Haarmann ist nicht das wahre Kernthema und leider viel zu fiktiv
„Warte, warte nur ein Weilchen,
bald kommt Haarmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen,
macht er Hackefleisch aus dir.“
Dieses Lied sangen wir Kinder früher immer und ich muss sagen, dass es mir ...
„Warte, warte nur ein Weilchen,
bald kommt Haarmann auch zu dir,
mit dem kleinen Hackebeilchen,
macht er Hackefleisch aus dir.“
Dieses Lied sangen wir Kinder früher immer und ich muss sagen, dass es mir damals schon angst gemacht hatte. Ich tröstete mich mit dem Wissen, dass Haarmann ja nur junge Männer bevorzugt hatte, statt kleine Mädchen. Umso mehr war ich jetzt auf diesen Kriminalroman gespannt.
Ehrlicherweise hatte ich zu Beginn so meine Probleme mit dem Buch und es wurde auch im Verlauf nur unwesentlich besser. Wörtliche Rede gab es da gar nicht, Gespräche wurden indirekt geschrieben. Das empfand ich als merkwürdig und es störte mich beim Lesen extrem. Manchmal waren die Sätze wie in einem Staccato gehalten, sodass sich alles irgendwie abgehackt anfühlte und mir dadurch ein angenehmer Lesestrom verwehrt blieb.
Interessant war der Aufbau des Buches. Der personale Erzähler führte durch dieses Buch, jedoch wechselte zum Anfang und am Ende eines jeden Kapitels die Perspektive. Als Erstes durfte ich immer einem potenziellen Opfer kurz über die Schulter schauen. Im Mittelteil begleitete ich ausschließlich den Ermittler Robert Lahnstein und am Ende gewährte mir der Mörder Haarmann einen Blick auf seine Sicht der Ereignisse. Allerdings muss ich sagen, dass die langen Kapitel extrem ermüdend für mich waren. Und da komme ich gleich zum Punkt mit der Spannung. Wahnsinn, wie quälend lang sich eine beschriebene Seite anfühlen kann, wenn diese fehlt. Wirklich mitgerissen haben mich nur die Perspektivwechsel zu Beginn und am Ende eines jeden Kapitels. Ansonsten musste ich mich durch Lahnsteins Albträume und reichlich schleppende Ermittlungen kämpfen, die auch noch voll am Thema „Haarmann“ vorbeigetorkelt sind.
Generell ging mir die Figur Robert Lahnstein stellenweise mit Rückblicken in seine Vergangenheit auf die Nerven. Das Problem daran war gar nicht mal so sehr, dass ich Einblicke in sein Gefühlsleben und seine Entwicklung als Charakter begleiten durfte, sondern das mir der Autor immer nur Bröckchen vorwarf. Ständig riss mich der Erzähler mit seinen Rückblenden aus dem Lesefluss, weil ich mich wieder mit Lahnstein und seinen düsteren Gedanken befassen musste und stellenweise gar nicht begriff, was sein eigentliches Problem gewesen ist. Erst viel später habe ich einige Zusammenhänge verstanden, aber ganz ehrlich, ich habe absolut keine Ahnung, was das in einem Buch über den Serienmörder Fritz Haarmann zu suchen hatte.
In Ordnung, ich möchte dem Autor hier gerne zugutehalten, dass er damit einen Einblick in die Zeit rund um die neunzehnhundert Zwanzigerjahre gewährte. Er fächerte die damalige politische Situation und auch die unterschiedlichen Denkweisen der Menschen vielfältig auf. Das war schon interessant zu lesen, wenn gleich es mich massiv störte, dass manche Begriffe einfach erst viele Seiten später erklärt wurden. Hier muss der Leser extrem viel Wissen zu der damaligen Zeit haben, um gleich alles verstehen zu können. Oder aber er muss, wie ich, alles nachschlagen.
Dies hier ist ein Roman, somit war mir von vornherein klar, dass hier ein guter Anteil an Fiktion enthalten sein würde. Aber ich muss sagen, dass ich von der Umsetzung total enttäuscht gewesen bin. Der Ermittler war rein fiktiv, damit gab es auch keine authentischen Ermittlungen. Ja, es gab stellenweise Auszüge aus realen Gutachten und Urteilen, aber das war im Verhältnis zum groß angekündigten Haarmann – Fall echt mau.
Vielleicht wäre ich nicht so enttäuscht gewesen, wenn das Buch einen anderen Titel gehabt hätte. Dann wäre ich, trotz des anstrengenden Schreibstils, wohl begeistert von der Intensität der Darstellung der damaligen Verhältnisse gewesen. Dirk Kurbjuweit verstand es tatsächlich mir die 1920er Jahre bildlich vor Augen zu führen und auch geschichtsrelevante Details einfließen zu lassen. Und das war in der Tat interessant, wenn auch schwer verdaulich.
Aber mit dem Titel „Haarmann“ habe ich einen authentischen Kriminalroman über den bekannten Serienmörder erwartet und nicht einen fiktiven Ermittler der mehr Probleme hatte als eine Taube Federn.
Fazit:
Wer sich frei davon machen kann, dass Fritz Haarmann überhaupt nicht das Hauptthema ist, wird als geschichtsinteressierter Leser mit Sicherheit seine Freude an dem Buch haben können. Mir persönlich hat es gar nicht gefallen, da hier einfach mit falschen Erwartungen gelockt worden ist.