Erinnerungsbilder aus Flugschnee
Ein junger Mann namens Simon ist spurlos verschwunden! Ein Schock für seine Schwester Lucy und seine Eltern Arnold und Vera.
Schon ganz zu Beginn fällt am Roman die Sprache auf. Ein inneres Zwiegespräch ...
Ein junger Mann namens Simon ist spurlos verschwunden! Ein Schock für seine Schwester Lucy und seine Eltern Arnold und Vera.
Schon ganz zu Beginn fällt am Roman die Sprache auf. Ein inneres Zwiegespräch der Protagonistin mit dem verschwundenen Bruder, Erinnerungsarbeit an die gemeinsamen Erlebnisse der Vergangenheit. Eine Bewusstseinsdarstellung, die den Schmerz des Verlustes darstellt, aber auch die Ungewissheit und die Angst, dass es einen Suizid gab. Oder ist Simon nur untergetaucht? Was sind seine Beweggründe?
Diese Kapitel in Berlin wechseln sich mit anderen Handlungsebenen der Vergangenheit ab, z.B. 20 Jahre zuvor in Hamburg mit dem schon älteren Lorenz. Er ist Lucys und Simons Großvater.
Es gibt auch einige Kindheitsszenen mit Simon und Lucy. Aus dem ganzen entsteht eine komplexe Familiengeschichte.
Bemerkenswert, wie auch die Literatur im Text eingesetzt wird: Das Berlinbuch “Die Ästhetik des Widerstands” von Peter Weiß, Novalis und die schwedische Schriftstellerin Karin Boye. Das trägt bei, den hohen Ton des Romans zu unterstützen.
Wenn man sich die Definition von Flugschnee ansieht (sehr feiner Schnee, der bei stärkerem Wind entsteht und die Schneekristalle auch unter die Dachhaut oder die Dachziegel eines Hauses eindringen lässt.) kann man einen Zusammenhang zur Wirkung der Sprache von Birgit Müller-Wieland erkennen. Wie Flugschnee dringen die Erinnerungsbilder in Lucy.
Das gilt jedenfalls für viele Passagen, aber es gibt auch einige, wo es nur leichten Schneefall gibt. Da wird die Geduld des Lesers auf die Probe gestellt.
Aber die Geschichte braucht diesen Raum. Vorfälle der Vergangenheit werden langsam herausgearbeitet, die Zusammenhänge familiärer Probleme ergeben sich erst allmählich. Man muss sich nur gewiss sein, dass sich die Autorin Zeit lässt, dann ist das schon okay.
Die Ernsthaftigkeit, die Birgit Müller-Wieland ihrer Sprache verleiht und wie sie mit ihr arbeite, ist bewundernswert.