Heftig, schwer verdaulich aber grandios
Juli lebt mit ihren Eltern und ihren 3 Geschwistern nach außen hin in einer Vorzeigefamilie. Familie Ehre hat Geld und Ansehen. Beide Eltern sind erfolgreiche Anwälte. Auch die Kinder haben einiges vorzuweisen, ...
Juli lebt mit ihren Eltern und ihren 3 Geschwistern nach außen hin in einer Vorzeigefamilie. Familie Ehre hat Geld und Ansehen. Beide Eltern sind erfolgreiche Anwälte. Auch die Kinder haben einiges vorzuweisen, nämlich sportliche Erfolge und gute Noten in der Schule. Ungesehen vor den Augen der Öffentlichkeit spielen sich hinter den heimischen vier Wänden allerdings furchtbare Dinge ab. Der Vater ist ein brutaler Schläger, der neben physischer Gewalt auch keine Gelegenheit auslässt seine Frau und seine Kinder mit seinen grausamen Psychospielchen zu malträtieren. Die Mutter, die einerseits selbst ein Opfer ist, wird andererseits zur Mittäterin, weil sie ihren Kindern keinen Schutz zukommen lässt und was noch schlimmer ist, ihren Mann bei seinen Gewaltausbrüchen gegenüber den Kindern und der anschließenden Vertuschung sogar noch unterstützt.
„ Mama, die Tatortreinigerin“ , so fasst es die Teenagerin Juli treffend und voller Wut zusammen.
Die Blutflecken auf dem Teppich, die von Juli‘s Bruder Bruno stammen, nachdem Papa mal wieder „die Hand ausgerutscht ist“, werden von der Mutter geleugnet. Die Flecken so behauptet sie wären entstanden, als Juli betrunken auf den Teppich gekotzt hätte.
Der Roman ist in 3 Lebensabschnitte von Juli unterteilt. Im 1.Teil der 2007 spielt, ist sie 17 Jahre alt und befindet sich in einer Rehaklinik nachdem sie versucht hat sich das Leben zu nehmen.
Im 2. Teil ist sie 25, von zu Hause ausgezogen und führt ein wildes WG- Leben in Berlin, finanziert sich ihr Mathematikstudium als Profigamerin . Sex und Alkohol betäuben den andauernden Schmerz ihrer Kindheit, bis sie sich in eine Frau verliebt, die sie nimmt wie sie ist.
Im letzten Teil ist die Beziehung zu Sanyu zerbrochen und Juli, die sich jetzt Julia nennt, steht kurz vor der Hochzeit mit Thilo. Sie gleicht immer mehr ihrer Mutter und scheint sich selbst zu verlieren. Da ist nur einer der sie erden und zurück auf den Boden bringen kann, und das ist ihr Lieblingsbruder Bruno, von dem sie ganz sicher weiß, dass er sie liebt.
Claudia Schumacher‘s Debüt „Liebe ist gewaltig“, dass ich als Hörbuch vorliegen hatte, hat mich schwer beeindruckt. Sicher ist es schwere Kost, aber ich finde die Autorin hat die Wunden, die häusliche Gewalt bei einem Menschen ein Leben lang anrichten hervorragend herausgearbeitet. Die Sprache der jugendlichen Juli ist rotzig und unangepasst. Später verändert sich der Ton, wird angepasster. Der 3. Teil ist auch nicht mehr in der Ich Perspektive geschrieben, sondern in der 3. Person. Super interessant fand ich auch die Geschwisterbeziehungen und wie unterschiedlich Juli‘s Schwester und ihre Brüder mit der Gewalterfahrung in der Kindheit umgegangen sind.
Die Vertonung von Inka Löwendorf ist auch ganz große Klasse.
Das Buch lässt einen betroffen und erschüttert aber nicht hoffnungslos zurück und wird sicher noch eine Weile in mir arbeiten.
Große Empfehlung zu einem Thema, bei dem man nicht wegsehen darf.