Ein Gefühl mit vielen Facetten
Wer kennt es nicht, das Gefühl, vor Scham am liebsten im Boden versinken zu wollen?
In seinem Buch befasst sich der französische Neurologe, Psychiater und Ethologe Boris Cyrulnik eingehend mit den zahlreichen ...
Wer kennt es nicht, das Gefühl, vor Scham am liebsten im Boden versinken zu wollen?
In seinem Buch befasst sich der französische Neurologe, Psychiater und Ethologe Boris Cyrulnik eingehend mit den zahlreichen Facetten eines universellen, doch weitgehend tabuisierten Gefühls.
Der Bestsellerautor Cyrulnik beschreibt anschaulich, wie das Gefühl der Scham entsteht und welche Auswirkungen es auf unser Leben hat. Was haben Scham und Schuld miteinander zu tun? Vor dem Hintergrund neuester Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie bietet das Buch ein neues Verständnis von Scham. Der erfahrene Psychotherapeut zeigt anhand von vielen berührenden Fallgeschichten, wie Menschen in den schwierigsten Lebenssituationen, mit traumatischen Erfahrungen und düsteren Familiengeheimnissen besser umgehen können. Einfühlsam erklärt Cyrulnik, wie man das Gefühl der Schuld hinter sich lassen und wieder zu innerer Freiheit und Würde finden kann.
„Scham – Die vielen Facetten eines tabuisierten Gefühls“ liest sich von Beginn an sehr angenehm und ist gefüllt mit einer Vielzahl an anschaulichen Beispielfällen zu den einzelnen Arten und Facetten der Scham. In einzelnen Unterkapiteln verfällt der Autor teilweise jedoch zu sehr ins Wissenschaftliche. Durch die Verwendung von zu vielen Fachbegriffen, wirken diese Kapitel dann im Ganzen etwas unübersichtlich und sind dadurch etwas schwerer zu verstehen als die restlichen Kapitel.
Boris Cyrulnik greift in seinem Werk viele interessante Ansatzpunkte auf. Sofern man nicht zu den vollkommen schamlosen Personen gehört, findet man sich hier und da ansatzweise in den Beschreibungen des Autors wieder. Allerdings legt der Autor für mein Empfinden den Fokus doch zu sehr auf spezifische Themenbereiche wie die Judenverfolgung während des zweiten Weltkriegs, sexueller Missbrauch etc. Das in diesem Zusammenhang entstehende Schamgefühl, aber auch die Schuld, werden von Cyrulnik ausgiebig behandelt und analysiert. Mir Persönlich waren diese Themenbereiche jedoch sowohl thematisch als auch zeitlich etwas zu weit weg vom hier und jetzt. Für mich wäre es von größerem Interesse gewesen, wäre das Buch mit den Fallbeispielen mehr in der heutigen Zeit angesiedelt und würde sich expliziter mit dem Scham- und Schuldgefühlen von 08/15-Menschen der heutigen Zeit befassen. Dies hatte ich aufgrund der Inhaltsangabe eigentlich auch erwartet. Erkenntnisse, die man ggf. auf die eigene Person anwenden kann sind hier daher kaum zu finden. Das Buch liest sich vielmehr wie eine interessante Zusammenfassung darüber, wie sich die Gründe für das Gefühl der Scham in der Vergangenheit immer wieder aufs Neue gewandelt haben.
Bei „Scham – Die vielen Facetten eines tabuisierten Gefühls“ handelt es sich trotz allem um eine interessante Lektüre, die man guten Gewissens weiterempfehlen kann. Ich vergebe daher insgesamt drei von fünf Sternen.