Die Metamorphose der Gewalt!
Es ist immanent, sich mit der Bestialität des Menschen an sich auseinanderzusetzen - dieses Buch ist dafür geeignet - Triggerwarnung! Gewalt!!
Eines vorweg! Der Autor selbst, Bernhard Conrad, warnt im ...
Es ist immanent, sich mit der Bestialität des Menschen an sich auseinanderzusetzen - dieses Buch ist dafür geeignet - Triggerwarnung! Gewalt!!
Eines vorweg! Der Autor selbst, Bernhard Conrad, warnt im Vorwort ausdrücklich davor, dieses Buch nicht zu lesen, wenn man sich mit Folter und Gewalt nicht auseinandersetzen kann oder will. Es gibt einige sehr heftige Szenen im Buch, die leider so in der Realität immer noch vorkommen, aber für Menschen mit zu sensiblen Nerven oder auch Traumatisierte nicht geeignet sind. Aber es gibt im Buch selber vor den beiden entsprechenden Passagen nochmals Hinweise, also könnten auch diese Personen das Buch lesen, aber eben diese Abschnitte überspringen.
Dieses Buch spielt in unserer relativen Gegenwart. Ein junger, 25jähriger Deutscher hat eine Trennung hinter sich und möchte sich nicht wirklich damit auseinandersetzen. Er fühlt sich etwas verloren, sucht einen tieferen Sinn und auch ( sexuelle ) Abenteuer. Er will flüchten, im Grunde genommen auch vor sich selbst.
Von Paris aus, fliegt er nach Cayenne in Französisch Guayana, Überseedepartement und doch so nichteuropäisch, anders, fremdartig. Die Gerüche, die Bilder, die Geräusche.... Sehr atmosphärisch beschrieben und eingefangen, daß man beim Lesen selbst so zu empfinden meint.
Diffuse Ängste martern ihn. Er geht zu einer Prostituierten. Er ist naiv, unerfahren sowie leichtsinnig. Dann läßt er sich treiben, bis nach Brasilien und steigert sich wie ein Drogensüchtiger auf der Suche nach dem nächsten Kick in den nächsten und nächsten gekauften Sex und auch denjenigen, den er einfach so bekommt. Auch sein Vater meinte ja, er solle nichts anbrennen lassen.
Allerdings wird sein Selbstekel und Selbsthass immer immenser sowie seine schier endlose Leere. Er wird mit Realitäten konfrontiert, die er als Europäer, von der Insel der Glückseligen kommend, so nie für möglich gehalten hätte.
Als er von Brasilien aus in ein angrenzendes Nachbarland reist, um die Iguaçu - Wasserfälle zu bestaunen, ist er zur falschen Zeit am falschen Ort. Es findet ein Militärputsch statt und er wird gefangengenommen und inkarzeriert.
Er ahnt noch nicht, welche Qualen und Folter ihm bevorstehen, durch welche Hölle auf Erden er gehen werden muß, zu welcher Bestialität Menschen doch fähig sind. Daß er regelrecht vernichtet werden soll, nicht nur physisch.
Maria, eine Guerillerera und ihre Einheit befreien ihn und den alten erfahrenen Recken Carlos, der sein Zellengenosse war und der Deutsche ist weit weit weg tief in sich selbst zurückgezogen. Doch es gibt Hoffnung - Liebe keimt zwischen ihm und Maria wie eine zarte Blume auf.
Und eines Tages trifft der Deutsche auf einen der Folterer. Wird er ihn töten oder will / kann er vergeben? Was wird passieren?
Dieses Buch ist wichtig, weil es Themen berührt, die nach wie vor und wahrscheinlich für immer eine Rolle spielen werden. Unmenschlichkeit, Bestialität und wie sich diese konkret auswirkt.
Wer das Glück hat, in einem friedlichen Land zu leben, selber nie gefoltert wurde und vielleicht auch keinen Überlebenden der Folter kennt, für den scheint das alles fern, abstrakt, Zahlen, Nachrichten aus fremden Ländern; das tangiert einen doch nicht, oder?
Doch! Wer Wert auf Humanität und Menschenrechte legt, den tangiert das sehr wohl. Es ist unerträglich, was Menschen aus purer sadistischer Freude anderen Menschen antun. Das Ende des dritten Reiches ist erst 75 Jahre her. Erst? Ja, erst! Was sind diese Zeiträume in Relation zur Weltgeschichte? Im Angesicht der Shoa und all den anderen Grausamkeiten verstummt man, weil die Sprache als Instrument viel zu unzulänglich ist, um diese widerwärtigen Abgründe angemessen wiederzugeben.
Gefolterte sollen gebrochen werden, auch Mord an der Seele, falls er dennoch körperlich überleben sollte. Folter in Europa ist nicht so obsolet, wie man meinen sollte. In den 70er und 80er Jahren haben Briten Nordiren gefoltert und nach Franco in Spanien wurden Basken gefoltert und auch welche durch Todesschwadronen ermordet.
Das Buch enthält innerhalb der Handlung sehr gut eingebunden, Diskurse über Schuld und Schuldlosigkeit bzw. Unschuld, Rache und Vergebung, Globalisierung, Imperialismus und Ausbeutung. Es zeigt deutlich auf, wie Entscheidungen und ökonomische Interessen weniger in der sogenannten Ersten Welt verhängnisvolle Auswirkungen auf die anderen Länder hat. Erbarmungslos greift da Rädchen in Rädchen und die Opfer sind der "bedauernswerte Kollateralschaden", die nun einmal auf dem Altar der Ökonomie und der Oligarchen dargebracht werden müssen, wenn nun einmal der Euro, der Rubel und der Dollar weiter fließen sollen.
Länder, die zu den Untaten von Regimen schweigen, weil ökonomische Interessen schweigen, machen sich zu Mittätern. Die große, schweigende Masse der Gleichgültigen weltweit macht sich durch ihre Indifferenz mitschuldig, indem sie eben gleichgültig sind.
Potentiell kann aber unter Umständen jeder ein Opfer werden, obwohl diese Person gar nichts getan hat. Elisabeth Käsemann wurde damals in der Militärjunta Argentiniens verschleppt, gefoltert und getötet. Deutschland hat nichts getan!
Das Buch ist ebenso philosophisch, von aktueller Brisanz, erschreckend und sehr gut geschrieben. Die innere Dynamik der Protagonisten hält das Level des großen Interesses des Lesers hoch.
Der Deutsche und Maria durchleben eine faszinierende und auch teils schockierende Genese ihrer Charaktere. Es ist spannend, das zu verfolgen. Die drei Hauptprotagonisten sind mir sympathisch, selbst wenn man nicht jede Handlung nachvollziehen oder gutheißen kann, aber im Gesamtkontext spielt das keine Rolle, weil es hier um universelle Humanität geht und wie wir sie uns bewahren können und sogar müssen. Das Buch enthält noch wertvolle Quellen und weiterführende Literatur, um interessante Aspekte weiterverfolgen zu können.