O: Death on the Nile, 1937, November; in den USA im Folgejahr. Dieser 22. Kriminalroman von Agatha Christie ist der 15. mit Hercule Poirot. Die deutsche Erstausgabe erschein bei Scherz 1959 übersetzt von Susanne Lepsius; leider übersetzte sie hier „Linnet Ridgeway“ als „Linna Ridgeway“, warum auch immer. Meine Ausgabe ist von 1983 mit einem Coverbild aus der Verfilmung von 197 mit Peter Ustinov (genial hinsichtlich der Manierismen von Poirot, jedoch optisch weit entfernt vom kleinen, eierköpfigen, schwarzhaarigen Original – hier bleibt David Suchet der Maßstab). Seit 2005 gibt es eine neue Übersetzung durch Pieke Biermann im Fischer Verlag; vergleiche Wikipedia. Neben Poirot tritt hier zum dritten Mal Colonel Race in Erscheinung wie auch in:
(1) 1963: Der Mann im braunen Anzug – 1924: The Man in the Brown Suit. Standalone, kein sonst wieder in Erscheinung tretender Ermittler, außer eben Race
(2) 1938: Mit offenen Karten/ Karten auf den Tisch – 1936: Cards on the Table. Mit Poirot (zum 13. Mal)
(3) (Der) Tod auf dem Nil – Death on the Nile
(4) 1949: Blausäure – 1945: Sparkling Cyanide, US: Remembered Death. Standalone.
Linna (eigentlich Linnet) Ridgeway gilt als die Frau, die alles hat: sie ist jung, schön, entschlossen und die reiche Erbin eines Millionärs. Lord Charles Windlesham macht ihr einen Heiratsantrag, der sie endgültig in den besten Kreisen etablieren würde. Doch Linna verliebt sich in Simon Doyle und heiratet ihn, noch bevor sie 21 wird. Aber Simon wurde ihr vorgestellt als Verlobter ihrer Schulfreundin Jackie de Bellefort – und die verfolgt das Paar auf der Hochzeitsreise. Als die unfreiwillige Reisegesellschaft in Ägypten ankommt, trifft sie neben verschiedenen anderen Personen dort auch auf Hercule Poirot. Man findet sich auf einer Nilkreuzfahrt wieder – und der Tod ist mit an Bord.
Ich empfinde diesen Roman als einen der modernsten Poirots – da gibt es Stalking, noch bevor man das so genannt hätte, und mit Linna/Linnet und Jackie zwei Protagonistinnen, die ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, statt brav auf die Herren der Schöpfung zu warten (man könnte das auf weitere Damen der Reisegruppe ausdehnen; das ist so ein wiederkehrendes Thema der Dame – die Herren kommen nicht immer gut weg bei ihr). Außerdem ist der Aufbau sehr modern, da werden die verschiedenen Protagonisten kapitelweise im Wechsel immer weiter vorgestellt, so dass der Leser zum Zusammenhang immer weiter grübeln kann, was denn passieren mag (wäre nicht der Klappentext, der das Mordopfer vorab verrät, nun ja). Vom eigentlichen Mord erfährt man im Roman erst auf Seite 102 meiner Ausgabe.
Ab da folgt die Ermittlung den bewährten Schemen voriger Poirot-Romane, da wird erfasst, wer von den Teilnehmern der Kreuzfahrt mit wem um welche Zeit an welchem Ort war, worin ein Motiv bestehen könnte und welche Wege genommen wurden. Erschwert wird die Ermittlung durch ein Perlendiebstahl, einen Angriff mit einer Schusswaffe und die Gewissheit, dass ein politischer Agitator an Bord vermutet wird (heute würde man wohl von einem Terroristen sprechen). Von den Gästen könnte mehr als eine Person involviert sein und (typisch für Christie) mehr als einmal wird die Wahrheit aus eigennützigen Motiven verschwiegen:
• Tim Allerton und seine Mutter Mrs Allerton, 50. Der Leser folgt ihnen ab Mallorca.
• Joanna Southwood, 27. Sowohl Tims Cousine zweiten Grades als auch eine Freundin von Linna.
• die ältere Miss Marie Van Schuyler, ihre Pflegerin Miss Bowers und ihre „arme Cousine“ Cornelia Robson als Gesellschafterin
• Linnas Vermögensverwalter Mr. Andrew Pennington - er und sein nicht mitreisender Partner Sterndale Rockford erfahren in NY von Linnas Hochzeit.
• Jim Fanthorp. Er und sein nicht mitreisender Onkel William Carmichael glauben nicht, dass Pennington zufällig in Ägypten auf Linna trifft
• Mrs Salome Otterbourne, Autorin anzüglicher Romane, und Tochter Rosalie
• Guido Richetti, Archäologe aus Italien.
• Dr. Bessner - auf dem Schiff. Deutscher? Nein, Arzt aus Österreich
• Mr. Ferguson - der „sozialistische junge Mann“
Schiffsingenieur Fleetwood
• Louise Bourget, Linnas Mädchen
Trivia:
Ägypten ist mehrfach Schauplatz von Christies Romanen, so in:
- Rächende Geister (zur Zeit der Pharaonen)
- "Das Abenteuer des ägyptischen Grabes" - einer Kurzgeschichte in "Poirot rechnet ab"
Referenzen:
Kapitel 6: Referenz zu Poirots schwerstem Fall (bei mir S. 55) "Obwohl ich zugeben muß, daß das genialste und am schwierigsten zu lösende Verbrechen, das mir unter die Hände kam, einer plötzlichen Eingebung zufolge begangen wurde." - hm, welcher Fall mag das sein, der einer plötzlichen Eingebung zufolge begangen wurde? Hm. Ich vermute "Karten auf den Tisch", weil dieser Mord aufgrund einer Bemerkung des Gastgebers spontan begangen wurde.
Vielleicht: Der blaue Express,
Kapitel 11: Referenz zu "Mit offenen Karten": "Hercule Poirot war Oberst Race ein Jahr zuvor in London begegnet. Sie waren beide Gäste eines sehr seltsamen Diners gewesen, das mit dem Tod eines sehr seltsamen Menschen geendet hatte - ihres Gastgebers." (bei mir Seite 89)
Kapitel 12: Miss van Schuyler erwähnt gegenüber Poirot Rufus van Aldin (bei mir S. 93) "Mir ist eben erst zu Ohren gekommen, wer Sie sind, Monsieur Poirot. Ich habe von Ihnen gehört durch meinen alten Freund Rufus van Aldin." Das bezieht sich auf "Der blaue Express"
Kapitel 22: Referenz an Mord im Orientexpress (bei mir S. 160) "Vor Jahren, als ich einen Mordfall im Orientexpress untersuchte, spielte ein roter Kimono eine gewisse Rolle. Er war verschwunden, musste aber noch im Zug sein. Und wo, meinen Sie, fand ich ihn? In meinem eigenen Koffer! Eine unglaubliche Frechheit, nicht wahr?"
Kapitel 27: Referenz Japp "Mein Freund, Chiefinspektor Japp, kam zu dem Schluß, daß die Diebstähle ..." Bei mir S. 193
Kapitel 27: die Namen der Gemüse könnten auf "Der Mann im braunen Anzug" verweisen
Kapitel 28: S. 202 Referenz zu "Mord in in Mesopotamien" "Ich habe einmal beruflich an einer archäologischen Expedition teilgenommen ..."
Zeitgeist:
S. 13 „Negerkapelle“
Cornelia Robson arbeitet als „arme Verwandte“ als Gesellschafterin für eine Cousine
S. 69 "...obwohl sie wie eine Negersklavin behandelt wird."
S. 85 „Neger“
S. 86 "..einer von diesen kleinen schwarzen Teufeln..." = ein Ägypter