Jens Lamprecht, Rektor einer Privatschule, ist immer darauf bedacht, die Schule im rechten Licht erscheinen zu lassen. Dafür investiert er viel Zeit und Energie, dafür nutzt er Freunde, Kollegen und Schüler aus, dafür ist er bereit die Wahrheit zu dehnen und umzudichten. Lange geht das Ganze gut, bis sich eine Schülerin in den Tod stürzt, die hoffnungslos in einen Lehrer der Schule verliebt ist. Mit seinem Beruf ist Jens Lamprecht so verheiratet, dass er seine Ehe verspielt.
Tai, Sohn vietnamesischer Einwanderer und Zeuge rechtsradikaler Grauentaten, findet Jens Lamprecht nach einem schweren Tag betrunken auf der Straße und filmt ihn. Was als lustige Blödelei im Rahmen eines für den Rektor peinlichen YouTube-Videos beginnt, eskaliert, nachdem Tai Jannik dazu gerufen hat und beide den Rektor nach Hause begleitet haben, zu einer Freiheitsberaubung, die ihresgleichen sucht.
Jannik, der etwas ängstliche, zurückhaltende und übergewichtige Fan von klassischer Musik, stolpert mehr oder weniger in die ganze Sache mit rein. Trotz seiner Schwierigkeiten Freunde an der neuen Schule zu finden, trifft er auf Tai, mit dem er regelmäßig die Pausen im Musikzimmer verbringt. Fasziniert von Tai, würde Jannik mit ihm durch jedes Abenteuer gehen und wird zum Mittäter.
So Hin- und Hergerissen die beiden Endpubertierenden bezüglich ihrer Sexualität oder bezüglich ihrer nächsten Schritte im Fall Lamprecht sind, so unterschiedlich setzt Axel Ranisch auch die Sprache ein. In Momenten, wo sich Jannik und Tai im Rahmen ihrer Taten gegenseitig hochschaukeln, kommt eine prollige, trotzige, respekt- und niveaulose Sprache zu Einsatz. Einerseits hat mich diese Ausdrucksweise erschreckt, andererseits musste ich in mich reisschmunzeln, weil die beiden sich dabei selbst gar nicht peinlich finden. Ist Jannik wegen ihrer gemeinsamen Taten am zweifeln, pegelt sich die Sprache auf ein normales, gut argumentiertes Niveau ein. Wenn Jannik über sein Lieblingsthema Musik spricht oder nachdenkt, gibt es nochmals eine Steigerung in der Sprache. In diesen Szenen bekommt sie einen poetischen Touch.
Bis auf einen kleinen Hänger in der Mitte des Buches kommt die Story spannend und interessant rüber. Mit all den Schwächen und Stärken, die Pubertierende so haben, sind Jannik und Tai sympathisch angelegte Charaktere. Da Tai sich zwischenzeitlich etwas rätselhaft verhält, was man erst am Ende des Buches nachvollziehen kann, ist für mich insgesamt Jannik der liebenswertere Charakter. Wer sich ein Bild von Jannik mach möchte, schaut sich am besten Bilder von Axel Ranisch an. Mindestens optisch verkörpert Axel Ranisch für mich 1:1 den Jannik.
Den Rektor Lamprecht empfand ich zunächst als rein rücksichtslosen Menschen, der seine gerechte Strafe bekommen muss. Im Verlauf wurde er immer bemitleidenswerter. Zum Ende des Buches nach dem „Reinigungsprozess“, steht die Seele Lamprecht quasi nackt da. Dadurch konnte sich dann sogar für ihn eine gewisse Sympathie aufbauen.
Für alle drei Hauptcharaktere gilt: Der erste Eindruck täuscht. Die ganze Wahrheit geben sie erst nach und nach preis.
Neben der eigentlichen Handlung stellt das Buch für mich auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem technischer Fortschritt dar. Ist er mehr Fluch als Segen? Voll automatisierte Häuser geben Hackern, die nicht einmal hochgradig spezialisiert sein müssen, die Möglichkeit, das Leben der Bewohner zu manipulieren, zu stören oder auch zu zerstören. Wenn genug kriminelle Energie vorhanden ist, kann einem sämtliche Lebensgrundlage entzogen werden. Man wird zum Gefangenen seiner eigenen Errungenschaften, eine gruselige Vorstellung.
Fazit: Mir hat das Buch gefallen, insbesondere die Entwicklung der drei Hauptcharaktere, sowie die verschiedenen Sprachebenen. Klare Leseempfehlung.