Cover-Bild Fast ein bißchen Frühling
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13,00
inkl. MwSt
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 192
  • Ersterscheinung: 01.02.2004
  • ISBN: 9783423131674
Alex Capus

Fast ein bißchen Frühling

Roman

Fernweh und Heimweh zugleich – die Geschichte zweier Bankräuber, die 1933 aus Wuppertal nach Indien fliehen wollten, der Liebe wegen aber nur bis Basel kamen.

Zwei arbeitslose Burschen, Kurt Sandweg und Waldemar Velte, suchten im Winter 1933 den Seeweg von Wuppertal nach Indien. Um sich das Reisegeld zu beschaffen, überfielen sie eine Bank, wobei sie versehentlich den Filialleiter erschossen. Auf der Flucht vor ihren Verfolgern kamen sie nicht sehr weit: In Basel verliebte Kurt Sandweg sich in die Schallplatten-Verkäuferin Dorly Schupp. Tag für Tag kauften er und sein Freund eine Tango-Platte, bis das Geld aufgebraucht war und der nächste Banküberfall nötig wurde. Abend für Abend gingen die drei am Rhein spazieren. Mit von der Partie war die junge Sportartikelverkäuferin Marie Stifter, die dreißig Jahre später die Großmutter des Erzählers wurde und die sich entscheiden musste zwischen einem Bankräuber und ihrem Verlobten.

Platz 6 der SWR-Bestenliste im März 2002
Buch des Monats März 2002 in ›Literaturen‹ 

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.01.2022

Lindner! Kaffee holen: Grüß mir mein Hawaii!

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Der Leser nimmt ein Buch zur Hand, das 2002 erschienen ist und eine lange Vorgeschichte hat. Es stammt von einem 1961 geborenen Autor, der sich in Basel zum Historiker auszubilden gedachte, wo auch Jacob ...

Der Leser nimmt ein Buch zur Hand, das 2002 erschienen ist und eine lange Vorgeschichte hat. Es stammt von einem 1961 geborenen Autor, der sich in Basel zum Historiker auszubilden gedachte, wo auch Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche oder Frantisek Graus im Fach und am Ort wirkten. Aus dem Historiker wurde aber in diesem Fall ein freier Schriftsteller und das Buch über den Fast-Frühling sein erster Erfolgsroman. Wie man hört und liest, war es eine recht schwere Geburt, von der Entdeckung der Presseberichte aus den 1930er Jahren über das junge Bankräuberpaar, das die Stadt Basel wochenlang in Atem hielt, zu der Aufbereitung in Romanform in 24 vielschichtigen Kapiteln. Die reißerische Geschichte beginnt am 13.12.1933 im „Personalerfrischungsraum“ des Kaufhaus Globus am Basler Marktplatz (Kap.1) und endet (unweit davon) am 21.1.1934, einem Sonntag, im Margarethenpark, der von 800 Polizisten umstellt, aber nicht gestürmt wird, weil die beiden deutschen Bankräuber vom Jahrgang 1910, die die Liebe zur Technik und ein inniges Verhältnis verband, wie Kleist und seine unglückliche Gefährtin seinerzeit am Wannsee gemeinsam und von eigener Haus aus einem unerträglich gewordenen Leben schieden. (Kap.21) In Sandwegs Schädel fanden sich bei der Obduktion zwei Kugeln aus Veltes Revolver. Die Zeitungsschreiber, zu denen Capus einst selbst gehörte, ziehen am Montag, dem 22.1.1934, „eine Bilanz des Dramas“ und berichten u.a., „Velte und Sandweg hatten Mut, Draufgängertum, wollten, dass das Leben einen hohen Einsatz von ihnen fordere.“ (Kap.22) Ein derart wuchtiges Elexier aus Romantik und nachweisbarer Realität haben manche Leser für allzu toxisch angesehen, es gibt aber bis zum heutigen Tag auch Schulklassen, die den Deutschunterricht dank Capus wieder etwas interessanter finden. Ich zitiere die Schülerin einer 9.Klasse, die sich 2020 über die Beziehung von Marie Stifter und Ernst Walder, den Großeltern des späteren Ich-Erzählers und Beteiligten am historischen Geschehen um Velte und Sandweg, in Aufsatzform Gedanken machte: „Ernst Walder scheint sehr darauf fixiert zu sein, nach außen hin im Dorf als ´perfekter Sohn´ betrachtet zu werden, weshalb er auch so vielen Aktivitäten im Dorf überhaupt erst nachgeht und im späteren Verlauf des Buches Marie schließlich einen Heiratsantrag macht. Damit (!) er im Nachhinein nicht derjenige ist, über den im Dorf erzählt wird, wie er von seiner Freundin für einen fremden Typen, Kurt Sandweg, womöglich verlassen wurde. Marie will das alles im Herzen gar nicht, das arrangierte Heiraten, das isolierte Dorfleben oder ihre durch die Familie bereits festgelegte Zukunft.“ (Emelie B.) Emelie hat auch erkannt, dass die Schuhreparatur, zu der sich Ernst Walder rollenkonform gezwungen sieht (Kap.8), in Anspielung auf „Aschenputtel“ Blut in den Schuh fließen lässt. Bei aller Kritik an Capus´ Neigung zu poetischen und empirischen Kraftmeiereien möge man also nicht übersehen, wie der Autor mit seinen penibel und aufwändig recherchierten Doku-Fiktionen den aktuellen Zeitgeist immer noch trifft und dabei, altmodisch gesagt, am Schicksal fast jeder Einzelfigur, also an Demokratie, Humanität und Solidarität, ein aufrichtiges und glaubwürdiges Interesse zeigt. Es lebe die Schweiz! Neben Marie Stifter ist es Viktoria (Dorly) Schupp, die den Wuppertaler Desperados, die sie als der Finne und der Österreicher wahrnimmt, Chancen einräumt, nachdem die Ehe mit dem einheimischen Steuerbeamten und Radrennfahrer Anton Beck in die Brüche gegangen war und die nun über 30-jährige Frau wieder bei ihrer inzwischen verwitweten Mutter wohnen musste. Das Kaufhaus Globus ist auf der Höhe der Zeit und hat Abteilungen für Sport und Langspielplatten eingerichtet, in denen Marie und Dorly ihre Existenz als unabhängige und selbst bestimmte Frauen sichern können. Dorly muss dafür aber ihr wahres Alter verbergen, denn in einer Abteilung mit Tango-Rhythmen aus dem heißblütigen Argentinien ist in der kalten Winterluft am Rheinknie wenig Verständnis fürs Älterwerden und die Sorgen in einer modernen Arbeits- und Alltagswelt. Die eigentlichen Helden von Capus´ erstem Erfolgsroman sind also wirklich nicht die beiden aus Nazi-Deutschland und dem Ruhrgebiet geflohenen Ingenieure aus Wuppertal oder irgendwelche Bankdirektoren oder gar Staatslenker, sondern schlicht, aber ergreifend die kleinen Leute mit eben diesen Sorgen aus dem modernen Arbeits- und Freizeitalltag. Den Hauch von Frühling (Kap.12) oder jene „halbe Stunde Freiheit und frische Luft“, die sich ein Azubi im zweiten Lehrjahr bei seinen „Botengänge(n) zur Hauptpost“ zum Durchatmen genehmigt (Kap. 10), erfrischen den Alltag von kleinen und sehr kleinen Leuten, die von vornherein wissen, dass die Haupt- und Staatsaktionen garantiert über ihre Köpfe hinwegrollen und wenig Rücksicht auf sie nehmen werden, wenn sie ihren privaten und beruflichen Pflichten in Familien, Gaststätten, Herbergen, Bankfilialen oder Kontoren Tag für Tag still, fleißig, zuverlässig und ohne zu murren nachgehen: „Lindner! Kaffee holen.“ (Kap.2) Dem Schüler Marlon K. aus der eben zitierten Klasse 9 hat dieses Anliegen des Autors Alex Capus ebenfalls imponiert: „Capus lässt in diesem Buch Krimi, Romanze und Realität zu einem harmonischen Meisterwerk zusammenfließen, für das man sich noch Jahre nach dem Erscheinen begeistert. (…) An dieser Stelle möchte ich ein Lob aussprechen für einen großartigen Roman, aber vor allem für jene Mühen, die der Autor auf sich genommen hat, um alle Quellen zusammenzutragen.“
Michael Karl

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