Der Verfall und die Lichtblicke eines an Demenz erkrankten Menschen
Auf Radio Eins habe ich einen Beitrag zu diesem Buch gehört, in dem auch der Autor Andreas Wenderoth zu Wort kam. Mit viel Humor berichtete er über die Krankheit seines Vaters und weckte somit mein Interesse ...
Auf Radio Eins habe ich einen Beitrag zu diesem Buch gehört, in dem auch der Autor Andreas Wenderoth zu Wort kam. Mit viel Humor berichtete er über die Krankheit seines Vaters und weckte somit mein Interesse an diesem Buch. Denn Demenz ist eine Krankheit, die jeden von uns irgend wann einmal ereilen kann und sie birgt nicht nur das Vergessen der Vergangenheit, sondern auch das Problem sich im Hier und Jetzt des eigenen Lebens zu verlieren.
„Du kannst dich nicht in die Zukunft wenden, wenn du deine Vergangenheit vergessen hast“, hat Umberto Eco mal gesagt. (Seite 47)
Andreas Wenderoth (geboren 1965) studierte in Berlin Politologie und Geographie. Danach arbeitete er als freier Autor für Zeitungen wie GEO und Die Zeit. Außerdem arbeitete er für den WDR und Deutschland-Radio Kultur. Er bekam den Theodor-Wolff-Preis und war für diverse andere Preise (beispielsweise dem Deutschen Reporterpreis) nominiert.
Andreas Wenderoth beschreibt das Leben seines Vaters Host Wenderoth, vom Beginn seiner Krankheit an. Der Vater, der 27 Jahre lang Reporter beim RIAS war, war ein Mann der sich stets über Worte definierte. Doch eines Tages wird klar, er ist krank, die Diagnose: vaskuläre Demenz. Der Vater, der Stück für Stück seine Erinnerung verliert und somit auch sein bisheriges Leben und seine Zukunft, hadert mit seiner Krankheit. Auch die mit betroffenen Verwandten und Pfleger kommen in diesem Buch nicht zu kurz. Was bedeutet es für die Angehörigen, wenn ein Familienmitglied an Demenz erkrankt? Was müssen die Pfleger alles über sich ergehen lassen? Und vor allem, was bedeutet es für den Erkrankten selbst?
Klar ersichtlich ist, dass der Sohn den Verfall seines Vaters mit diesem Buch versucht zu verarbeiten. So kommt es zu mancherlei Wiederholungen, Anekdoten und Auffälligkeiten die dem Autor wohl ständig im Geiste herumspuken. Andreas Wenderoth gelingt es, das Auf und Ab der Krankheit zu beschreiben und so kommen auch die hellen Momente des Vaters, als er die Treppe zur Wohnung seines Sohnes empor steigt oder wie er seine Lage mit Selbstironie bewältigt, zum Ausdruck.
Eine immer wiederkehrende Frage in Bezug auf die Erkrankung und das verhalten erkrankter Personen ist die, ob „sich der wahre Charakter eines Menschen erst in der Krankheit und Not zeigt oder ob erst die Krankheit ebendiesen Charakter verändert“ (Seite 258). Andreas Wenderoth erkennt Anlagen im Charakter seines Vaters, die schon vor der Erkrankung bestimmend waren und nun in Kombination mit der Demenz verstärkt hervor treten.
Der Autor bedient sich einer äußerst bildhaften Sprache: „Mit ausgefransten Hirn sitzt er da und wartet darauf, dass er den Geist aufgibt.“ (S. 281) Mit ernsten Worten aber auch mit dem nötigen Witz, um solch einen Verfall überhaupt mit ansehen und verarbeiten zu können, erzählt Wenderoth über die Demenz seines Vaters und über deren Auswirkungen im Leben aller beteiligten Personen. Das Leben des Vaters wird Stück für Stück zurück gespult.
"Die Kindheit ist das erste Kapitel des Lebens. Und sie wird auch sein letztes sein. In ihr kreuzt sich sein Leben. Auf der sich verkürzenden, rückwärts verlaufenden Lebensskala, liegt der Tod nun immer näher bei der Geburt." (Seite 134)
Der Anfang des Buches war sehr informativ. So erfuhr man einiges zum Thema Demenz und ganz konkret zur vaskulären Demenz, was nichts mit Alzheimer zu tun hat. Die Mitte des Buches war etwas langatmig, was an den wiederkehrenden Anekdoten und anderen Wiederholungen lag. Zum Ende hin fesselte mich dieses Buch aber wieder. Es war ergreifend, mit zu erleben, wie das Alter und die Krankheit einem Menschen und seine Angehörigen hilflos und oft auch ratlos machen. Aber auch wenn der Vater durch die Demenz seine Sprache einbüßen musste, so erfreuten mich einige seiner Überlegungen sehr, denn sie zeigen, dass auch der Mangel der Sprache überbrückt werden kann, wenn man im Bildhaften bleibt:
"du wirst doch in Ruhe nachher mal aufräumen, zunächst mal in deinem Kopf. Das ist das Wichtigste." (Seite 7)
Das erinnerte mich an meinen eigene Großvater, der aufgrund eines Schlaganfalls seine Sprache verlor. Wie er vor einer Attraktion im Freizeitpark stand und sagte „Das würde ich auch mal fahren, wenn ich mir sicher sein könnte, dass dann alles in meinem Kopf wieder richtig gerüttelt werden würde.“ Es zeigt, dass Humor das wichtigste Mittel ist, um mit solchen Schicksalsschlägen fertig zu werden.