Aktuelles Thema, spannend aufbereitet
REZENSION – Der in London lebende neuseeländische Schriftsteller Anthony McCarten (63) ist als Roman-Autor ebenso bekannt wie als Drehbuch-Autor erfolgreicher Filme wie „Bohemian Rhapsody“ (2018), „Die ...
REZENSION – Der in London lebende neuseeländische Schriftsteller Anthony McCarten (63) ist als Roman-Autor ebenso bekannt wie als Drehbuch-Autor erfolgreicher Filme wie „Bohemian Rhapsody“ (2018), „Die zwei Päpste“ (2019) oder „Whitney Houston. I Wanna Dance with Somebody“ (2022). Auf Deutsch erschien zuletzt 2023 im Diogenes Verlag sein dystopischer Thriller „Going Zero“, den es nun ab Ende Januar auch als Taschenbuch gibt. Darin schürt McCarten die weit verbreitete Angst vor zunehmender Überwachung durch staatliche und private Akteure und stellt die Frage: Hat man als Einzelner überhaupt eine Chance gegen das System?
In naher Zukunft ist die junge Bibliothekarin Kaitlyn aus Boston zumindest entschlossen, dies zu versuchen. In einem Testlauf des Geheimprojekts „Fusion“, bei dem der Social-Media-Konzern WorldShare von Cy Baxter nicht nur seine selbst entwickelte Technik einsetzt, sondern mit den US-Geheimdiensten CIA, FBI und NSA eng zusammenarbeitet und auch auf deren Geheimdateien und Überwachungsmöglichkeiten zugreifen darf, soll diese sie mit weiteren neun Kandidaten nach dem Kommando „Going Zero“ trotz Einsatzes dieser komplexen Spionagesoftware für 30 Tage absolut unsichtbar bleiben. Für diese zehn Testpersonen wird die totale Überwachung also Realität. Werden sie nicht binnen 30 Tagen gefunden, wurde ihnen ein Preisgeld von drei Millionen Dollar versprochen. Für den skrupellosen Social-Media-Mogul Cy Baxter geht es dabei ausschließlich ums Geschäft. Wenn ihm dieser Testlauf gelingt, will ihm die US-Regierung sein Überwachungssystem „Fusion“ für mehrere Milliarden Dollar abkaufen. Für die Testteilnehmer sind allein schon die drei Millionen Dollar ein ausreichendes Motiv. Doch der jungen Biblothekarin Kaitlyn geht es, wie sich erst im zweiten Teil des Romans herausstellt, um etwas ganz anderes, und uns Lesern stellt sich die Frage: Wer ist der Jäger und wer der Gejagte?
In McCartens Thriller geht es um individuelle Freiheit, um Datensicherheit und Datenschutz sowie um Moral und die ethischen Dilemmata bei Nutzung moderner Überwachungstechnologie oder auch nur des Internets. „Ich kann es wirklich nicht gutheißen, wenn eine Privatfirma Profit daraus schlägt, dass sie mit ihren Algorithmen, ihrer Reichweite und ihrem Microtargeting ohne jede Moral den Leuten irgendwelche Informationen unterjubelt, vieles davon gezielte Desinformationen, die unsere gemeinsame Realität zerstören, den gesellschaftlichen Diskurs vergiften und unsere demokratischen Prozesse lahmlegen.“
„Going Zero“ zeigt in den unterschiedlichen Motiven seiner Protagonisten die verschiedenen Sichtweisen bei der Anwendung von Internet, Social Media oder generell der Digitalsierung und Datenspeicherung. McCartens vielschichtige Erzählung zeigt uns sowohl die Gefahren als auch die Verlockungen einer hyperüberwachten Welt. Klagen wir in Deutschland nicht oft darüber, dass wegen gesetzlicher Beschränkung unserer eigenen Sicherheitsdienste diese immer wieder auf Hinweise ausländischer Dienste angewiesen sind? Hätte man zum Beispiel bei Ausnutzung aller digitalen Überwachungsmöglichkeiten die Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt oder andere Terrorakte rechtzeitig noch verhindern können? Wie kann sich aber andererseits in einer auf ständiger Überwachung basierenden Welt das individuelle Bedürfnis nach geschützter Privatsphäre frei entfalten? Der Autor zeigt uns in „Going Zero“, wie leicht die persönliche Freiheit unter dem Vorwand staatlicher Sicherheit von einer Regierung im Zusammenspiel mit Social-Media-Konzernen wie Facebook, „X“ oder Instagram geopfert werden kann.
Dieser Roman ist deshalb weit mehr als ein Thriller. Er ist ein spannend aufbereiteter, aber in seiner Argumentation ausgewogener Kommentar zur aktuellen Debatte um Datenschutz und die Auswirkungen weit entwickelter Technologie auf unsere Gesellschaft. Trotz seines rasanten Erzähltempos und einiger überraschender Wendungen schafft es der Autor, ein Szenario zu schaffen, das über die reine Unterhaltung hinausgeht. Und während wir diesen Roman lesen, „ entwickelt sich das Internet in aller Stille in die einzige Richtung, die es kennt. Genau wie das Universum, getrieben von Kräften, die nie jemand ganz verstanden hat, espandiert es immer weiter. … Die letzte Möglichkeit, diese Expansion zu stoppen oder auch nur zu verlangsamen, war im Augenblick seiner Schöpfung. Danach war es nur noch etwas, das einfach da war, das man akzeptieren musste.“ Dieser fesselnde „Pageturner“, der sich ausgezeichnet als Vorlage für einen aktionsreichen Hollywood-Film eignen würde, ist die trotz seines hohen Unterhaltungswertes auch die lesenswerte Analyse eines überaus komplexen Themas und lässt uns Leser nachdenklich zurück.