Nordfriesland/Niebüll: Der 9-jährige Lewe ist allein mit seinem Hund im Haus der Großmutter und wartet vergebens auf die Rückkehr seiner Mutter und Großmutter, die nur kurz eine Besorgung erledigen wollten. Als er die beiden nicht erreichen kann, ruft er seinen Vater an, der in London Heathrow am Airport festsitzt, da die Wetterverhältnisse keine Starts und Landungen erlauben.
Bendix Steensen wird schier verrückt, da er seinen Sohn telefonisch und von London aus kaum beruhigen kann. Da er weder seine Mutter noch seine Frau telefonisch erreichen kann, schaltet er den neuen Dorfpolizisten ein und bitten diesen um Hilfe, während er sich auf eine lange Reise wagt, inmitten des starken Schneefalls und Sturms.
Kurze Zeit später gibt der Polizist Entwarnung, doch niemand ahnt, dass das eigentliche Drama nun erst beginnt.
Die Autorin:
Anja Goerz, geboren 1968, ist gelernte Fotografin und seit 1989 Radiomoderatorin. Sie ist auf dem nordfriesischen Festland nahe Sylt aufgewachsen. Heute arbeitet sie beim Radiosender radioeins/rbb und beim Nordwestradio Bremen. Sie lebt mit Mann und Sohn in Falkensee bei Berlin. (Quelle: dtv Verlag)
Reflektionen:
Dieser Thriller hat mich sehr an die Seiten gepresst und er zwang mich, in einem rasanten Tempo durch die Seiten zu lesen. Sofort konnte ich in der Geschichte versinken und ich ließ mich gern von ihr einnehmen.
Anja Goerz hat einen sehr schönen Schreibstil, der angenehm und äußerst leicht zu lesen ist. Ihr Stil ist flüssig und von Details geprägt, ohne verschnörkelt zu wirken. Es gelingt ihr, dem Kleinen große Bedeutung beizumessen, denn so produziert sie eine solide Grundspannung, die mit einer starken Stimmungsgewalt einhergeht.
Die Stimmung ist das Groß dieses Thrillers. Sie ist psychologisch geschickt aufgebaut, geheimnisvoll und aus Sicht der Figuren angstgeschwängert.
Ein wenig erinnert dieser Thriller an ein Kammerspiel, in dem nur wenige Figuren auf einer Bühne agieren. Die Stimmung knistert, bleibt bis zuletzt geheimnisvoll und sie nährt sich von der Angst der Protagonisten, die schier drohen wahnsinnig zu werden. Es sind zudem die Emotionen, die von Angst geschürt ebenfalls die atmosphärische Stimmung unterstreichen.
Die Zeichnung der fesselnden Stimmung gelingt Anja Goerz spielend leicht und besonders gut, aber im Laufe der Handlung musste ich erkennen, dass sie das Einzige war, das mich beim Vorankommen in der Handlung faszinierte. Ich habe immer darauf hingefiebert, dass etwas Fulminantes geschehen möge, das blieb aus meiner persönlichen Sicht jedoch aus.
Die Geschichte ist geprägt von dem dramatischen Versuch des Vaters, das alleingelassene Kind schnellst möglichst zu erreichen, doch die Wetterverhältnisse isolieren ihn fast und er kommt nur schwerfällig voran. Viele Hindernisse kreuzen seinen Weg, er versinkt in Hilflosigkeit und als er erkennt, dass sein Sohn in höchster Gefahr schwebt, rastet er unterwegs sogar aus. Sein Charakter ist ausführlich und interessant gezeichnet, während alle anderen deutlich blasser erscheinen.
Die Perspektivwechsel sind geschickt platziert und sie weisen manchen Cliffhanger auf. Ein Erzählstrang erzählt von den verschwundenen Frauen, Insa und Grete, eine vom Vater Bendix und einer von dem kleinen Lewe. Wie aus dem Nichts taucht dann ein letzter Erzählstrang auf, der der Handlung einiges an Dramaturgie und psychologischer Raffinesse verleiht. Dadurch erkennt man als Leser, in welcher bedrohlichen Situation sich der Kleine Lewe befindet, ohne von der Spannung einzubüßen.
Als die letzten Seiten gelesen waren, das Buch längst zugeklappt, wollte ich zunächst nicht wahrhaben, dass das Ende dermaßen salopp abgehandelt wurde. Im Nachhinein muss ich dazu noch erkennen, dass dieser recht unblutige Thriller allein durch die gekonnt inszenierte Stimmung fesselt, nicht aber durch Inhalte.
Fazit & Bewertung:
Inhaltlich nicht ganz überzeugend, fesselt dieser recht unblutige Thriller dennoch durch eine dichte, atmosphärische und angstgeschwängerte Stimmung sowie durch einen besonderen Schreibstil, der im Kleinen eine gewisse und spannende Dramaturgie erzeugt.