Ein stilles und gleichzeitig wortgewandtes, erschütterndes und sehr berührendes Buch!
Wer mir schon eine Weile folgt, der weiß bereits, dass mir das Thema „Mutismus“ ganz besonders am Herzen liegt. Und so habe ich mich sehr gefreut, ein Jugendbuch zu diesem Thema zu entdecken. Denn diese ...
Wer mir schon eine Weile folgt, der weiß bereits, dass mir das Thema „Mutismus“ ganz besonders am Herzen liegt. Und so habe ich mich sehr gefreut, ein Jugendbuch zu diesem Thema zu entdecken. Denn diese sind noch nicht so zahlreich, würde ich sagen. Zumindest habe ich bisher immer eher Kinderbücher zu der Thematik gefunden. "Still!" von Dirk Pope hat mich regelrecht umgehauen. Die Protagonistin Mariella entscheidet sich dazu, zu schweigen. Was dies alles nach sich zieht und wie wenig unsere Gesellschaft damit umgehen kann, zeigt der Autor überdeutlich auf. Ich war zu Tränen gerührt.
Der Autor:
Dirk Pope (geboren 1969) arbeitete lange Zeit in der Werbebranche bevor er sich doch noch entschloss, sein Referendariat nachzuholen. Seit 2010 arbeitet er nun als Deutsch- und Sportlehrer. Sein Debütroman war "Idiotensicher" (2015) darauf folgte "Abgefahren" (2018). Nun kam sein Jugendroman "Still!" (2020). Dirk Pope lebt mit seiner Familie in Frankfurt am Main.
Inhalt:
„Mariella redet nicht, nicht mit der Mutter, dem Vater, nicht mit den Goldfischen, den Lehrern oder Mitschülern. Weil ihre Eltern sich getrennt haben. Weil niemand sie verstehen will. Und weil ohnehin zu viel geredet wird. Je lauter es um sie herum wird, desto leiser wird sie. Mariellas Stille irritiert und fordert heraus. Keiner darf einfach so anders sein. Zum Glück ist da Stan, der gehörlos ist und Mariella akzeptiert, so wie sie ist. Gemeinsam mit ihm findet Mariella zu einer eigenen Sprache, für die andere kein Verständnis haben. Bis alles eskaliert.“ (Klappentext)
Kritik und Fazit:
Das Cover hat mich sofort angesprochen, obwohl ich sonst kein Fan von echten Gesichtern auf Covern bin. Hier sehen wir ein Mädchen, welches sich den Finger vor die Lippen hält und somit ganz klar signalisiert, dass sie Stille haben möchte. Der Titel "Still!" der darunter steht, verdeutlicht das nochmals. Der Hintergrund ist fantasievoll gestaltet. Er zeigt eine gewisse Ordnung und Struktur (die eigentlich nicht zur Hauptprotagonistin passt) und was es mit den Fischen auf sich hat, wird man auch im Laufe der Geschichte noch erfahren. Das Farbkonzept ist sehr stimmig und einzelne, abweichende Farbakzente erregen das Interesse an dem Buch. In einer Buchhandlung hätte ich definitiv sofort danach gegriffen.
Dirk Pope hat einen sehr poetischen Sprachstil. Zumindest ist die beschriebene Gedankenwelt der Hauptprotagonistin Mariella sehr phantasievoll und wortreich. Ich empfand sofort eine starke Sympathie für diese junge Frau, die mit ihrer neuen Lebenssituation zurecht kommen muss und die den einzigen Weg, sieht, sich in die Stille zu flüchten und somit eine Barriere zwischen sich und ihre Außenwelt zu schaffen.
Das Buch mit seinen 192 Seite ist recht schlank und auch in kurzer Zeit gelesen. Dabei hat Mariella so viel zu sagen, dass man zusätzlich gar nicht bemerkt, wie die Seiten dahinfliegen. Mariella stößt mit ihrem Schweigen einige Menschen vor den Kopf. Ihre Mitschüler und erschreckender Weise auch ihre Lehrer und Eltern sind nicht in der Lage sie so zu akzeptieren, wie sie ist. Auch kommen sie nicht auf die Idee, ihr Hilfe anzubieten oder dem Ursprung ihres Schweigens auf den Grund zu gehen. Das hat mich außerordentlich erschüttert. Nur wenige Menschen sind in der Lage, ein Stück weit auf Mariella zuzugehen oder gegen das Mobbing in der Schule anzugehen. Da gibt es ein weiteres stilles Mädchen in der Klasse, doch da Mariella noch stiller und zurückgezogener ist, fällt sie weniger auf. Ein Lehrer, der selbst nicht der stärkste Typ Mensch ist, versucht mit einer Aufgabe die Kinder untereinander aufmerksam für ihr Fehlverhalten zu machen, scheitert daran aber, da er die Sache nicht weiter verfolgt. Da ich selbst Mutter einer Tochter bin, war ich absolut entsetzt über die übergriffige Art vieler Schüler und Lehrer und konnte es absolut nicht verstehen, wieso die Eltern dem Mädchen nicht zur Hilfe kommen.
Die Lage spitzt sich also immer mehr und mehr zu und nur Stan ist für Mariella ein Lichtblick, ein Ausweg, eine Möglichkeit sie selbst zu sein. Doch auch diese Beziehung ist nicht leicht zu führen, denn den beiden werden Steine in den Weg geworfen. Am Ende des Buches saß ich weinend da. Konnte nicht verstehen, wie es so viele schreckliche Menschen geben kann und wieso so wenige Menschen etwas gegen diese offensichtlichen Missstände tun. Ich kann nur hoffen, dass mein Kind nie in solch eine Situation kommen wird.
"Still!" ist ein Appell an alle, die zu viel reden, zu wenig zuhören und wegsehen, wenn andere Menschen Hilfe brauchen. Es rüttelt auf, es entsetzt und es macht sprachlos. Und dennoch ist da diese wunderbare Beziehung zwischen Stan und Mariella, die auf so viel Humor basiert. Mariella ist ein solch sprachgewandtes Mädchen, mit vielen Ideen und so vielen Gedanken, die es wert sind, geteilt zu werden. Also kauft euch das Buch, lest es und erkennt, dass auch ein stiller Mensch etwas ganz besonderes ist und dass ein ruhiger Moment viel mehr bedeutet, als all das Reden, nur um etwas gesagt zu haben.