Hommage an Wiedersehen mit Brideshead
Kaum gewonnen, war das Buch schon in der Post. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich es dann verschlungen. Ich mochte es kaum aus der Hand legen, und die Seiten flogen nur so dahin.
Die Abbildung des Buchumschlages ...
Kaum gewonnen, war das Buch schon in der Post. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich es dann verschlungen. Ich mochte es kaum aus der Hand legen, und die Seiten flogen nur so dahin.
Die Abbildung des Buchumschlages hatte ich zunächst noch etwas unscheinbar gefunden, aber das Original kann sich dann doch wirklich sehen lassen. Es ist in sehr sanften Tönen gehalten, das Mädchen mit dem abgewandten Blick wirkt wie auf der Durchreise in ihrem eigenem Leben. Vor allem der pastellige Türkiston hat es mir angetan, aber auch die gemalte Muschel, die sich zu Beginn der Kapitel wiederfindet sowie in der Handlung, da ein Teil am Meer spielt und die Hauptprotagonistin Muscheln als Erinnerungsstücke sammelt.
Das Ganze beginnt mit einem vorangestellten Kommentar aus "Wiedersehen mit Brideshead" von Evelyn Waugh, das ich schon in meiner Jugend geliebt habe. Seltsam, als Kind habe ich Bücher für Erwachsene gelesen, und nun, Jahrzehnte später, liebe ich Jugendbücher! Und tatsächlich kann man "Ein anderes Paradies" als Nacherzählung von "Wiedersehen mit Brideshead" für Jugendliche betrachten. Die Ähnlichkeiten sind so frappierend, dass es unmöglich ein Abkupfern sein kann. Der Roman ist wohl als eine echte Hommage gedacht. Ich habe daher eine Weile geschwankt, ob ich nicht doch nur vier statt fünf Sterne vergeben kann, denn natürlich ist "Wiedersehen mit Brideshead" ein echter Klassiker der englischen Literatur, mit dem das Jugendbuch im direkten Vergleich nicht mithalten könnte. Aber "Ein anderes Paradies" hat mir soviel Freude bereitet, dass ich beschlossen habe, es von seinem literarischen Vorbild losgelöst zu bewerten. Und wird jemand außer mir bei Vorablesen die überdeutliche Vorlage erkennen? Ich bin gespannt!
Statt Charles Ryder im Original haben wir es hier mit Charlotte Ryder, genannt Charlie, als Protagonistin zu tun. Auch sie lernt die reichen Geschwister Julia und Sebastian kennen, und verliebt sich anders als Charles dann natürlich in Sebastian und nicht in Julia. Zwangsläufig sind die Rollen im Vergleich zu "Widersehen mit Brideshead" also vertauscht. Julia ist ein sehr unsteter Charakter, voller Leben, sehr eigen, aber auch von tiefer Melancholie umschattet. Sie war bei einem Autounfall dabei, der ihre ältere Schwester und deren Freund das Leben kostete. Das hier nicht alles so ablief wie geschildert, ahnt der Leser schon früh. Julias Familie ist froh über den guten Einfluss, den Charlotte auf Julia hat, und stellt sie nahezu unter ihre Aufsicht. Bald sind die beiden unzertrennlich, im Internat und im Strandhaus von Julias Eltern. Als sich Sebastian von seiner Freundin trennt, wird aus Sebastian und Charlotte unabwenbar ein Paar. Immer tiefer wird Charlotte in die Welt der wohlhabenden und einflussreichen Buchanans gesogen und vergisst beinahe, ihren eigenen Weg zu gehen, der sie eigentlich auf eine Kunsthochschule führen soll. Als die Wahrheit über den Unfall ans Licht kommt, zerfällt jedoch ihre Freundschaft zu Julia wie ein Kartenhaus, und auch ihre Liebe zu Sebastian ist mehr als gefährdet...
Das Buch hat mich regelrecht in seinen Bann gezogen und war viel zu schnell vorbei, zumal das Ende auch etwas plötzlich kam. Die Geschichte ist sehr dialoglastig, was sie noch lebendiger wirken lässt und das Erzähltempo weiter gesteigert hat. Sie ist sehr modern aufgebaut und enthält am Ende der Kapitel häufig den Austauch von Kurznachrichten oder Emails, was sehr frisch wirkt. Durch die den einzelnen Teilen vorangestellten klassischen lateinischen Zitate entsteht aber auch ein gewisser Tiefgang. Ein wirklich gelungene Mischung! Ich habe das Buch einfach genossen. Wieder einmal ein sehr guter Roman aus dem Carlsen Verlag!