihn springen lässt, wie es ihr beliebt... und auch ihrerseits verliebt ist, nur nicht in Johann, sondern in den gleichaltrigen Sebastian.

Eine Dreiecksgeschichte voller seltsamer Begierden, Entwicklungen, Ränke und Hoffnungen - und immer schwebt der Zeitgeist über allem. Andreas Baader - Bedrohung oder fast Pop-Star? So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen der Akteure, aber auch diese ändern sich von Tag zu Tag - man ist schließlich in der Pubertät, da darf man das.

Was Jelle Behnert hier schreibt, das trifft ganz, ganz tief ins Mark - mich jedenfalls. Es schockiert, macht betroffen, befangen, erheitert, verblüfft, verärgert, verstört... und lässt vor allem Erinnerungen an eine längst vergangen geglaubte Zeit aufkommen, eine Zeit der Unsicherheit, der inneren Unruhe, unendlich vieler Ängste - aber auch an eine Zeit der Hoffnungen: das Leben lag ja noch vor einem.

Richtig, auch ich war 13 in diesem schicksalhaften Jahr 1977, was das Buch für mich ganz besonders ergreifend, begreifend und zugreifend werden lässt ... doch ich bin sicher, es lässt keinen so ganz kalt. Es polarisiert unendlich und Jelle Behnerts Sprache, die mich tief berührt, mag auf andere abstoßend wirken. Doch das ist wahre Literatur, die lange, lange in mir nachwirken wird, mit der ich leben werde.

Warum dann keine bedingungslose Begeisterung von meiner Seite - ganz einfach: es waren Kleinigkeiten, die nicht ganz reinpassten, nichtsdestotrotz mein Lesevergnügen aber ein wenig hemmten - unzeitgemäße Begriffe wie "Cliffhanger", die 1977 im deutschen Sprachraum sicher noch nicht verwendet wurden, Unstimmigkeiten in bezug auf Johanns Alter, dies und das eben - nichts Großes, aber es summierte sich halt.

Trotzdem ein Buch, was ich vor allem der in den 1960ern geborenen Generation ans Herz legen möchte, aber auch allen anderen, die sich mal wieder wachrütteln, nein: die sich so richtig durchrütteln lassen wollen von einem ungewöhnlichen Stück deutscher Literatur.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Alte Autoren neu entdecken

Österreichs vergessene Literaten
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...kann man mit diesem Buch von Clemens Ottawa, wobei "alt" relativ ist: Eine
ganze Reihe dieser vergessenen Autoren ist überaus früh verstorben und sind
möglicherweise gerade deswegen in Vergessenheit ...


...kann man mit diesem Buch von Clemens Ottawa, wobei "alt" relativ ist: Eine
ganze Reihe dieser vergessenen Autoren ist überaus früh verstorben und sind
möglicherweise gerade deswegen in Vergessenheit geraten. Dazu gehören Vertreter
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Clemens Eich, Manfred Maurer,
Reinhard Priessnitz und Meta Merz ebenso wie Protagonisten früherer Epochen wie
Robert Müller, Raimund Berger und die aus meiner Sicht besonders
wiederentdeckenswerte Hertha Kräftner. Insgesamt erstreckt sich die zeitliche
Bandbreite über mehrere Jahrhunderte - BarockautorInnen des 17. Jahrhunderts
finden hier ebenso ihren Platz wie Schriftsteller des 19. und des 20.
Jahrhunderts.

Doch auf der anderen Seite hat es mich erstaunt, Namen wie
Jakob Wassermann, Gina Kaus und Hannelore Valencak hier zu finden - Autoren, die
meiner Ansicht nach gegenwärtig durchaus präsent sind und auch diskutiert werden
- also zu Unrecht den vergessenenen Autoren zugerechnet werden, auch wenn ich
mich gefreut habe, in diesem Buch über sie zu lesen - neu waren die
diesbezüglichen Angaben jedoch nur zu einem Teil.

Kurz sind hier die
Begegnungen mit den Literaten vergangener Zeiten, nur 2 bis 4 Seiten lang kann
man sich auf jeden von ihnen einlassen. Einige Informationen zur Person, danach
ein kurzer Ausschnitt aus dem jeweiligen Werk - wirklich nur ein Blitzlicht, das
aus meiner Sicht oft gar keinen richtigen Eindruck vermitteln kann. Mein
Interesse konnte in der Regel eher durch die Informationen zur Person geweckt
werden als durch den Einblick ins literarische Werk.

Was ich besonders
toll fand: Clemens Ottawa hat auch vielen Autorinnen ein Plätzchen eingeräumt -
man hat hier die Chance, fast genauso viele in Vergessenheit geratene weibliche
wie männliche Autoren kennenzulernen. Für mich gab es hier
geschlechterübergreifend eine Menge interessanter neuer Bekanntschaften, die es
nun zu vertiefen gilt wie bspw. die mit Grete Zeemann und Hermynia von zur
Mühlen, Georg Fröschel oder Else Jerusalem.

Der Autor hat den Mut gehabt,
politisch unkorrekte Autoren mit einzubeziehen - also vor allem solche, die mit
den Nazis sympathisiert haben. Aus meiner Sicht die richtige Entscheidung, denn
auch sie sind Teil der österreichischen Literaturgeschichte, auch wenn man ihrem
Gedankengut nicht folgen muss, ihre Texte möglicherweise nicht in aller
Ausführlichkeit rezipieren will. So gibt es interessante Einblicke in das Leben
von Grete von Urbanitzky, einer zerissenen Persönlichkeit auf politischen
Abwegen, über deren Biografie ich gleichwohl gern mehr erfahren
würde.

Was mich ein wenig betrübt hat, waren die oft ausgesprochen kurzen
biographischen Angaben, so bspw. zu Hildegard Jone, von der mir wenig mehr als
der Name in Erinnerung bleiben wird. Oft hatte ich das Gefühl, der Autor hat
aufgehört zu recherchieren bzw. zu schreiben, wenn es gerade interessant wurde.
Auch die Ausschnitte aus den literarischen Werken hätten gerne etwas länger bzw.
in einigen Fällen anders ausgewählt sein können, manche davon haben einfach zu
wenig Biss.

Insgesamt aber ein wertvolles und informatives Buch, das ich
sicher noch oft zur Hand nehmen werde.

Veröffentlicht am 30.12.2017

Penny Lane is in my ears and in my eyes

Abbey Road Murder Song
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... und spielt auch in diesem Buch eine ganz besondere Rolle - allerdings auch in einer ganz besonderen Form. Überhaupt: die Beatles als Rahmen und als Hintergrund swingen sich nur so durch den Krimi - ...

... und spielt auch in diesem Buch eine ganz besondere Rolle - allerdings auch in einer ganz besonderen Form. Überhaupt: die Beatles als Rahmen und als Hintergrund swingen sich nur so durch den Krimi - man bekommt eine Vorstellung von dem Hype um sie in London in den roaring sixties.

Aber das alles geschieht eher am Rande - dieser kluge und anschauliche Krimi vermittelt ein Bild des England der 1960er Jahre in sehr vielen Belangen - als einen noch sehr traditionellen Hort der Gesellschaft, in dem Frauen - wie in Deutschland auch - beruflich stark benachteiligt wurden. Detective Cathal Breen - auch er mit beruflichen Problemen, da er jahrelang für seinen kranken, nun gerade verstorbenen, Vater gesorgt hat und teilweise von seinen Aufgaben überlastet scheint, bekommt mit Helen Tozer eine Kollegin zur Seite - ein ungeheures Novum, sind Frauen bei der Polizei doch eigentlich in separaten Abteilungen organisiert, in denen sie ein Schattendasein führen. Zusammen sollen sie den Mord an einem jungen Mädchen, das quasi im Müll gefunden wurde, aufklären.

Neben der Gender-Problematik widmet sich Shaw hier dem Rassismus, dem Generationenkonflikt und natürlich der sozialen Lage in den 60er Jahren im allgemeinen - und bei keinem dieser Themen bleibt er an der Oberfläche. Ab und zu geschieht dies auf Kosten der Spannung, aber er fängt sich immer wieder. Ein ungewöhnliches Buch, dessen Lektüre sich auf jeden Fall lohnt, auch wenn es für manch einen starker Tobak sein mag - nicht wegen der Brutalität der kriminellen Szenen, sondern ganz einfach wegen der Brutalität des Alltags: bei Sätzen wie "Ich war schon immer dagegen, dass weibliche Beamte die Aufgaben von Männern übernehmen" muss man schon schlucken - und ist heilfroh, als berufstätige Frau im Hier und Jetzt zu leben.

Auch wenn es ein Krimi war: zeitweise fühlte ich mich versetzt in "We want Sex", Nigel Coles wunderbaren Film zur Situation der Arbeiterinnen in den 1960er Jahren in England - hier ging es zwar um einen höher qualifizierten Job, aber die Polizistinnen befanden sich in derselben Situation und mussten für jedes kleine Fitzelchen ihrer Rechte kämpfen. William Shaw vermag diese Situation ganz genau wie sein Geschlechtsgenosse Cole ganz wunderbar zu transportieren. Also ein Buch für Frauen? Nein, definitiv nicht bzw. nicht nur - einfach ein Buch für gesellschaftlich Interessierte, die es gern ein wenig spannend mögen.