Ist dies nun ein Krimi oder ein faszinierender Traktat über die Geschichte von Istanbul?
Zuerst einmal ein Lob für Sabine Adatepe. Sie hat das Buch sehr feinfühlig und trotzdem spannend übersetzt. Ich habe jede Seite genossen. Sei es die spannenden Szenen des eigentlichen Romans, wo sich der ...
Zuerst einmal ein Lob für Sabine Adatepe. Sie hat das Buch sehr feinfühlig und trotzdem spannend übersetzt. Ich habe jede Seite genossen. Sei es die spannenden Szenen des eigentlichen Romans, wo sich der Kreis der Verdächtigen mal weitet, mal einengt und meistens als falsch erweist, oder die hoch interessanten und wunderbar recherchierten Themen zur Geschichte dieser faszinierenden Stadt. Und dazwischen filigrane Kostproben türkischer Lyrik, die zum Innehalten einladen, zum verweilen verführen. Gerade die Kombination aus Geschichte und Krimi macht dies zu einem Klasse Buch. Die Mörder haben sich genau überlegt, wen sie töten und wo sie die Leichen in Istanbul der Öffentlichkeit legen oder besser gesagt präsentieren. Denn die Abladeorte und die Positionen der Toten sind nicht zufällig ausgewählt. Es handelt sich jedes Mal um Symbole der so wechselseitigen Geschichte dieser Stadt.
Gemeinhin nennt man Rom die ewige Stadt. Aber Istanbul verdient diesen Beinamen auch. Gelegen an der Nahtstelle von zwei Kontinenten, war Istanbul vor nicht mal 200 Jahren noch die Herrscherin über weite Teile von drei Kontinenten und dies schlägt sich natürlich auch in der Architektur dieser Stadt nieder. Ahmet Ümit führt uns dies sehr lebendig vor Augen, indem er Tote (kleines Wortspiel, unvermeidbar) an den Knotenpunkten der Historie Istanbuls platziert. Und dadurch wird Istanbul selber zu einer der Hauptfiguren im Roman. Sie hat Charakter, ist ständig präsent, ist verführerisch schön, aber auch gnadenlos durch ihre Bewohner. Wer Istanbul schadet muss früher oder später mit Konsequenzen rechnen.
Das Dreigespann, das die Ermittlungen in diesen Serienmorden aufgenommen hat kommt sehr engagiert und sympathisch rüber. Da wären zuerst einmal der Hauptermittler Hauptkommissar Nevzat. Schon in einem reiferen Alter, trauert um seine Frau und seine Tochter die einem Verbrechen zum Opfer fielen, liebt Lyrik, Freundschaft und gute Küche. Scharfsinnig, offen für alles, ermittelt in alle Richtungen, erkennt trotzdem leider viel zu spät was genau die Morde an den historischen Stätten Istanbuls ausgelöst hat.
Seine Assistenten Ali und Zeynep, beide jung, voller Elan, hoch intelligent, und auch schon versierte Ermittler. Sie unterstützen Nevzat tatkräftig, sind immer zur Stelle und einsatzbereit wenn sie gebraucht werden.
Dann wären noch Nevzats Freunde, der Tierarzt Demir und der Poet und Architekt Yekta, die ihm in schweren Stunden beigestanden haben, mit denen ihn gemeinsame Kindheit und Jugend verbinden, auch die Liebe zur gleichen Frau, Handan, die aber nur einen von ihnen auserwählt hat: Yekta.
Die Verdächtigen entziehen sich immer wieder des akuten Tatverdachts sei es durch Verhaftung während weitere Morde geschehen, sei es durch tatkräftige und unwiderlegbare Alibis oder schlicht und einfach weil sie sich selber in die Reihe der Mordopfer einfügen. Unfreiwillig versteht sich.
Das Coverbild ist ein echter Hingucker. Historische Boote und im Hintergrund die Hagia Sofia mit zwei Minaretten. Da muss man ja richtig zu Buch greifen.
Fazit: Lesegenuss pur.