vielschichtig, durchdacht, klug
Emilienne ist Fotografin und wäre gerne Künstlerin. Die geschiedene Mutter ist Künstlertochter und bewundert ihre Nachbarin Julie dafür, die perfekte Frau zu sein. Bis Julie einen Nervenzusammenbruch nach ...
Emilienne ist Fotografin und wäre gerne Künstlerin. Die geschiedene Mutter ist Künstlertochter und bewundert ihre Nachbarin Julie dafür, die perfekte Frau zu sein. Bis Julie einen Nervenzusammenbruch nach der Geburt ihres Sohnes erleidet. Um sich keifend, dass die Welt an Frauen nur unerfüllbare Anforderungen stellt, bringt sie Julie auf die Idee, eine Fotoserie zu der perfekten Frau zu machen und verschiedene Frauen dazu zu fotografieren und zu interviewen. Leichter gesagt als getan, stellt sich bereits Emiliennes erste Station als pädophile Pastorenwitwe heraus. Doch dann trifft Emilienne eine Frau, in die sie sich Hals über Kopf verliebt. Die perfekte Frau, die am nächsten Tag aus ihrem Leben verschwindet. Und Emilienne beginnt zu suchen.
Ich gestehe, ich hätte Fassaden erwartet, hinter denen es kriselt und knarzt. Doch hier tun sich Abgründe auf. Prostitution, Verführung Minderjähriger, Abhängigkeiten und immer wieder die absolute Aufopferung der Frau, bis sie sich selbst keinen anderen Lebensinhalt mehr zugesteht. Es geht um den Verfall von äußerer Schönheit und das Wachsen von Begierde. Neben kulturellen und gesellschaftlichen Ressentiments werden so alltägliche Frauenbilder wie beispielsweise in der Werbung angesprochen. Das passiert so nebenbei, dass es zum Geschehen passt und die Handlung vorantreibt, aber auch zum Nachdenken anregt.
Die eigentliche Handlung ist dann eher die Suche nach Georgia als die Suche nach dem Bild der perfekten Frau. Auch das ist gut gemacht, zeigt es doch, dass Perfektion im Auge des Betrachters entsteht. Für mich waren nämlich auch die Zuschreibungen, die Emilienne als Erzählerin an Georgia vergibt, keineswegs so perfekt, dennoch wird es für Emilienne geradezu zur Obsession, „ihre“ perfekte Frau noch einmal wieder zu sehen. Der auf der einen Seite durch Emotionen verklärte Blick auf die Frau wird also auf anderer Seite wieder dekonstruiert und das finde ich sehr gut. Wie tief das reicht und dass es nicht etwa „von selbst“ passiert zeigt eine Stelle gut. Emilienne hat mit einer ehemaligen Prostituierten, die nun erfolgreich Luxusdessous kreiert, ein Interview für einen Fernsehsender geführt und dabei über ihre kulturelle Prägung (sie ist Muslima) und ihre Sicht auf die Weiblichkeit gesprochen. Der Sender protestiert. Das könne nicht verwendet werden. Mit neuen, geschönten Fragen wird das Interview wiederholt und nun dreht sich alles um die Dessous an sich.
Emiliennes Zusammentreffen mit den unterschiedlichen Frauen sorgt auch für einen generationsübergreifenden Blick. Der ist geschickt und vielfältig gemacht. Der jugendlichen Anhalterin wird beispielsweise die erste Freundin des Sohnes gegenüber gestellt. Der Pastorenwitwe die Angestellte des Exmannes, Emilienne selbst steht gegenüber ihrer erfolgsbesessenen Nachbarin. Natürlich spielt der Roman dabei mit Extremen, aber immer mit solchen, die durch und durch vielschichtig und glaubwürdig bleiben. Gerade Emiliennes Selbsteinschätzung ist bezeichnend für den Roman. Sie „ist“ einfach, behauptet sie und achtet doch genau darauf, wie sie sich verhält. Ihrem Sohn gegenüber versuchst sie beispielsweise Distanz zu wahren, damit er nicht mehr, wie sehr sie ihn braucht. Es misslingt. Auf einem gemeinsamen Foto, umarmt er sie, zeigt offen die Verbindung, die Emilienne so fürchtet.
Der Roman mag auf den ersten Blick leicht und federnd sein, die Geschichte einer Frau nach der Frau, in die sie sich verliebt hat. Tatsächlich ist er aber durchdacht und tief, voller Momente, die nachwirken und erst am Schluss ihr Potential offenbaren. Der perfekten Frau per se wird schlicht kein Bild gegeben, sie wird heruntergebrochen auf Möglichkeiten, die sich stets als Sackgasse entpuppen. Und als wandelnder Imperfekt quasi macht sich ausgerechnet Emilienne auf diese Suche. Wunderbar. Ich wage fast zu sagen: perfekt.