Band 15
der Reihe "Monumenta Tibetica Historica. Abt. III: Diplomata et Epistolae"
129,00
€
inkl. MwSt
- Verlag: International Institute for Tibetan and Buddhist Studies
- Themenbereich: Geschichte und Archäologie
- Genre: keine Angabe / keine Angabe
- Seitenzahl: 284
- Ersterscheinung: 2016
- ISBN: 9783038091288
Herrschaft, örtliche Verwaltung und Demographie des äußersten Westens des tibetischen Hochlandes: Rechtsdokumente aus Purig und Spiti. Teil 2: Spiti
In dem vorliegenden zweiten Band mit Urkunden aus Spiti werden ausschliesslich Dokumente bearbeitet und ausgewertet, die aus der Urkundensammlung von no-no bSod-nams dbang-´dus, dem heutigen Oberhaupt einer Adelsfamilie aus dem Ort sKyid-gling in Spiti stammen. Zwar konnte ich während meines Aufenthaltes in Spiti im Mai/Juni 2015 auch Dokumente in den Klöstern von Brag-mkhar und Ki sowie in dem Ort Han-se photographieren, doch handelte es sich dabei im Wesentlichen um Schriftstücke, die mehr rezenter Natur waren und die für die Geschichte von Spiti vor 1842, dem Jahr des Untergangs des ladakhischen Königreiches, keine Relevanz besassen. Normalerweise pflege ich in meinen Arbeiten die vorgelegten Ergebnisse nicht in einer Zusammenfassung in einer Einleitung vorwegzunehmen. In diesem Fall möchte ich aber in Hinblick auf den zweiten Hauptteil des vorliegenden Buches insofern eine Ausnahme machen, als ich die Ergebnisse über die historische Rolle, welche die Adelsfamilie von sKyid-gling im 18. Jahrhundert und in den ersten vier Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Spiti spielte, hier noch einmal kurz zusammenfassen möchte.
Hintergrund hierfür ist das für mich überraschende Ergebnis, dass eine wichtiger Teil der in der Urkundensammlung von no-no bSod-nams dbang-´dus aufgefundenen Herrscherurkunden nach den nachfolgend vorgelegten, sehr eingehenden Untersuchungen als Fälschungen zu bewerten sind. Diese Fälschungen attestierten den Vorstehern der Adelsfamilie von sKyid-gling eine besondere politische Vormachtstellung innerhalb der Gruppe der örtlichen, nicht von aussen (Ladakh) delegierten Amtsträger in der politischen Verwaltung von Spiti. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die obersten örtlichen Machthaber in Spiti die vom ladakhischen Königshof entsandten mKhar-dpon („Burgvogte“) waren, die in der Burg von Brag-mkhar residierten. In der Regel wurden zwei Personen mit dieser Amtsbezeichnung vom Königshof entsandt. dPal-le, der letzte mKhar-dpon von Spiti, wurde im Jahr 1840 vom König Kun-dga´ rnam-rgyal nach Spiti geschickt. Die Aufgabenbereiche dieser mKhar-dpon waren unter anderem die äussere Sicherheit, die Sicherstellung der Ablieferung von Abgaben an den Königshof und im Bereich der inneren Sicherheit die Rechtsprechung. Zur Erfüllung dieser Aufgaben bedienten sie sich natürlich örtlicher Verwal-tungsstrukturen, die wiederum hierarchisch organisiert waren.
Im Vertrag von Vaṃ-le (Gergan, S. 469) aus dem Jahr 1753 tritt als einer der Signatare eine Person mit dem Namen bSod-nams bstan-´dzin auf, dessen politische Stellung als spyi-ti rgan-mangs ´go-pa „Vorsteher der rGan(-pa) und des Volks von Spiti“ umschrieben wird. Bei dieser Person handelt es sich zweifelsfrei um einen Vorstand der Adelsfamilie von sKyid-gling. Luciano Petech und Yannick Laurent bezeichnen das Amt dieser Vorsteher der Adelsfamilie von sKyid-gling als „Governor“, wobei sie offenbar diesen Begriff als Interpretation von No-no bzw. Ga-ga als Amtsbezeichnung verstehen. Christian Jahoda spricht sogar von einem „office of the no-no.“
Lassen wir den heutigen Gebrauch dieser Titel und ihre eventuelle Verwendung während der britischen Kolonialzeit in Spiti ausser Acht, so ist für die Zeit vor 1842 festzustellen, dass no-no und ga-ga nichts weiter waren als die Beinamen von Adligen in Ladakh und Spiti, wobei mit no-no ein jüngerer und mit ga-ga ein älterer Adliger tituliert wurde. Insofern wechseln diese Bezeichnungen bei den Erwähnungen von ein und derselben Person in verschiedenen Dokumenten. Gleichwohl erscheint es mir unter Beachtung dieser Bemerkungen unbedenklich zu sein, im Folgenden generell die Vorstände dieses Adelshauses als „No-no von sKyid-gling“ zu bezeichnen, da sich diese Bezeichnung offenbar inzwischen in Spiti eingebürgert hat.
Die beiden ältesten, urkundlich erwähnten Vorstände des Adelshauses von sKyid-gling aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nämlich Kun-dga´ chos-´phel (~ ga-ga Chos-´phel ~ jo Phyos-phel ~ Chol-spel ~ Chom-spel ~ Chom-´phel) und der schon erwähnte bSod-nams bstan-´dzin werden als Destinatäre in mehreren echten Urkunden des Königs Nyi-ma rnam-rgyal erwähnt. Hiernach hatten beide das Amt eines rGya-pa inne, welches schon von ihren Vorfahren ausgeübt wurde. Welche Funktionen damit verbunden waren, habe ich anhand der vorliegenden Urkunden weiter unten (S. 94) beschrieben. Das Amt des rGya-pa war verbunden mit der Ge-währung von speziellem Landbesitz und der Freistellung von den als Khral bezeich-neten Steuern sowie von Transportdienstleistungen. Allerdings betraf diese Freistel-lung nicht die Bon-Abgaben.
Als der Deputy commissioner Philip Henry Egerton 1863 nach Spiti reiste, wurde er dort von (no-no ~ spyi-ti´i no-no ~ ga-ga) bsKal-bzang (~ Kulsung ~ sKal-bzang) empfangen. bsKal-bzang gehörte dem Adelshaus von sKyid-gling an und spielte, wie wir aus den Dokumenten der Jahre 1839 und 1840 entnehmen können, in Spiti in dieser Zeit eine herausragende politische Rolle. Seine Position in jener Zeit war zweifelsfrei mit der seines Vorfahrens aus dem 18. Jahrhundert bSod-nams bstan-´dzin vergleichbar. Als Egerton sich in Brag-mkhar aufhielt, erschien ein junger Mann aus dem sPrin-Tal namens Tshe-ring, der offenbar Ansprüche auf das Amt eines mKhar-dpon von Spiti erhob und diese mit einer ladakhischen Herrscherurkunde belegte, die in einem Me-spre-Jahr ausgefertigt worden war. Dieser junge Mann war offenkundig der Nachfahre von bsTan-´dzin chos-´phel, dem nach Hay (S. 449) im sPrin-Tal das Dorf Gu-gling als Jagir gehörte. Nehmen wir an, dass die vorgelegte Urkunde echt war und eine Amtsernennung durch den König von Ladakh beinhaltete, so kommt angesichts der politischen Unruhen in Ladakh zwischen 1834 und 1842 nur das Jahr 1776 als Ausfertigungszeitpunkt in Frage.
Nun ist es bemerkenswert, dass das wichtigste Privileg der vorliegenden gefälschten Herrscherurkunden die angebliche Ernennung der Vorstände der Adelsfamilie von sKyid-gling zum Vertreter (ngo-tshab) der mKhar-dpon von Spiti war. Diese Position wurde in keiner der vorliegenden echten Urkunden aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts erwähnt. Des Weiteren fällt auf, dass für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts und für die nachfolgende Zeit bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts keine Konfir-mationsurkunden vorliegen, die den Fortbestand der politischen Machtstellung der Vorstände der Adelsfamilie von sKyid-gling bestätigen. Dies ist insofern ungewöhnlich, als der Nachweis solcher Bestätigungen durch Urkunden bei einem Herrscherwechsel im gesamten tibetischen Hochland einschliesslich Ladakh wesentlich für den Fortbestand zugestandener Rechte war.
Für den Zeitraum zwischen 1800 und 1834 finden sich mehrere Urkunden, die drei Amtsträger erwähnen, die in die Gruppe der höchsten Amtsträger von Spiti einzuordnen sind. Der wichtigste von diesen ist no-no mKhan, der auch von Trebeck erwähnt wird. Er wird auch mit den Beinamen ga-ga und ngos-tshab ga-ga aufgeführt. Der letztgenannte Titel ngos-tshab (No-no 26) „Vertreter“, mit dem er im Jahr 1834 in dem Dokument No-no 26 neben dem mKhar-dpon namens Ra-yim khan genannt wird, belegt, dass er das Amt des Vertreters eines mKhar-dpon innehatte. Mit dem gleichen Titel (ngo-tshab) wird er als Entscheidungsträger in einem Rechtsentscheid aus dem Jahr 1820 (No-no 48) neben dem mKhar-dpon erwähnt. Dieser Rechtsentscheid wurde pikanter Weise zugunsten einer Person gefällt, die als Kyi-gling ga-ga Sa-pi (~ Sa-bhi) aufgeführt ist. Dies zeigt, dass no-no mKhan nicht aus dem Haus der Adligen von sKyid-gling stammte und letztere ihm offenbar untergeordnet waren.
Das Dokument No-no 48 belegt allerdings auch, dass die Adligen von sKyid-gling 1820 weiterhin die Vorrechte eines rGya-pa besassen und somit über besondere Eigentumsrechte und Steuerprivilegien verfügten. In einer Herrscherurkunde des Königs Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal aus dem Jahr 1819 tritt der gleiche Adlige mit der Bezeichnung Gyi-ling gi no-no Sa-bhi als Destinatär auf, dem bestimmte Eigentumsrechte an Landbesitz übertragen wurden. In der Publicatio dieser Urkunde werden neben den mKhar-dpon auch die pauschal genannt, die als Vertreter (ngo-tshab ´dug-mi) der mKhar-dpon fungierten. Auch dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass eben dieses Amt nicht von Vertretern der Familie aus sKyid-gling ausgeübt wurde. Übrigens hatte no-no mKhan nach den Darlegungen von Trebeck schon vor 1819 als „manager of the district“ Spiti fungiert.
Über die Herkunft von no-no mKhan gibt uns eine Herrscherurkunde des Königs Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal aus dem Jahr 1831 (No-no 28) Auskunft. In dieser Urkunde wird no-no mKhan als Destinatär mit dem Namen gu-ling gyi no-no mKhan aufgeführt. No-no mKhan stammte somit aus Gu-gling im sPrin-Tal. Er war der Vater des oben erwähnten bsTan-´dzin chos-´phel aus Gu-gling und der Grossvater von Tshe-ring, der gegenüber Egerton vergeblich versuchte, seine ererbte und durch eine ladakhische Herrscherurkunde belegte Stellung als Vertreter der mKhar-dpon von Spiti geltend zu machen. Übrigens gibt es noch eine Person, die am den Beginn des 19. Jahrhunderts als Vertreter der mKhar-dpon von Spiti fungierte. In einem Schreiben des Königs Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal aus dem Jahr 1811 (No-no 17) wird in der Adresse ein mkhar-dpon ngo-tshab Bhai neben den „Ältesten“ (rgan) und sonstigen Führungskräften (´go-yod) aufgeführt. Ich gehe davon aus, dass der mkhar-dpon ngo-tshab Bhai der unmittelbare Vorgänger von ga-ga mKhan war und ebenfalls aus Gu-ling im sPrin-Tal stammte.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass offenkundig schon im Erde-Affe-Jahr 1776 die Vorstände der Adelsfamilie von sKyid-gling als „Vorsteher der rGan(-pa) und des Volks von Spiti“ entmachtet wurden und ihre Führungsrolle von den No-no aus dem im sPrin-Tal gelegenen Ort Gu-gling mit der Funktion von Vertretern (ngo-tshab) der mKhar-dpon übernommen worden ist. Nach 1834 war es dann no-no bsKal-bzang aus sKyid-gling der unter anderem mittels gefälschter Herrscherurkunden des Königs Nyi-ma rnam-rgyal die Führungsrolle als oberster Entscheidungsträger in Spiti für die Adelsfamilie aus sKyid-gling zurückgewinnen konnte. Wie wir aus zahlreichen Urkunden aus den Jahren 1839 und 1840 entnehmen können, wurde dieses Ziel der Entmachtung der No-no von Gu-ling spätestens 1839 erreicht.
Diese Führungsrolle in Spiti konnte von den No-no von sKyid-gling bis in die Zeit der englischen Kolonialherrschaft fortgeführt werden.
Es stellt sich an dieser Stelle abschliessend die Frage, ob insbesondere für die ge-fälschten Urkunden No-no 4, 5, 6, 12 und 13 teilweise echte Urkunden als Vorlagen gedient haben, die man für die gewünschten politischen Ziele umgestaltet hat. Ich halte dies sogar für wahrscheinlich. Insofern verweise ich auf meine Bemerkung, die weiter unten auf S. 100 zu lesen ist: „Es fällt auf, dass derjenige, der die Niederschrift dieser gefälschten Urkunde veranlasst hat, mit dem Wortlaut der Formeln ladakhischer Urkunde sehr gut vertraut war. Allerdings enthält der vorliegende Text eine Unzahl von mehr als ungewöhnlichen Schreibfehlern, so dass ich hieraus folgere, dass der Text in grosser Eile einem Schreiber mündlich diktiert worden ist, der die Orthographie des klassischen Tibetischen nicht einmal ansatzweise beherrschte und dessen Schriftkenntnisse inferior waren.“ Gleichwohl ist es mir unmöglich zu entscheiden, welche Teile dieser Dokumente aus vorliegenden echten Urkunden übernommen wurden. Dies gilt insbesondere leider auch für die Schlussprotokolle von No-no 4 und No-no 6, zumal das im Schlussprotokoll von No-no 5 enthaltene Datum, welches 1676 entspricht, nicht korrekt sein kann. Insofern scheiden alle diese Dokumente für die Darstellung der politischen Geschichte Spitis für die Zeit, in der sie angeblich ausgefertigt wurden, aus.
Hintergrund hierfür ist das für mich überraschende Ergebnis, dass eine wichtiger Teil der in der Urkundensammlung von no-no bSod-nams dbang-´dus aufgefundenen Herrscherurkunden nach den nachfolgend vorgelegten, sehr eingehenden Untersuchungen als Fälschungen zu bewerten sind. Diese Fälschungen attestierten den Vorstehern der Adelsfamilie von sKyid-gling eine besondere politische Vormachtstellung innerhalb der Gruppe der örtlichen, nicht von aussen (Ladakh) delegierten Amtsträger in der politischen Verwaltung von Spiti. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die obersten örtlichen Machthaber in Spiti die vom ladakhischen Königshof entsandten mKhar-dpon („Burgvogte“) waren, die in der Burg von Brag-mkhar residierten. In der Regel wurden zwei Personen mit dieser Amtsbezeichnung vom Königshof entsandt. dPal-le, der letzte mKhar-dpon von Spiti, wurde im Jahr 1840 vom König Kun-dga´ rnam-rgyal nach Spiti geschickt. Die Aufgabenbereiche dieser mKhar-dpon waren unter anderem die äussere Sicherheit, die Sicherstellung der Ablieferung von Abgaben an den Königshof und im Bereich der inneren Sicherheit die Rechtsprechung. Zur Erfüllung dieser Aufgaben bedienten sie sich natürlich örtlicher Verwal-tungsstrukturen, die wiederum hierarchisch organisiert waren.
Im Vertrag von Vaṃ-le (Gergan, S. 469) aus dem Jahr 1753 tritt als einer der Signatare eine Person mit dem Namen bSod-nams bstan-´dzin auf, dessen politische Stellung als spyi-ti rgan-mangs ´go-pa „Vorsteher der rGan(-pa) und des Volks von Spiti“ umschrieben wird. Bei dieser Person handelt es sich zweifelsfrei um einen Vorstand der Adelsfamilie von sKyid-gling. Luciano Petech und Yannick Laurent bezeichnen das Amt dieser Vorsteher der Adelsfamilie von sKyid-gling als „Governor“, wobei sie offenbar diesen Begriff als Interpretation von No-no bzw. Ga-ga als Amtsbezeichnung verstehen. Christian Jahoda spricht sogar von einem „office of the no-no.“
Lassen wir den heutigen Gebrauch dieser Titel und ihre eventuelle Verwendung während der britischen Kolonialzeit in Spiti ausser Acht, so ist für die Zeit vor 1842 festzustellen, dass no-no und ga-ga nichts weiter waren als die Beinamen von Adligen in Ladakh und Spiti, wobei mit no-no ein jüngerer und mit ga-ga ein älterer Adliger tituliert wurde. Insofern wechseln diese Bezeichnungen bei den Erwähnungen von ein und derselben Person in verschiedenen Dokumenten. Gleichwohl erscheint es mir unter Beachtung dieser Bemerkungen unbedenklich zu sein, im Folgenden generell die Vorstände dieses Adelshauses als „No-no von sKyid-gling“ zu bezeichnen, da sich diese Bezeichnung offenbar inzwischen in Spiti eingebürgert hat.
Die beiden ältesten, urkundlich erwähnten Vorstände des Adelshauses von sKyid-gling aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nämlich Kun-dga´ chos-´phel (~ ga-ga Chos-´phel ~ jo Phyos-phel ~ Chol-spel ~ Chom-spel ~ Chom-´phel) und der schon erwähnte bSod-nams bstan-´dzin werden als Destinatäre in mehreren echten Urkunden des Königs Nyi-ma rnam-rgyal erwähnt. Hiernach hatten beide das Amt eines rGya-pa inne, welches schon von ihren Vorfahren ausgeübt wurde. Welche Funktionen damit verbunden waren, habe ich anhand der vorliegenden Urkunden weiter unten (S. 94) beschrieben. Das Amt des rGya-pa war verbunden mit der Ge-währung von speziellem Landbesitz und der Freistellung von den als Khral bezeich-neten Steuern sowie von Transportdienstleistungen. Allerdings betraf diese Freistel-lung nicht die Bon-Abgaben.
Als der Deputy commissioner Philip Henry Egerton 1863 nach Spiti reiste, wurde er dort von (no-no ~ spyi-ti´i no-no ~ ga-ga) bsKal-bzang (~ Kulsung ~ sKal-bzang) empfangen. bsKal-bzang gehörte dem Adelshaus von sKyid-gling an und spielte, wie wir aus den Dokumenten der Jahre 1839 und 1840 entnehmen können, in Spiti in dieser Zeit eine herausragende politische Rolle. Seine Position in jener Zeit war zweifelsfrei mit der seines Vorfahrens aus dem 18. Jahrhundert bSod-nams bstan-´dzin vergleichbar. Als Egerton sich in Brag-mkhar aufhielt, erschien ein junger Mann aus dem sPrin-Tal namens Tshe-ring, der offenbar Ansprüche auf das Amt eines mKhar-dpon von Spiti erhob und diese mit einer ladakhischen Herrscherurkunde belegte, die in einem Me-spre-Jahr ausgefertigt worden war. Dieser junge Mann war offenkundig der Nachfahre von bsTan-´dzin chos-´phel, dem nach Hay (S. 449) im sPrin-Tal das Dorf Gu-gling als Jagir gehörte. Nehmen wir an, dass die vorgelegte Urkunde echt war und eine Amtsernennung durch den König von Ladakh beinhaltete, so kommt angesichts der politischen Unruhen in Ladakh zwischen 1834 und 1842 nur das Jahr 1776 als Ausfertigungszeitpunkt in Frage.
Nun ist es bemerkenswert, dass das wichtigste Privileg der vorliegenden gefälschten Herrscherurkunden die angebliche Ernennung der Vorstände der Adelsfamilie von sKyid-gling zum Vertreter (ngo-tshab) der mKhar-dpon von Spiti war. Diese Position wurde in keiner der vorliegenden echten Urkunden aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts erwähnt. Des Weiteren fällt auf, dass für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts und für die nachfolgende Zeit bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts keine Konfir-mationsurkunden vorliegen, die den Fortbestand der politischen Machtstellung der Vorstände der Adelsfamilie von sKyid-gling bestätigen. Dies ist insofern ungewöhnlich, als der Nachweis solcher Bestätigungen durch Urkunden bei einem Herrscherwechsel im gesamten tibetischen Hochland einschliesslich Ladakh wesentlich für den Fortbestand zugestandener Rechte war.
Für den Zeitraum zwischen 1800 und 1834 finden sich mehrere Urkunden, die drei Amtsträger erwähnen, die in die Gruppe der höchsten Amtsträger von Spiti einzuordnen sind. Der wichtigste von diesen ist no-no mKhan, der auch von Trebeck erwähnt wird. Er wird auch mit den Beinamen ga-ga und ngos-tshab ga-ga aufgeführt. Der letztgenannte Titel ngos-tshab (No-no 26) „Vertreter“, mit dem er im Jahr 1834 in dem Dokument No-no 26 neben dem mKhar-dpon namens Ra-yim khan genannt wird, belegt, dass er das Amt des Vertreters eines mKhar-dpon innehatte. Mit dem gleichen Titel (ngo-tshab) wird er als Entscheidungsträger in einem Rechtsentscheid aus dem Jahr 1820 (No-no 48) neben dem mKhar-dpon erwähnt. Dieser Rechtsentscheid wurde pikanter Weise zugunsten einer Person gefällt, die als Kyi-gling ga-ga Sa-pi (~ Sa-bhi) aufgeführt ist. Dies zeigt, dass no-no mKhan nicht aus dem Haus der Adligen von sKyid-gling stammte und letztere ihm offenbar untergeordnet waren.
Das Dokument No-no 48 belegt allerdings auch, dass die Adligen von sKyid-gling 1820 weiterhin die Vorrechte eines rGya-pa besassen und somit über besondere Eigentumsrechte und Steuerprivilegien verfügten. In einer Herrscherurkunde des Königs Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal aus dem Jahr 1819 tritt der gleiche Adlige mit der Bezeichnung Gyi-ling gi no-no Sa-bhi als Destinatär auf, dem bestimmte Eigentumsrechte an Landbesitz übertragen wurden. In der Publicatio dieser Urkunde werden neben den mKhar-dpon auch die pauschal genannt, die als Vertreter (ngo-tshab ´dug-mi) der mKhar-dpon fungierten. Auch dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass eben dieses Amt nicht von Vertretern der Familie aus sKyid-gling ausgeübt wurde. Übrigens hatte no-no mKhan nach den Darlegungen von Trebeck schon vor 1819 als „manager of the district“ Spiti fungiert.
Über die Herkunft von no-no mKhan gibt uns eine Herrscherurkunde des Königs Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal aus dem Jahr 1831 (No-no 28) Auskunft. In dieser Urkunde wird no-no mKhan als Destinatär mit dem Namen gu-ling gyi no-no mKhan aufgeführt. No-no mKhan stammte somit aus Gu-gling im sPrin-Tal. Er war der Vater des oben erwähnten bsTan-´dzin chos-´phel aus Gu-gling und der Grossvater von Tshe-ring, der gegenüber Egerton vergeblich versuchte, seine ererbte und durch eine ladakhische Herrscherurkunde belegte Stellung als Vertreter der mKhar-dpon von Spiti geltend zu machen. Übrigens gibt es noch eine Person, die am den Beginn des 19. Jahrhunderts als Vertreter der mKhar-dpon von Spiti fungierte. In einem Schreiben des Königs Tshe-dpal don-grub rnam-rgyal aus dem Jahr 1811 (No-no 17) wird in der Adresse ein mkhar-dpon ngo-tshab Bhai neben den „Ältesten“ (rgan) und sonstigen Führungskräften (´go-yod) aufgeführt. Ich gehe davon aus, dass der mkhar-dpon ngo-tshab Bhai der unmittelbare Vorgänger von ga-ga mKhan war und ebenfalls aus Gu-ling im sPrin-Tal stammte.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass offenkundig schon im Erde-Affe-Jahr 1776 die Vorstände der Adelsfamilie von sKyid-gling als „Vorsteher der rGan(-pa) und des Volks von Spiti“ entmachtet wurden und ihre Führungsrolle von den No-no aus dem im sPrin-Tal gelegenen Ort Gu-gling mit der Funktion von Vertretern (ngo-tshab) der mKhar-dpon übernommen worden ist. Nach 1834 war es dann no-no bsKal-bzang aus sKyid-gling der unter anderem mittels gefälschter Herrscherurkunden des Königs Nyi-ma rnam-rgyal die Führungsrolle als oberster Entscheidungsträger in Spiti für die Adelsfamilie aus sKyid-gling zurückgewinnen konnte. Wie wir aus zahlreichen Urkunden aus den Jahren 1839 und 1840 entnehmen können, wurde dieses Ziel der Entmachtung der No-no von Gu-ling spätestens 1839 erreicht.
Diese Führungsrolle in Spiti konnte von den No-no von sKyid-gling bis in die Zeit der englischen Kolonialherrschaft fortgeführt werden.
Es stellt sich an dieser Stelle abschliessend die Frage, ob insbesondere für die ge-fälschten Urkunden No-no 4, 5, 6, 12 und 13 teilweise echte Urkunden als Vorlagen gedient haben, die man für die gewünschten politischen Ziele umgestaltet hat. Ich halte dies sogar für wahrscheinlich. Insofern verweise ich auf meine Bemerkung, die weiter unten auf S. 100 zu lesen ist: „Es fällt auf, dass derjenige, der die Niederschrift dieser gefälschten Urkunde veranlasst hat, mit dem Wortlaut der Formeln ladakhischer Urkunde sehr gut vertraut war. Allerdings enthält der vorliegende Text eine Unzahl von mehr als ungewöhnlichen Schreibfehlern, so dass ich hieraus folgere, dass der Text in grosser Eile einem Schreiber mündlich diktiert worden ist, der die Orthographie des klassischen Tibetischen nicht einmal ansatzweise beherrschte und dessen Schriftkenntnisse inferior waren.“ Gleichwohl ist es mir unmöglich zu entscheiden, welche Teile dieser Dokumente aus vorliegenden echten Urkunden übernommen wurden. Dies gilt insbesondere leider auch für die Schlussprotokolle von No-no 4 und No-no 6, zumal das im Schlussprotokoll von No-no 5 enthaltene Datum, welches 1676 entspricht, nicht korrekt sein kann. Insofern scheiden alle diese Dokumente für die Darstellung der politischen Geschichte Spitis für die Zeit, in der sie angeblich ausgefertigt wurden, aus.
Meinungen aus der Lesejury
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