"Ehrbare Männer sterben für meinen Geschmack viel zu schnell. Zweifellos gibt es deshalb so wenige."
London, 1727: Tom Hawkins ist ein Gentleman und Lebemann, mit einem verhängnisvollen Hang zu Alkohol, Glücksspiel und leichten Mädchen. Den vorgezeichneten Weg der Familientradition - eine Laufbahn als ...
London, 1727: Tom Hawkins ist ein Gentleman und Lebemann, mit einem verhängnisvollen Hang zu Alkohol, Glücksspiel und leichten Mädchen. Den vorgezeichneten Weg der Familientradition - eine Laufbahn als Landpfarrer - hat er mit Freude ausgeschlagen, schien das Leben in London doch um so vieles verlockender. Doch nun sitzen ihm seine Gläubiger im Nacken und fordern ihr Geld. Sollte er nicht binnen eines Tages die Hälfte seiner Verbindlichkeiten begleichen können, werden die Büttel ihn ins Schuldgefängnis Marshalsea werfen.
Nach einer durchzechten Nacht mit noch mehr geliehenem Geld am Spieltisch ist es geschafft, und Tom hat die benötigte Summe eigentlich in seinem Beutel. Doch leider geht sein Plan dennoch nicht auf, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Er landet im Schuldgefängnis und erbt die Pritsche eines Mannes, der sich angeblich das Leben genommen hat - allerdings glaubt kaum jemand an diese Theorie...
"Das Teufelsloch" ist ein historischer Thriller, der von der ersten Seite an Sogwirkung entfaltet. Sofort ist man mittendrin im London des frühen 18. Jahrhunderts - überfüllte Straßen, halbseidene Spelunken und mit Perücken ausgestatte "Gentlemen", die diese Bezeichnung sehr oft nicht verdienen. Und dann der krasse Gegensatz zu dieser Opulenz und Lebensfreude: das berüchtigte Schuldgefängnis Marshalsea, wo hauptsächlich Leute festgesetzt werden, die ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen können. Die bedrückende Enge der hohen, düsteren Gefängnismauern wird beinahe greifbar.
Die Details des damaligen Strafvollzuges erscheinen heute geradezu absurd. Vor allem, dass selbst innerhalb eines Gefängnisses die englische Klassengesellschaft aufrecht erhalten wird. Für Reiche und Vermögende gibt es die kostspielige "Master Side", wo man sich alle nur denkbaren Annehmlichkeiten kaufen kann, falls man sie sich leisten kann. Allerdings muss man auch die "Dienstleistungen" des Marshalsea teuer bezahlen: Für die Zelle wird Miete fällig und für ihre Verpflegung haben die Häftlinge selbst aufzukommen.
Fehlen die Mittel für die bessere Unterbringung, folgt unweigerlich die Verlegung auf die "Common Side": Hinter einer weiteren hohen Mauer, auf der anderen Seite des Gefängnishofes, werden all diejenigen untergebracht, die wirklich nichts mehr in die Waagschale werfen können. Die Commons hungern, leben in grauenerregenden hygienischen Zuständen, werden unweigerlich krank und sterben. Verständlich, dass die privilegierten Insassen um jeden Preis verhindern wollen, dorthin verlegt zu werden. Sie sind daher gerne bereit, auch noch den letzten Penny für ihre Vergünstigungen auf der Master Side zu opfern - ein Schuldgefängnis war demnach ein äußerst profitables Wirtschaftsunternehmen.
In einem ausführlichen Vor- und Nachwort geht Antonia Hodgson auf die Quellen ihrer Recherche ein, wobei vor allem die Aufzeichnungen eines in Marshalsea Inhaftierten wertvolle Informationen über den Alltag, die Verwaltung und die Haftbedingungen dieses berüchtigten Gefängnisses geliefert haben. Die damaligen Gegebenheiten sind also sehr akkurat wiedergegeben, zusätzlich dazu findet man im Anhang auch noch eine Liste der historischen Figuren des Romans, sowie ein äußerst aufschlussreiches Glossar.
Auch die Thriller-Handlung ließ bei mir keine Wünsche offen - die Mordermittlungen, in die Tom wider Willen verstrickt wird, bieten dem Leser reichlich Nervenkitzel in rasantem Tempo, und außerdem die Gelegenheit, die vielen anderen Insassen (teils historisch, teils fiktiv) näher kennenzulernen. Mein persönlicher Hauptverdächtiger wechselte zwar regelmäßig von Kapitel zu Kapitel, aber dennoch haben mich die Auflösung und die Hintergründe am Ende völlig überrascht. Daher warte ich natürlich schon jetzt sehnsüchtig auf den nächsten Band "Der Galgenvogel" - leider muss ich mich noch bis zum 03. November 2016 gedulden, erst dann kann ich mich wieder mit Tom Hawkins ins Londoner Getümmel stürzen.
Wer wie ich ein Faible für historische Stoffe, und noch dazu eins für England im Allgemeinen und London im Speziellen hat, kann mit diesem Buch definitiv nichts falsch machen.