Cover-Bild Naturwissenschaften
Band 32 der Reihe "Essener Unikate / Berichte aus Forschung und Lehre"
7,50
inkl. MwSt
  • Verlag: Universität Duisburg - Essen SSC
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Ersterscheinung: 01.07.2008
  • ISBN: 9783934359321
  • Empfohlenes Alter: ab 15 Jahren
Dietrich von der Linde, Michael Horn-von Hoegen, Rolf Möller, Eckart Hasselbrink, Boris Krenzer, Marika Schleberger, Andreas Wucher, Hermann Nienhaus, Detlef Diesing, Peter Kratzer

Naturwissenschaften

Physik: Energieumwandlungen an Oberflächen
Oberflächen oder Grenzflächen kennt jeder. Man versteht darunter Flächen, die zwei verschiedene Stoffe oder Objekte voneinander trennen. So trennt beispielsweise eine Wasseroberfläche Wasser und Luft. Prozesse an Oberflächen spielen im Alltag eine wichtige Rolle. Ein silberner Löffel läuft an, weil bestimmte chemische Reaktionen stattfinden, wenn Luft und Silber an der Oberfläche dieses Gegenstandes aufeinander treffen. Auf ähnlichen chemisch-physikalischen Prozessen basieren Rost und Korrosion, die wir aus dem alltäglichen Leben und aus der Technik kennen. Geeignete präparierte und strukturierte Oberflächen können aber auch als Katalysatoren für bestimmte chemische Reaktionen dienen, die ohne ihre Hilfe nicht oder langsamer ablaufen. Man denke nur an die in der Automobiltechnik verwendeten Katalysatoren, die in den Abgasen enthaltene Schadstoffe in harmlose Substanzen umwandeln. Ein weiteres bekanntes Grenzflächen-Phänomen ist die mechanische Reibung. Natürlich stößt man nicht nur im technischen Bereich auf Oberflächenphänomene. So beruhen beispielsweise lebenswichtige Funktionen in lebenden Organismen auf Prozessen, die an den außerordentlich komplexen Ober- und Grenzflächen der Zellen stattfinden.
Von großer technischer und wirtschaftlicher Bedeutung sind Ober- und Grenzflächen in der Mikrostrukturtechnik, insbesondere in der Halbleiterindustrie. Die Erfordernisse der Mikroelektronik haben an der Entwicklung von Methoden zur Präparation und Untersuchung exakt definierter Oberflächen einen entscheidenden Anteil gehabt. Da die Eigenschaften von Oberflächen schon durch äußerst geringe Verunreinigungen erheblich verändert werden können, ist Reinheit außerordentlich wichtig.Die Oberflächenforschung hat daher einen stürmischen Auftrieb erfahren, nachdem in den sechziger Jahren die so genannte Ultra-Hochvakuum-Technik entwickelt worden war. Um zu verhindern, dass sich aus der Umgebung Atome und Moleküle auf der Oberfläche absetzen und diese dadurch in unkontrollierter Weise verändern, müssen nämlich die Präparation und die Untersuchung von Oberflächen in einem Vakuumgefäß stattfinden. Man spricht von einem Ultra-Hochvakuum (UHV), wenn die Konzentration der in dem Gefäß noch verbliebenen Atome und Moleküle so gering ist, dass die Zahl der unerwünschten Teilchen, die auf der Oberfläche landen, vernachlässigt werden kann. Heute ist die Entwicklung so weit fortgeschritten, dass Oberflächen auf atomarer Skala kontrollierbar sind, das heißt man kann den atomaren Aufbau der Oberfläche bildlich erfassen, und es gelingt sogar, einzelne Atome zu manipulieren. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen worden, physikalische und chemische Prozesse an Oberflächen unter wohl definierten Bedingungen zu studieren: Man kennt ganz genau die Komposition und die Struktur der Oberfläche, mit der man es zu tun hat.
Charakteristisch für die Oberflächenforschung ist das enge Zusammenwirken von Physik und Chemie, die hier untrennbar miteinander verbunden sind. Der Lebensweg und das wissenschaftliche Werk des Nobelpreisträgers Gerhard Ertl bezeugen beispielhaft und eindrucksvoll diese enge Verbindung. Nach dem Studium der Physik hat Ertl in physikalischer Chemie promoviert und im Jahre 2007 den Nobelpreis für Chemie erhalten, „for his studies of chemical processes on solid surfaces“.
Für das Verständnis der an der Oberfläche ablaufenden Prozesse und der Funktionalität bestimmter Oberflächenstrukturen ist die Energie von entscheidender Bedeutung. Energie kann einer Oberfläche in sehr verschiedener Form zugeführt werden: als kinetische Energie durch aufprallende Teilchen, als Strahlungsenergie durch Licht, als chemische Energie durch Reaktionen von Teilchen mit der Oberfläche, um nur einige zu nennen. Es gibt sehr viele Möglichkeiten der Umwandlungen einer Form von Energie in eine andere. Beispielsweise können die Elektronen des Materials angeregt werden, wofür es eine große Auswahl verschiedener, möglicher elektronischer Energiezustände gibt. Die angeregten Elektronen können wiederum ihre Energie an die atomaren Bausteine des Materials abgeben. Dabei werden Atome zum Schwingen gebracht und mechanische oder auch andere Arten von Wellen im Material angeregt. Schließlich endet die Umverteilung der Energie, wenn sich das Wärmegleichgewicht eingestellt hat, das heißt, wenn das Material die Temperatur der Umgebung angenommen hat. Diesen gesamten Komplex von Energieumwandlungen bezeichnet man als Energiedissipation.
Die Energiedissipation an Oberflächen ist das gemeinsame Forschungsthema, mit dem sich viele physikalische und chemische Arbeitsgruppen an unserer Universität beschäftigen. Dies ist auch der Titel des im Jahre 2002 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Fachbereich Physik der damaligen Universität Essen eingerichteten Sonderforschungsbereichs (SFB). Sonderforschungsbereiche gelten als hervorragende Qualitätsausweise der Forschung einer Fachdisziplin und einer Hochschule. Sie werden nach einem strengen Begutachtungsverfahren bewilligt und danach einer regelmäßigen Evaluation durch externe Gutachter unterworfen. Es ist ein großer Erfolg, dass unser SFB vom Senat der DFG genehmigt worden ist, obwohl mit der Fusion der Fachbereich Physik von Essen nach Duisburg verlagert werden sollte. Im Jahre 2005, nach der ersten erfolgreichen Begutachtung der Forschungsergebnisse unseres SFBs, mussten dann die Labors voller außerordentlich komplizierter Apparaturen in Essen abgebaut und in Duisburg wieder neu aufgebaut werden.
Die Ausgabe 32 der UNIKATE versucht, Ihnen einen Eindruck von der Thematik und der wissenschaftlichen Arbeit des Sonderforschungsbereichs Energiedissipation an Oberflächen (SFB 616) zu geben. Die neun Beiträge zeigen interessante Facetten aus dem breiten Spektrum der Projekte unseres SFBs und bieten einen Einblick in die verschiedenen Ansätze und Methoden, derer wir uns bedienen. Die Autoren haben sich bemüht, ihre Beiträge so abzufassen, dass sie weitgehend allgemeinverständlich sind. Ich hoffe, dass wir diesem Ziel nahe gekommen sind.

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