Angie Glass ist 21 Jahre alt, jung und glücklich verheiratet mit Paul sowie frisch gebackene Mutter eines kleinen Jungen. Sie führt ein unbeschwertes Leben in Wisconsin, bis die Nichte Ruby ihres Mannes berichtet, dass sie ihren Vater, Pauls Bruder, tot im Wald gefunden hat. Ihre Mutter Silja hatte die kleine Familie verlassen, was Henry vermeintlich zum Selbstmord bewegt hat.
Angie und Paul begeben sich daraufhin in die kleine Stadt Stonekill/ New York, um Ruby zur Seite zu stehen.
Das Paar zieht zu Ruby in das große luxuriöse Haus, wo Angie vorhatte, sich um eine trauernde Nichte zu kümmern. Ruby aber wirkt gefasst und unnahbar und macht keine Anstalten sich von der wenig älteren Tante trösten oder helfen zu lassen. Das Verhalten des Mädchens gibt Rätsel auf. Weiterhin wundert sich Angie über die Ehe, die Silja und Henry geführt haben, die offenbar nicht so harmonisch war wie ihre eigene. Doch auch Paul wirkt zunehmend abweisender, Geheimnisse treten zutage und nach und nach beginnt Angie auch ihre eigene Ehe in Frage zu stellen.
Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen. Die Gegenwart 1960 wird aus der Ich-Perspektive von Angie beschrieben, die den damaligen Verhältnissen entsprechend häuslich-mütterlich und etwas naiv wirkt. In der Vergangenheit werden die Jahre von 1942 bis 1960 aus der Sicht von Silja erzählt, wodurch man Einblicke in ihre Ehe mit Henry und die Beziehung zu ihrer Tochter erhält.
Diese Rückblenden unterstützen Angies Wahrnehmung und ergeben ein Bild der Familie Glass, bei dem sich Abgründe auftun und Zweifel am Selbstmord von Henry aufkommen lassen.
Die Geschichte entwickelt sich gemächlich und gleicht einer Charakterstudie. Interessant ist, wie unterschiedlich die drei Frauen sind. Während Angie die typische Rolle der Frau passend zu den 1960er-Jahren einnimmt, musste Silja, ein Kind finnischer Einwanderer, während des Zweiten Weltkrieges und der Abwesenheit ihres Mannes Stärke beweisen und hat sich ihre Selbstständigkeit auch Jahre später bewahrt. Die Einzelgängerin Ruby lässt sich dagegen nur schwer einschätzen.
"Im Wald der Lügen" ist ein subtiler Thriller, der die Epoche der 1940er-Jahre, aber vor allem auch die Verhältnisse in den frühen 1960er-Jahren sehr anschaulich einfängt.
In der ersten Hälfte des Romans passiert nicht wirklich viel, aber durch den eingängigen Schreibstil kann man wunderbar in das Leben der Protagonisten eintauchen und ist durch die unterschwellig bedrohliche Atmosphäre dennoch gefesselt. Als Leser hat man das Gefühl, dass neben dem Tod von Henry und dem Verschwinden von Silja die eigentliche Katastrophe erst noch eintreten wird. Insbesondere Ruby scheint etwas zu verbergen zu haben. Diese mysteriöse Spannung und das Konglomerat aus Lügen und Geheimnissen, die innerhalb der Familie herrschen, packt ab der zweiten Hälfte und wird bis zum Schluss aufrecht erhalten.