Völlig anders als erwartet und dennoch interessant, ergreifend und vor allem informativ.
Astrid Lindgren hat unsere Kindheit geprägt. Mit Pippi Langstrumpf und Wir Kinder aus Bullerbü hat sie unseren Blick auf die Welt verändert. Ihre Geschichten handeln von Mut, Hoffnung, Liebe und Widerstand. ...
Astrid Lindgren hat unsere Kindheit geprägt. Mit Pippi Langstrumpf und Wir Kinder aus Bullerbü hat sie unseren Blick auf die Welt verändert. Ihre Geschichten handeln von Mut, Hoffnung, Liebe und Widerstand. Lange bevor diese Bücher entstanden, schrieb sie ihre Gedanken über das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts nieder: den Zweiten Weltkrieg. In ihren Tagebüchern schildert sie, wie Europa von Faschismus, Rassismus und Gewalt vergiftet wird. Nachdenklich und betroffen, aber auch mit dem so unverwechselbaren Tonfall stellt Astrid Lindgren in ihren Tagebüchern wichtige Fragen, die heute wieder von erschreckender Aktualität sind: Was ist gut und was ist böse? Was tun, wenn Fremdenfeindlichkeit und Rassismus das Denken und Handeln der Menschen bestimmen? Wie kann jeder Einzelne von uns Stellung beziehen? Neben dem Kriegsgeschehen erzählt sie von ihrem Familienleben und den ersten Schreibversuchen: 1944 schenkt sie ihrer Tochter das Manuskript von Pippi Langstrumpf zum Geburtstag. Das persönliche Zeitdokument einer sehr klugen Frau, die schon immer den Blick für das große Ganze hatte.... (Klappentext)
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"Im Augenblick herrscht Verdunkelung in der Stadt, und es ist tausend Mal schlimmer als beim letzten Mal, denn da glaubte man ja nicht, dass es jemals ernst werden würde."
(1940 - S. 49)
Astrid Lindgren begleitete mich schon als Kind mit ihren Büchern. Doch nicht Pippi Langstrumpf war meine Lieblingsfigur und Heldin, auch nicht Madita oder der kleine Michl. Zu meinen Lieblingen zählte damals Ronja Räubertochter. Vermutlich weil ich mich mit diesem Wildfang am ehesten identifizieren konnte.
Diese Autorin schuf wunderbare Kinderbücher mit starken und eigenwilligen Kinder- und vor allem Mädchenfiguren. Mädchen mit eigenen und starken Persönlichkeiten und die selbstbestimmt ihren Weg gehen und sich nicht unterkriegen lassen, auch nicht von Erwachsenen.
Astrid Lindgren war jedoch nichtt nur eine begnadete Schriftstellerin, sondern vor allem eine Frau, die sich für Frauenrechte stark machte, öffentlich das damalige Gesellschaftsbild bezüglich Frauen anprangerte und vor allem trat sie für Frieden, Gerechtigkeit und die Rechte von Kindern ein.
Dieses Buch habe ich im Rahmen einer Klassiker-Leserunde gelesen und es ist völlig anders als erwartet. Hier erhält man keine allzu persönlichen Einblicke in Astrid Lindgrens Leben während der Zeit des 2. Weltkrieges, sondern in die historischen Ereignisse aus Sicht einer Unbeteiligten.
"Krieg und Krieg und wieder Krieg und das ständige Leiden der Menschheit. Und NIEMALS lernt sie etwas daraus, sie begießt die Erde nur immer weiter mit Blut, Schweiß und Tränen."
(1941 - S. 117)
Das Buch beginnt mit einem äußerst interessanten Vorwort, welches allgemeine Einblicke in Schwedens Situation und Stellung während des 2. Weltkrieges gewährt, aber auch kurz auf das Leben und Schaffen von Astrid Lindgren eingeht. Das Vorwort sollte man also auf keinen Fall skippen.
Die Tagebucheintragungen hingegen lassen einen tieferen Blick auf die damaligen Geschehnisse werfen, inklusive der eigenen Gedanken der schwedischen Schrifststellerin. Wie Schweden als neutrales Land zwischen den Fronten der Alliierten, Deutschland und Russland stand, die Angst vor dem Einmarsch der Russen, welche größer war, als die vor den Deutschen und welche Auswirkungen hatte der Krieg zu Beginn auf Schweden? Wie verlief der 2. Weltkrieg allgemein in den skandinavischen Ländern Norwegen, Finnland und Dänemark? Man erfährt aber auch vieles über das allgemeine Kriegsgeschehen. Im Grunde liegt einem hier nichts anderes vor als ein Kriegstagebuch.
Auch in Schweden wurde bereits ab Januar 1940 die Briefzensur vom Parlament genehmigt. Astrid Lindgren war damals in der sogenannten SNUSKAVDELNINGEN beschäftigt, einer Briefzensur der Postkontrollanstalt. Dadurch wanderten viele Briefe, welche Lindgren "filzen" musste, durch ihre Hände und sie bekam tiefe Einblicke in Schicksale fremder Menschen. Dies ist ebenfalls ein Grund, weshalb sie über so manche Geschehnisse besser Bescheid wusste als so manch anderer und dieses Wissen schreibt sie auch in diesen Tagebüchern nieder.
In private Ereignisse der Schrifstellerin erhält man nur spärlich Einblick und obwohl sie durchaus über ihre Gefühle zu diesen Ereignissen Stellung nimmt, bleibt sie hierbei doch sehr distanziert. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf die Ereignisse des 2. Weltkrieges. Privates wie z.B. die Erschaffung von Pipi Langstrumpf, welche in diese Zeit fällt, wird kurz und fast nur am Rande erwähnt. Astrid Lindgren dürfte die Tagebücher als reine Erinnerung an den 2. Weltkrieg für die Familie verfasst haben, vielleicht auch bereits hier mit dem Hintergedanken diese irgendwann der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dies würde auch die Zurückhaltung bezüglich ihres Privatlebens erklären.
"Der Frühling in diesem Jahr ist so sonderbar; man muss sich einfach über ihn freuen, aber gleichzeitig ist es noch unerträglicher, daran zu denken, dass Menschen einander töten, während die Sonne scheint und die Blumen sprießen."
(1940 - S. 56)
Das Buch ist reich bebildert und diese Bilder bestehen aus zahlreichen Zeitungsartikeln und Briefabschriften aus ihrer Zeit als Angestellte in der Abteilung für Briefzensur des schwedischen Nachrichtendienstes, wodurch sie sich strafbar machte, da diese niemals kopiert werden durften.
Diese Bilder sind an die Einträge des entsprechenden Jahres angehängt. Die Übersetzung dieser Faksimiles befinden sich dann direkt dahinter.
Weiters sind noch vereinzelt bisher unveröffentlichte Familienfotos, ein Nachwort von Karin Nyman, der Tochter von Astrid Lindgren, ein Quellenverzeichns, sowie ein Personenregister im Anhang enthalten.
Doch auch die Aufmachung des Buches muss hier Erwähnung finden. Es ist qualitativ hochwertig und mit Lesebändchen versehen. Auch ohne Schutzumschlag ist dieses Buch, aufgrund des klassischen Touch, eine kleine Augenweide. Zudem wurde die Aufmachung des schwedischen Originals beibehalten.
Fazit:
Wer hier persönliche Einblicke, sowie Einblicke in das Privatleben der Schrifstellerin Astrid Lindgren erwartet wird wohl enttäuscht sein. So mancher hat das Buch in der Leserunde aufgrund dessen abgebrochen. Ich hingegen, bekennender Geschichts-Geek, fand es äußerst interessant einen Blick aus "unbeteiligter" Sicht auf den 2. Weltkrieg zu werfen. Obwohl ich schon viel zu dieser Thematik gelesen habe, war mir die Situation und Stellung der skandinavischen Länder nahezu unbekannt. Es ist also ein äußerst informatives aber auch berührendes Kriegstagebuch aus Sicht des neutralen Schwedens, geschrieben von der bekanntesten Kinderbuchautorin. Dies gestaltet sich gerade deswegen als sehr flüssig zu lesen, da die Autorin bereits vor ihrer Zeit als Autorin den Leser zu fesseln weiß.
Wer also Persönliches von Astrid Lindgren erfahren möchte, ist mit einer Biographie besser bedient. Wer hingegen einen anderen Blick auf die historischen Ereignisse des 2. Weltkrieges werfen möchte, kann sein Wissen diesbezüglich mit diesem Buch bereichern und vor allem erinnert es daran, welch furchtbare Zeit es war, die man gerade aufgrund dieser Gräuel niemals vergessen sollte.
"Der Frieden kann den Müttern nicht ihre Söhne zurückgeben, Kindern nicht ihre Eltern, den kleinen Hamburger und Warschauer Kindern nicht das Leben. Der Hass ist nicht zu Ende an jenem Tag, an dem der Friede kommt, jene, deren Angehörige in deutschen Konzentrationslagern zu Tode gequält wurden, vergessen nichts, nur weil Frieden ist, und die Erinnerung an Tausende von verhungerten Kindern in Griechenland wohnt immer noch in den Herzen ihrer Mütter, falls die Mütter selbst überlebt haben...."
(1943 - S. 242)
© Pink Anemone (mit vielen Bildern, Leserprobe und Autoren-Info)