Schöne Geschichte begraben unter wirren Zeitsprüngen
1905 – Smyrna, das heutige Izmir, ist ein kultureller Schmelztiegel verschiedener Nationen. Griechen, Türken, Armenier, Europäer und Juden leben in einem orientalischen, bunten, lauten Babel seit Jahrhunderten ...
1905 – Smyrna, das heutige Izmir, ist ein kultureller Schmelztiegel verschiedener Nationen. Griechen, Türken, Armenier, Europäer und Juden leben in einem orientalischen, bunten, lauten Babel seit Jahrhunderten zusammen. 17 Jahre später werden alle Nicht-Muslime vertrieben und viele Stadtteile nur noch Schutt und Asche sein.
Suman macht die Stadt mit all ihren Farben, Gerüchen, Bräuchen und Sprachen lebendig. Das Leid und die Zerstörung waren für mich spürbar. Ihr atmosphärischer Schreibstil ist sicher der größte Pluspunkt an dem Buch. Aber die Autorin hat es mir echt schwer gemacht. Ich habe mich gefreut, mehr über ein Land zu erfahren, dessen Historie ich kaum kenne.
Die Geschichte um die drei Familien (levantinische, griechische und türkische) ist das reinste Chaos. Als wäre ein Tsunami über die ägäische Hafenstadt hinweggefegt und hätte überall nur Fragmente und Andeutungen hinterlassen, die ich mir mühsam zusammenklauben musste. Alle historischen Zusammenhänge musste ich mir im Netz suchen, um ansatzweise die Beweggründe der Figuren zu verstehen, Hintergründe fehlen hier völlig. Warum zerbrach das Osmanische Reich nach dem 1. WK? Weshalb waren die Menschen froh, dass die Griechen das Land übernahmen?
Die Erzählerin Scheherazade taucht nur sporadisch auf, ergeht sich in Rückblicken und Voraussagungen, die zeitlich nicht einzuordnen sind, die mich immer wieder den Faden verlieren ließen. Schon nach 100 Seiten hatte ich mehr Fragen im Kopf als Antworten. Die einzelnen Geschichten der Familien laufen zeitlich ebenso wenig synchron, ohne erkennbare Zuordnung. Ist die eine Frau im vorigen Kapitel bereits tot, steht sie im nächsten wieder in der Küche.
Doch damit nicht genug.
Um die sprachlichen Eigenheiten der Familien zu unterstreichen, nutzt die Autorin zahlreichen Vokabeln, die sie permanent in den Dialogen einflechtet. Wer wie ich weder gr, fr, ar noch tr beherrscht, findet die Übersetzung in einem anhängenden Glossar. Das empfand ich als äußerst mühsam und nervig.
Fazit: Unter dem ganzen Chaos ist eine wunderschöne Geschichte begraben, die ich wirklich gern gemocht hätte. Wer historische Vorkenntnisse hat und mit den Sprachen vertraut ist, wird hier vielleicht mehr Freude haben. Ich empfand sie lediglich als anstrengend und unbefriedigend. Am Ende hatte ich mich im kosmopolitischen Smyrna hoffnungslos verirrt.