Rebellen mit starken Waffen
Wie soll man eine Geschichte in nur 500 Wörter fassen? Und wie soll man mit diesen 500 Wörtern sein Publikum möglichst vom ersten Satz an fesseln? Eine Herausforderung, der sich die 18 Autoren der LBM ...
Wie soll man eine Geschichte in nur 500 Wörter fassen? Und wie soll man mit diesen 500 Wörtern sein Publikum möglichst vom ersten Satz an fesseln? Eine Herausforderung, der sich die 18 Autoren der LBM Guerillas gestellt und Geschichten verfasst haben, die für das Vorlesen gedacht sind. Ob an Bus- und Straßenbahnhaltestellen, in Ladenpassagen oder im Stadtpark – die LBM Guerillas belesen Leipzig. Im Gepäck haben sie dabei Geschichten zu den Themen Reise, Natur, Kunst und Kirche und bekämpfen Alltag und Hektik mit der wohl mächtigsten Waffe überhaupt: Worten. Zusätzlich zu den „Vorlesegeschichten“ bietet die Anthologie auch noch „Lost Stories“, die für das Guerillalesen ein wenig zu lang sind, und verschiedene Leseproben.
Wer in kurzer Zeit eine Handlung gestalten will, muss Bilder erschaffen. Denn Zuhörer gewinnt man vor allem über Assoziationen. Denn wer wird bei der Frage „Kann man Licht riechen?“, die Melanie Schneider in „Fuchserwachen“ stellt, nicht hellhörig? Eines ist allen Geschichten gemein – das Bildliche und Ungewöhnliche. Letzteres wird oft auch dadurch erzeugt, indem die Geschichte einen völlig anderen Blickwinkel auf Alltägliches und Gewöhnliches präsentiert, so wie es in „Liegen bleiben“ von David Knospe oder „Der Zirkel“ von Claudia Rapp der Fall ist. Stilistisch könnten die Geschichten allerdings nicht unterschiedlicher sein. Jeder Autor, jede Autorin stattet seine oder ihre Geschichte mit besonderen Eigenheiten aus. Angefangen beim Genre, über den Schreibstil bis hin zur Textgestaltung steht jede Geschichte individuell für sich.
So modern die Idee der Leserebellen, eine Stadt zu belesen, auch ist, die vier übergeordneten Themen Kirche, Kunst, Natur und Reise sind so alt wie die Literatur selbst. Die Reise findet sich bereits bei Homer, die Natur wurde vor allem im Sturm und Drang und in der Romantik zum Gegenstand der Literatur, die Literatur selbst ist eine Form der Kunst und wer sich Worte als Waffe wählt, der darf auch das Thema Kirche nicht außen vor lassen. Schließlich beginnt das Johannesevangelium mit den Worten: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Bereits zwischen 130 und 150 v. Chr. wusste man also, wie mächtig Worte sein können. Wer sich in diese Tradition stellt, kann die Kirche nicht ganz außen vor lassen. „seitenweise - LBM-Guerillas Shortest Stories Vol. 1“ präsentiert sich, trotz der Individualität der einzelnen Geschichten, als gut durchdachtes Gesamtwerk, dass überrascht, fasziniert und durch Vielfalt besticht. Ein weitere tolle Aktion ist, dass die Einnahmen aus dem Verkauf des Buches an den Bundesverband verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V. (VEID) gehen.