Die Retrospektive zur "Bananen-Republik"
Die Sensation: Erich Honecker hat seinen Tod 1994 nur vorgetäuscht, und sein Ex-Chauffeur und treuer Freund Jorge hat nun seine Tagebücher aus den folgenden Jahren veröffentlicht.
Hiermit erhalten wir ...
Die Sensation: Erich Honecker hat seinen Tod 1994 nur vorgetäuscht, und sein Ex-Chauffeur und treuer Freund Jorge hat nun seine Tagebücher aus den folgenden Jahren veröffentlicht.
Hiermit erhalten wir also den etwas anderen Blick des Ex-Diktators auf Weltpolitisches, Wirtschaftskrisen, Gesellschaftliches und Banales aus den letzten zwei Jahrzehnten.
Dieses Buch lässt mich etwas unentschlossen zurück. Über einiges habe ich geschmunzelt, einige Male musste ich schwer schlucken, und gegen Ende wurde es doch recht anstrengend.
Und mir stellte sich die Frage, wie ich als Wessi-Kind (im wahrsten Wortsinn, denn zur Wende war ich doch noch recht jung - allerdings kann ich mich lebhaft daran erinnern, wie wir den schleichenden Zusammenbruch der DDR über Monate im Fernsehen verfolgt haben) mich zu diesem Buch äußern könnte.
Definitiv waren einige Passagen mit viel Witz und Ironie geschrieben. Amüsant war zum Beispiel die Feststellung, mit wie viel weniger Personal der Staatssicherheitsdienst doch ausgekommen wäre, hätte es Facebook, Twitter und Co. schon in den 80er Jahren gegeben - darüber muss man fast unwillkürlich grinsen. Aber dann fragt man sich sofort: Darf man das überhaupt?
Das Ehepaar Honecker hat das DDR-Regime, inklusive aller menschenverachtender Praktiken, die einen heute noch schaudern lassen, in den letzten 18 Jahren vor der Wende maßgeblich gestaltet. Darf man sich also über solche Leute amüsieren? Oder lässt man es damit an Respekt gegenüber den Opfern dieses Regimes, den Angehörigen der Mauertoten, den durch Zwangsadoptionen auseinandergerissenen Familien, den schikanierten Verwandten der "Republikflüchtlinge" fehlen? Keine leichte Frage, wie ich finde. Andererseits ist es vermutlich das schlimmste, was man solchen Egomanen posthum antun kann: sie der Lächerlichkeit preisgeben. Wo sie doch ansonsten schon völlig ungeschoren davonkamen.
Schlucken musste ich vor allen Dingen an Stellen, wo es um den Schießbefehl, das Verfahren mit nicht linientreuen Bürgern, oder eben auch die Bespitzelung des eigenen Volkes ging. In all den Ostalgie-Wellen der letzten zwei Jahrzehnte, wo oft der Satz: "Es war auch nicht alles schlecht!" gefallen ist, ist diese Facette der DDR in all der Euphorie über Rotkäppchen-Sekt und Spreewaldgurken oft aus dem Fokus verschwunden.
Und nun zum anstrengenden Teil: dieses Buch ist mit 270 Seiten, großer Schrift und vielen kleinen Abschnitten nicht gerade umfangreich. Und dennoch wurden einige Running Gags für meinen Geschmack zu Tode geritten, spätestens wenn Honis verlegte Brille zum sechsten Mal im Kühlschrank wieder auftaucht oder er mal wieder für Margot und Jorge eine Rede hält, ist das nicht gerade ein Schenkelklopfer. Vieles wiederholt sich, und am Ende war ich dann froh, als es vorbei war.
Wem kann man dieses Buch denn nun ans Herz legen? Leider habe ich da keine Idee.
Ich bin mir sicher, dass Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind und als Erwachsene dort gelebt haben, vielleicht eine ganz andere Meinung zu diesem Buch haben. Und ich hoffe, dass mir die Rezensionen anderer Leser darüber Aufschluss geben. Für das jüngere Publikum ist das Buch vermutlich wenig attraktiv, weil wohl bei den vielen angeschnittenen politischen und gesellschaftlichen Themen vieles nicht präsent sein dürfte. Bleiben also eher ältere Leser.
Vielleicht sollte man "Alles Banane" auch einfach nicht am Stück, sondern lieber häppchenweise lesen, dann ist es vermutlich leichter verdaulich.