Cover-Bild „Es ist Herbst in mir geworden.“ Depression, Alkohol und Selbstmordgedanken in Werk und Briefen von Hermann Löns 1904 - 1914
Band 8 der Reihe "Beiträge zur Hermann Löns Forschung"
39,80
inkl. MwSt
  • Verlag: synergenVerlag
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft
  • Genre: Sachbücher / Film, Kunst & Kultur
  • Seitenzahl: 256
  • Ersterscheinung: 20.12.2020
  • ISBN: 9783946366782
Detlef Münch

„Es ist Herbst in mir geworden.“ Depression, Alkohol und Selbstmordgedanken in Werk und Briefen von Hermann Löns 1904 - 1914

Erstmals werden die tragischen Seiten von Hermann Löns (1866 - 1914) in seinem letzten Lebensjahrzehnt von 1904 - 1914 aus seinen Schriften und Briefen dieser Zeit umfassend dokumentiert.
Wenn auch schon 1904 „die drei Mündungen seiner Waffe ihn angrinsten“, führte doch erst die Arbeitsüberlastung in Bückeburg und die unglückliche Liebe zu seiner 20 Jahre jüngeren Kusine Hanna Fueß 1909/10 zu Depressionen und Frustration, die er, obwohl vorher mehrere Jahre völlig enthaltsam, nun auch im Alkohol bis zur „Arbeitsunfähigkeit“ zu kompensieren versuchte.
Nachweislich ist belegt, dass Löns nach 3-jähriger Abstinenz als Antialkoholiker nach Bückeburg kam, erst dort aufgrund beruflicher und gesellschaftlicher Zwänge wieder regelmäßig Alkohol trinken musste, alkoholische Geschenke von seinem Arbeitgeber erhielt, später dann oft frustriert und deprimiert noch mehr Alkohol trank und Bückeburg als alkoholkranker Mann verließ.
Nach mehreren Nervenzusammenbrüchen musste sich Löns im Frühjahr 1910 im Sanatorium in Bad Zwischenahn, wo ihm eine „starke Blutarmut und eine beträchtliche Nervenüberreizung“ diagnostiziert wird, auskurieren. Dort erlebte er jedoch auch wieder die gemütlichen und geselligen Seiten des Wirtshauslebens, die ihn dann zu zahlreichen Erzählungen inspirierten.
So produktiv er seit dem Sommer 1910 mit neuen Novellen und Liedern auch wieder in Hannover war, von dem schwersten Schlag seines Lebens, der Zerstörung seiner Familie durch das Verlassenwerden von Frau und Kind am 27. Juli 1911, erholte er sich nie.
Auf rastlosen Reisen 1911/12 im deutschsprachigen Ausland als „Hermann Heimlos“ „muß er sich Tag für Tag zwingen, um die Selbstmordgedanken los zu werden“, sodass er sich „am liebsten beerdigen ließe“.
Seit dem Sommer 1912 gibt ihm seine neue Lebensgefährtin, die 22-jährige Ernestine Sassenberg, zwar psychische Stabilität, doch ständig kränkelnd und erkältet, findet der 46-jährige Löns kein dauerhaftes Lebensglück, sodass er lebenslang „die Sehnsucht danach in Dichtung umsetzt“.
Seine Briefe und die oft autobiographisch geprägten Natur-, Jagd- und Tiernovellen dieser Zeit kann man nur mit tiefer Erschütterung lesen, wie schlecht es ihm in den letzten Jahren seines Lebens gegangen ist.
Löns war real tatsächlich einer der Menschen, die er in seinen Romanen gezeichnet hat und „die mit sich selber und dem was man Schicksal nennt, den Kampf aufnehmen“.
Er selbst reflektierte sich als „Sehnsuchtsmensch“, für den „Künstler sein keine Gnade, sondern eine Strafe ist“ und der „sich bescheiden muss und froh sein könne, bleibt er nicht ganz neben dem Leben liegen“.
Erst Anfang 1914 scheint er seine jahrelange Krisis überwunden zu haben und trinkt auch keinen Alkohol mehr, da „das Kneipensitzen nur faul, dumm und krank macht“.
Der bis zu seinem Soldatentod am 26. September 1914 nur kurze Fronteinsatz im 1. Weltkrieg war für ihn dann wohl die Gelegenheit, die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben in der aktiven und scheinbar sinnstiftenden Teilhabe in einem großen Lebensereignis von nationaler Bedeutung zu externalisieren. Der jahrelange Krieg in ihm selbst fand so seinen Notweg in dem Ausbruch eines realen Krieges.

Denn schon seit dem Sommer 1910 und besonders seit der Trennung von seiner Familie am 27. Juli 1911 war Löns nicht mehr derselbe, sodass als Zäsur in seinem Leben eine massive Persönlichkeitsveränderung, ein anderer Löns, mit einem anderen, einem zweiten Gesicht, mit gravierenden Folgen für seine Psyche und sein literarisches Schaffen attestiert werden kann.
Aus seiner eher pazifistischen Einstellung wird offene Kriegsbegeisterung und aus seiner ursprünglich verinnerlichten Heimatliebe wird lauter Hurrapatriotismus mit deutlicher Betonung der eigenen „Rasse“. Aus seinem schon konservativen Frauenbild wird oftmals direkte Frauendiskriminierung.
Löns´ großes Talent für die Kurzprosa ist, wenn auch mit deutlich weniger humorvollen Texten, erhalten geblieben. So hat er hat nach 1911 zwar noch einige sehr bedeutende Novellen geschrieben, doch meistens ältere Motive – wenn auch stets originell – oft nur noch variiert.

Aus dem dunklen Schatten von Löns´ tragischem Lebensschicksal strahlt jedoch bis heute vorbildlich als sein Ideal das belletristische Gesamtwerk mit mehr als 550 Erzählungen, 4 Romanen und mehr als 500 Gedichten und Liedern hell hervor.
So verdient Löns Bewunderung und Respekt, dass er, entweder trotz oder sogar nur aufgrund seiner tragischen persönlichen (und wohl auch genetischen) Disposition sein Leben doch irgendwie gemeistert hat, er ein derart umfang-reiches und bedeutendes literarisches Werk schaffen konnte und selbst in seiner größten Lebenskrise noch so viel Schönes von bleibendem Wert kreiert hat.
Hermann Löns´ Bescheidenheitsethos, sein ökologisches Bewusstsein, seine Gesellschaftskritik und sein Engagement für Naturschutz und nachhaltige Entwicklung schon vor mehr als 100 Jahren sollte uns heute mehr denn je Vorbild für unser eigenes Handeln sein.
Auch dass Löns es geschafft hat, seine jahrelangen Depressionen und Suizidabsichten durch kreatives Schaffen zu überwinden, sollte jedem, der sich einmal kurzzeitig in einer psychischen Ausnahmesituation befindet, in der sich Löns fast sein ganzes Leben befand, Hoffnung machen. Denn so schlecht, wie es Hermann Löns gegangen ist, kann es einem gar nicht gehen.

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