Eine Zeitreise ohne Reise, aber mit Deadline und Eintauchen in eine vergangene Welt, um die gegenwärtige zu retten
Zusammenfassung
Jed DeLanda ist Bluter, Eigenbrötler und hochbegabt. Die einzige Verbindung zu seiner südamerikanischen Familie, die im Zuge eines Genozids umgebracht wurde, ist das Opferspiel. Dieses ...
Zusammenfassung
Jed DeLanda ist Bluter, Eigenbrötler und hochbegabt. Die einzige Verbindung zu seiner südamerikanischen Familie, die im Zuge eines Genozids umgebracht wurde, ist das Opferspiel. Dieses Spiel gestattet denen, die es beherrschen, mögliche Versionen der Zukunft vorherzusagen - Jed benutzt es vor allem, um mit Termingeschäften Geld zu machen.
Der so erlangte Reichtum erlaubt ihm ein sorgenfreies Leben, das ihn dennoch nur zum Teil ausfüllt. Als er vom Fund eines Maya-Kodex erfährt, in dem die Prophezeiung des "Ende aller Zeiten" überliefert ist, wird er aus seinem komfortablen aber letztlich ziellosen Leben gerissen: Er muss dieses Buch sehen. Jed kontaktiert seinen ehemaligen Lehrer und Mentor Taro um dessen Beziehungen zu schröpfen, und schafft es an die Quelle.
Es wird deutlich, dass die Verfasser dieses Maya-Kodex Ergebnisse einer Partie des Opferspiels festgehalten haben und Jed taucht in die Übersetzung des Kodex ein. In kürzester Zeit steigt er vom merkwürdigen Außenseiter zum Mitarbeiter eines globalen Konzerns auf, dessen Spitze nicht nur den Kodex entziffern sondern dafür sorgen will, dass das vorhergesagte Ende aller Zeiten verhindert wird. Hierfür soll ein Bewusstseinstransfer dienen, um im Zeitalter der Maya die Geheimnisse der überlieferten Spielpartie zu lüften, die Informationen an einem die Jahrhunderte überdauernden Ort zu lagern, um sie im Hier und Jetzt zu benutzen und das Opferspiel erneut zu spielen - und denjenigen zu finden, der 2011 Disneyworld, Florida zur Quarantänezone gemacht hat und diese offenbar auf die gesamte Welt auszuweiten plant.
Das Cover verbindet mit der Skyline und dem diffus darüber schwebenden Maya-Symbol die zwei Grundbausteine des Buches, und entflammt mit dem kontrastierenden Orange und dem schäumenden Wasser die Weltuntergangstheorien. Passend, nicht zu vielsagend, und schön bedrohlich.
Meine Meinung
kurz, spoilerfrei
Der intensiven, den meisten sicher sehr unbekannten und teils verstörenden Welt der alten Maya gegenüber steht die überragend ausgearbeitete Hauptfigur. Jed lässt sich von den Ereignissen mitreißen und erleidet seinerseits ein ungeahntes Maß an Spannung, findet jedoch immer wieder zu der strategisierenden Ruhe zurück, die im "wirklichen" Leben oft kalt und arrogant wirkt. In 2012 webt sein Interesse an einer jungen Frau ein wenig nervös-verliebtes Gefühl in das recht sachliche Grundgefüge seiner Person und wird vom Autor nachvollziehbar beschrieben, ohne platt oder schnulzig zu wirken.
Die Nebenfiguren nebensächlich, doch wenn nötig wieder-erkennbar und facettenreich.
Die Geschichte selbst ist zweigeteilt: ein Teil spielt in der Gegenwart, genauer in 2011/2012, und erzählt vom Wettlauf gegen die Zeit, der Suche nach dem Doomster, dem Projekt Chocula (aka Bewusstseinstransferprotokoll) und der Flucht vor radioaktivem Staub und guatemaltekischem Militär.
Der andere Teil entfaltet sich im Jahr 664 nach unserer Zeitrechnung vor dem Hintergrund der sehr lebendigen (oder auch vollgestopften), farbgeblockten, rituell geprägten Maya-Städte mit den kurzgewachsenen, mehr als abgehärteten, opferwilligen, opferlustigen, insignienversklavten, außerordentlich strukturierten Maya.
Nach einem Einstieg in medias res sorgt ein angenehm unregelmäßiger Spannungsbogen für gleichbleibende Neugier. D'Amato schreibt unterhaltsam, bricht sachliche Erläuterungen mit Wortwitz, Sarkasmus und psychologischem Tiefgang auf, und es gelingt ihm auch bei langen Passagen und abstrakten Handlungsteilen den Leser zu fesseln und die Geschichte greifbar bleiben zu lassen. Wenn nicht schon bei der wiederholten Erwähnung der für den zeitgenössischen Leser kaum nachvollziehbaren Maya-Kalender-Zeitrechnungen, dann doch allerspätestens bei den Beschreibungen der Tempel im wird deutlich, dass dem Buch extensive Recherche zugrunde liegt. Die Illustrationen, die der Autor selbst angefertigt hat, setzen das Tüpfelchen aufs i.
Aus den Informationen und Eindrücken, die Brian D'Amato über das Volk und die Kultur der Maya gesammelt hat, baut er eine Welt, die zwar überwältigend wirkt, doch nichtsdestotrotz authentisch. Seine Bewunderung für diese vergangene Zivilisation spiegelt sich nicht nur zwischen den Zeilen wieder.
Die Verwebung einer vergangenen Zivilisation mit einer physikalisch möglichen Form der Zeitreise, mit dem Blick auf einen jahrhundertealten Kalender mit Haltbarkeitsdatum aus der Sicht eines ironischen doch ungewöhnlichen jungen Mannes sorgen für ein kurzweiliges Lesevergnügen mit intellektuellen Stimuli.
Ich habe das Buch jetzt zum fünften Mal gelesen und bin immer noch schwer begeistert.
!! SPOILERALARM !!
Meine Meinung
Eindrücke, Ergänzungen und Gedanken
Ich bin ein absoluter Fan von außergewöhnlichen, lebendig gezeichneten Charakteren, mit denen man sich identifizieren kann, auch wenn es zur eigenen Person keine essentiellen Gemeinsamkeiten gibt. (Und Zeitreisegeschichten.) Brian D'Amato gelingt dies in überragender Weise. Man könnte beinahe sagen, 2012 ist eine Charakterstudie verfasst in der Ich-Perspektive, mit Unmengen an Einblicken in die antike Kultur der Maya. Im Grunde trägt dies für mich die Geschichte, und den Leser über Strecken von abstrusen Beschreibungen vom Ablauf eines Spiels, das man nicht versteht, wenn man es nicht selber spielen kann. Dass die Geschichte selbst eine zweigeteilte ist, ist deshalb nicht verwirrend, da Jed selbst seine Schwierigkeiten beim Einordnen der Geschehnisse hin und wieder in Worte fasst. In anderen Rezensionen dieses Buches wird mokiert, dass es zu lange dauert, bis Jed2 auf die Reise geschickt wird. Da Jed1 der Reise von Jed2 nicht physisch folgen kann und seine ganz eigene spannende Geschichte erlebt, ist die lange „Vorgeschichte“ für mich einfach eine eigene Story und ebenso aufregend wie die in der Vergangenheit.
Gleich auf den ersten Seiten schubst D'Amato den Leser in eine Situation, die seit dem Untergang der Maya niemand (in Worten: niemand) einzuordnen vermag, auf voyeuristische Weise jedoch spannend genug ist, um nicht gleich abzubrechen. Kurz bevor man sich auf die Nase legt, reißt Jed den Leser zurück, um ihm mit einem Arm um die Schultern zu versichern, es ist alles in Ordnung, hier ist Kaffee, die Sonne geht noch im Osten auf, ach und das hier bin übrigens ich. Ich erzähle Euch jetzt eine bekloppte Geschichte. Meiner Meinung nach ein beachtenswert aufregender Einstieg.
Ich habe bisher wenig gute Bücher gelesen, die in der Ich-Perspektive geschrieben sind; dies könnte auf persönliche Vorlieben hinweisen, hängt nach meinem Dafürhalten jedoch vom Schreibstil ab und davon, ob die Hauptfigur den Leser erwähnt und wie herablassend dies geschieht. Jed DeLanda kann nach "eigenen" Worten auf andere arrogant wirken, da wir aber in seinem Kopf stecken und er selbstreflexiv, aufmerksam und mit Narben der Schuld der Überlebenden gezeichnet ist, wirkt dieses Miteinbeziehen eher freundschaftlich und entschuldigend.
Nach dem gelungenen Einstieg mit leckerem Köder am "hook" lernt man Jed und seine Eigenheiten kennen, die seiner Sympathie keineswegs abträglich sind und im Verlauf der Geschichte dafür sorgen, dass die Figur stimmig bleibt. Die Spannung steigt wieder, wenn Jed die ersten Einblicke in den Maya Kodex erhält und ein Anschlag auf Disneyworld in Orlando verübt wird. Ziemlich bald lernt er das Team kennen, das seine Hirnwellen aufzeichnen und als Energie durch eine Art Wurmloch in das Gehirn des Herrschers über Ix projizieren wird - eine Art Zeitreise der Persönlichkeit ohne Rückkehr. Trotz erheblicher Recherchen und Planung des Teams bleibt ein Faktor auf der Strecke: der Körper, in dem Jed2 landet, ist nur ein Vertreter des Herrschers, und der Rest dessen ursprünglicher Person ist fest entschlossen, sich zu opfern. Auch wenn das Lesezeichen an dieser Stelle kaum das Buch in zwei Hälften teilt und man daher weiß, dass die Mission nicht verloren sein kann, steigt sie Spannungskurve steil an und pendelt sich dann im oberen Drittel ein. Was Jed2 anschließend erlebt, lässt den Leser in eine vergangene, ausführlich recherchierte und auf dieser Basis erstaunlich lebendig ausgemalte Kultur eintauchen.
Er muss nicht nur körperliche Qualen erleiden und mentale Kämpfe gegen die Überbleibsel des eigentlichen Bewusstseins des Hüftballspielers ausfechten, sondern sorgfältig geschmiedete Pläne über den Haufen werfen und all seine Überredungskunst aufwenden, um rechtzeitig von einer hochrangigen Sonnenaddiererin das wohl gehütete Geheimnis des Opferspiels mit 9 Läufern zu erfahren.
Angenehm unregelmäßige Wellen in der Spannungskurve enden schließlich in einem vergleichsweise unspektakulären Abflachen derselben - und ganz am Ende wird der Bogen zu einem steil in die Höhe fliegenden Pfeil. Hier bleibt nur der Verweis auf das zweite Buch der Reihe, das ich selbst noch nicht gelesen habe und von anderen entweder geliebt oder geächtet zu werden scheint.
Zum Jetzt-Teil der Geschichte möchte ich sagen, dass sie eine sehr reelle Basis für den 'verrückten' Teil des Buches schafft. Von den Nachrichten, dem Anschlag auf Disneyworld, den Interaktionen von Jed mit seinen Nachbarn bis hin zu den Diskussionen über Helikopterfunk mit dem Militär gibt es in der 2012-Timeline in meinen Augen nichts, das gestellt oder extrem „DeusExMaschina“ wirkt. Auch die einzige Kopulations-Szene wirkt zwar holzig, passt aber zur Situation, den beteiligten Personen und ist einfach sehr, sehr ehrlich.
Das Buch beschäftigt sich ausführlich mit der vergangenen Maya-Kultur, stellt aber übergeordnet eine Frage nach dem Wert des eigentlichen Ziels der Hauptfigur, die zeitlos scheint: Ist die Menschheit es wert, gerettet zu werden? Ist Empathie und der evolutionsgeprägte Sinn für das nackte Überleben Grund genug, die Auslöschung eines Großteils der Menschheit zu verhindern? In der Vorstellung des Autors – wenigstens als Ankerpunkt für diese Geschichte – interpretiert die Sonnenaddiererin das mit dem Opferspiel vorhergesehene „Ende“ als natürliche Sequenz einer Reihe von Ereignissen, nicht als unabwendbare Zukunft.
Jed, der nach Beendigung seiner Mission die mysteriöse Partie noch einmal durchspielt, beantwortet für sich diese Frage. Und macht das Ende des Buches zu einem offenen.