Familienbande
All die Jahre„All die Jahre“ von Courtney J. Sullivan ist eine berührende irische Familiengeschichte mit zwei Schwestern, Nora und Theresa, im Mittelpunkt, die in den 1950er Jahren gemeinsam aus Irland nach Amerika ...
„All die Jahre“ von Courtney J. Sullivan ist eine berührende irische Familiengeschichte mit zwei Schwestern, Nora und Theresa, im Mittelpunkt, die in den 1950er Jahren gemeinsam aus Irland nach Amerika auswandern.
Das Buch beginnt mit dem Tod von Noras ältestem Sohn Patrick und endet mit seinem Begräbnis. Mit vielen Rückblicken und aus den unterschiedlichen Blickpunkten der beiden Schwestern sowie von Noras drei übrigen Kindern erfährt man deren Geschichte.
Nora Flynn ist 21 Jahre alt, als sie mit ihrer jüngeren Schwester das rückständige Irland in Richtung Amerika verlässt, um dort ihren Verlobten zu heiraten. Sie sorgt für Theresa seit die Mutter vor Jahren starb, und versucht ihr auch in der Neuen Welt einen bestmöglichen Start zu ermöglichen. Aber Theresa wird schwanger, Nora trifft folgenschwere Entscheidungen für sie, was die beiden Schwestern entzweit und Theresa ins Kloster treibt. Erst durch Patricks Tod kommen die beiden wieder zusammen und setzen sich mit ihrem Leben auseinander.
Mit unglaublicher Lust am Fabulieren, mäandernd und voller Sinn für gute Familiengeschichten erzählt Sullivan vom für mich unvorstellbar kargen Leben in Irland, von den irisch dominierten Straßenzügen in Großstädten der USA, vom Familienzusammenhalt und Ausbruchsversuchen und von damals herrschenden Konventionen. Für mich erstaunlich authentisch und glaubhaft nachvollziehbar begleite ich die Figuren durch das rückständige Irland mit arrangierten Ehen wegen Landzugewinn, mit aus heutiger deutscher Sicht unglaublicher Normalität und Akzeptanz von Alkoholismus und Bevormundung der Mädchen und Frauen durch die Familienbande.
Ebenso spannend und gespickt mit sehr vielen interessanten Details bewegt man sich durch die Enklaven der irischen Einwanderer in Amerika, die ganze Straßenzüge beherrschen, neu ankommende Familienmitglieder aufnehmen und versorgen und trotz des Willens nach Anpassung in der moderneren großstädtischen Welt an alten irischen Traditionen verbiestert und irischer als die Iren zu Hause festzuhalten.
Es ist einfach eine wunderbare Art des Erzählens, die mich nicht zuletzt wegen der vielen interessanten Charaktere sehr schnell in ihren Bann gezogen hat und völlig gefangen hielt. Vorsichtig und allmählich öffnen sich Nora und Theresa des Leser, halten Überraschungen bereit, die für Spannung sorgen. Nebencharaktere sind nicht nur schmückendes Beiwerk und die verschiedenen Sichtweisen des Buches vermitteln einen nachhaltigen und glaubhaften Eindruck des Lebens der Familie.
Andeutungen und Schweigen, Geheimnisse und Rückzug, kurze Blicke hinter den Vorhang dienen bis zum Schluss der Spannung einer Geschichte, die viele Überraschungen parat hält.
Unlösbare Familienbande und der Versuch des Ausbechens, Bevormundung, Verzeihen und Verlust, Trauer, Glück und fast nicht tragbare Bürde stehen in diesem Buch so eng beieinander, sind so glaubhaft dreidimensional beschrieben, dass es manchmal beim Lesen schmerzt.
Es ist einfach ein wunderbares, für mich rundum gelungenes Buch mit einer interessanten, bedrückenden und zugleich hoffnungsvollen Familiengeschichte, das ich ganz ausdrücklich zum Lesen empfehle.