Cover-Bild Madrid, Mexiko
20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Kunstmann, A
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 224
  • Ersterscheinung: 08.03.2017
  • ISBN: 9783956141652
Antonio Ortuño

Madrid, Mexiko

Hans-Joachim Hartstein (Übersetzer)

Eine Familiengeschichte, die sich über ein Jahrhundert und zwei Kontinente bewegt, die von Krieg und Flucht und der Suche nach Heimat und Identität geprägt ist.
Madrid, 1923: Yago Almansa und sein Freund Benjamín verbringen ihre Nachmittage bei Ramón, einem alten Anarchisten.
Weniger wegen der Politik, sondern mehr wegen María, Ramóns bildschöner Enkelin. Später, im Spanischen Bürgerkrieg, kämpfen sie, Yago bei den Anarchisten, Benjamín bei den Kommunisten. So werden sie Feinde, und als María sich für Yago entscheidet, Todfeinde. Beide fliehen, als die Lage für die Gegner Francos immer schwieriger wird. Während der eine hofft, in Mexiko eine neue Heimat für seine Familie zu finden, hofft der andere, dort seinen Widersacher endgültig zu erledigen.
Mexiko, 1997: Yagos Enkel, der neunzehnjährige Omar Almansa hat ein Verhältnis mit seiner Chefin Catalina. Sie ist wesentlich älter und eigentlich mit Mariachito, dem korrupten Boss der Eisenbahnergewerkschaft, liiert. Als dieser die beiden eines Tages in flagranti erwischt, endet die Geschichte für Catalina und Mariachito tödlich, doch Omar kann entkommen. Auf der Flucht vor der Polizei und dem brutalen Handlanger Mariachitos sieht er nur einen Ausweg: Madrid.
In der spannenden, episodenreichen Familiengeschichte der Almansas erzählt Ortuño mit klarer, präzise Sprache davon, was es heißt zu emigrieren, und von den historischen Dimensionen, die die Menschen zur Flucht drängen.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.08.2017

Im wahrsten Sinne wortgewaltig.

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Im wahrsten Sinne wortgewaltig.

Zwei sehr verworrene und verflochtene Handlungsstränge werden in diesem Buch gekonnt verknüpft. Ihre Verbindungsstelle liegt darin, dass es sich um die kompilzierte Familiengeschichte ...

Im wahrsten Sinne wortgewaltig.

Zwei sehr verworrene und verflochtene Handlungsstränge werden in diesem Buch gekonnt verknüpft. Ihre Verbindungsstelle liegt darin, dass es sich um die kompilzierte Familiengeschichte der Almansas handelt, die bewegter kaum sein könnte.
Die Handlung erstreckt sich über den Zeitraum von 1923 bis 2014, was auch erklärt, weswegen es zu derart vielen schwierigen Situatonen und unterschiedlichen Lebenswelten kommt. So begleitet man die Figuren auf Fluchten, im Spanischen Bürgerkrieg, erlebt, wie aus Freunden erbitterte Feinde werden und erlebt hautnah, wie es sich anfühlt, keine wirkliche nationale Identität zu haben und sich daher immer als außenstehend zu fühlen zu haben.

Sprachlich ist „Madrid, Mexiko“ wie auch schon Ortuños Debüt äußerst eindringlich und geht mit ungeschönten Beschreibungen und kraftvollen Wörtern nahe, pflanzt sich hartnäckig festsetzende Bilder in den Kopf und lässt einen in die verschiedenen Epochen eintauchen. Viele Passagen muss man mehrfach lesen, um ihnen gerecht zu werden, da sie so geballt und geladen an Inhalt sind. Zudem sind die einzelnen Sätze, ebenso wie die Handlungsstränge an sich, dicht und eng verwoben, sodass man beim Lesen angehalten ist, aufmerksam und wachsam zu bleiben und die Augen nicht vor dem oft erschütternden Inhalt zu verschließen. Ortuños Worte lösen dabei einen starken Sog aus, lassen einen nicht mehr los und auch wenn man sich am liebsten eine Pause gönnen, um das Gelesene verarbeiten und überdenken zu können, ist man doch nicht in der Lage, das Buch länger als nötig aus der Hand zu legen. Darüber hinaus wird man sich gerade aufgrund der teilweise wütenden Worte erst des Ausmaßes bewusst, dass die beschriebenen Ereignisse für die Bevölkerung, für die Menschen ganz konkret, bedeuten und was es heißt, zur Flucht gedrängt zu werden.
„Zu sagen, er habe geträumt, wäre falsch, denn er konnte nicht ohne die Unterstützung von Tabletten schlafen, und manchmal selbst dann nicht; doch er hatte den lebhaften Eindruck zurückbehalten, dass der Concho sein keuchendes, brutales Gesicht gegen die Fensterscheibe gedrückt und in seine Wohnung gesehen hatte. Sein Schweiß, der ihm mit der Feinfühligkeit eines Faustschlags in die Nase gestiegen war, stank nach Ammoniak.“ (S.97)
Die Charaktere in „Madrid, Mexiko“ sind sehr stark gezeichnet, weswegen man von ihnen recht schnell ein klares Bild erhält. Was nicht bedeutet, dass man wüsste, wie man über sie zu denken habe. Aber dadurch dass der Autor seinen Figuren starke Konturen verleiht, werden sie greifbar, wirken real und lassen sich in ihren Facetten wahrnehmen.
Auch gelingt es dem Autor den Leser bereits vor Beginn der einzelnen Abschnitte auf das Kommende einzustimmen – so beispielsweise durch das Zitieren der Liedzeilen „Spanish bombs rock the province / I’m hearing music from another time“ (S. 203) aus „Spanish Bombs“ von The Clash.
Dass die Geschichte zwischen den einzelnen Episoden von Kapitel zu Kapitel wechselt, verleiht dem Leser ein Gefühl der Unsicherheit, des Unbeständigen, wie es auch die Charaktere immer wieder erfahren müssen. Dennoch entdeckt man so die sich herauskristallisierenden Verbindungen der verschiedenen Erzählungen zueinander. Zu Beginn des Buches war es für mich gelegentlich etwas schwierig, den Überblick zu behalten ob der wechselnden Figuren, Zeiten und Orte, doch wird dies leichter mit der Zeit.

Alles in allem handelt es sich um ein sehr nahegehendes Buch, dessen Inhalt sich schwerlich zusammenfassen lässt und dessen Komplexität beeindruckt. Sprachlich ist es, wie bereits „Die Verbrannten“ , außergewöhnlich – man kann im wahrsten Sinne von „wortgewaltig“ sprechen. Unter anderem werden stark gezeichnete, oftmals kantige Charaktere und eine verworrene Familiengeschichte vor dem historischen Hintergrund verschiedener Epochen von 1923 bis 2014 gekonnt dargestellt und erzählt.