Wunderbar köstlicher Lesegenuss
Als Unterprimanerin habe ich auf die Frage „Was ist der Sinn des Lebens?“ mit „nach dem Sinn des Lebens zu suchen“ geantwortet. Das hatte ich vorher irgendwo gelesen und war stolz darüber einen so sinnvollen ...
Als Unterprimanerin habe ich auf die Frage „Was ist der Sinn des Lebens?“ mit „nach dem Sinn des Lebens zu suchen“ geantwortet. Das hatte ich vorher irgendwo gelesen und war stolz darüber einen so sinnvollen Beitrag zum Unterricht geleistet zu haben. Dass die Antwort auf die Frage sich denn doch nicht ganz so einfach und pauschal abtun lässt, zeigt Emma Braslavsky mit ihrem Roman „Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen“. Ihre Protagonisten sind auf der Suche nach dem Lebenssinn, nach einer besseren Welt und nach sich selbst. Tiere sind nicht nur im Titel enthalten, sondern finden in vielfältiger Form Eingang in diesen Roman, beispielsweise als Kosewort, verkleideten Akteuren, Redewendungen oder auch wenn einer der Protagonist eine Annäherung zwischen Tier und Mensch durch die Nutzung von aufblasbaren Einhorn-Hörnern vorschlägt, die so wie die Installation auf dem Cover sie trägt, überzustülpen sind.
In mehreren Erzählsträngen, die mehr oder weniger zufällig am Ende zusammenlaufen, finden sich Suchende jeglicher Couleur. Da ist einerseits ein in Berlin lebendes Pärchen. Jivan Haffner Fernandez, Mitte 40, kommt aus reichem Haus und muss sich schon wegen seines Erbes keine Sorgen um seine finanzielle Zukunft machen, wäre da nicht die eine einzige klitzekleine Bedingung die sein Vater daran geknüpft hat. Woher die Familie vor langer Zeit das Fundament zum heutigen Vermögen erworben hat, will man als Leser lieber nicht so genau wissen. Leider hält Jivan sich nicht nur selbst für unwiderstehlich, sondern auch das Online-Pokerspiel. Durch seinen Beruf als Bunkerarchitekt ist er nicht eben ausgelastet und hat so jede Menge Zeit mit seinen Ideen seine Frau Jo dabei zu unterstützen, auf der Karriereleiter bei einem Unternehmen, das sich für eine bessere Umwelt einsetzt, hochzuklettern. Jo lebt sehr gut auf Kosten ihres Mannes. Die Beziehung der beiden funktioniert fast nur noch auf sexueller Ebene. Um ihre Ansprüche durchzusetzen, geizt Jo selten mit ihren Reizen. Doch die Verfolgung ihrer Karriere verbunden mit dem festen Willen die Welt zu verbessern neigt ihre Seite der Beziehungswaage immer mehr.
Andererseits befindet sich die erst 19 Jahre alte Spanierin Roana auf einer väterlich verordneten Suche. In der Einsamkeit einer Vulkanlandschaft Argentiniens soll in ihr der Wunsch entstehen, in das Bauunternehmen ihres Vaters einzusteigen. Niemand kann es ihr verdenken, dass sie sich aus Langeweile stattdessen nach Buenos Aires begibt, um dort den Weg zu finden, der sie zu höherem bestimmt. Auf diesem Weg begegnet sie menschlichen Gorillas, Kabbalisten und den Schriften von Borges. Ihrem jugendlichen Alter sei es geschuldet, dass sie ihr Fähnchen hauptsächlich danach ausrichtet, wer ihr einen Schlafplatz und Essen gibt.
Die Erzählung springt zwischen diesen beiden Handlungen und wird unterbrochen durch aktuelle Neuigkeiten aus aller Welt, die auf dem Blog N-Global bekannt gemacht werden und sich schließlich immer mehr auf eine neue, aus dem Meer aufgestiegene Insel mit vermuteten, beachtlichen Rohstoffvorkommen konzentrieren, die Staaten und Organisationen gerne für sich requirieren würden. Immer wieder begegnet der Leser auch Noah Hoffmann, der gemeinsam mit seiner Freundin Jule aus dem Alltag ausgestiegen ist und nun sein Leben in einer paradiesischen Bucht frönt, auch wenn schon mal ein Schatten darüber fällt. Und dann gibt es noch ein paar Kapitel in denen man sich beim Lesen einfach dem niedergeschriebenen Gedankengang hingeben kann wenn beispielsweise ein Haar auf seine Reise geht.
Die Autorin glänzt in diesem Roman mit lebendigen Ideen, humorvoll und kurios. In einer geschliffenen Sprache gibt sie dem Leser Denkanstöße zu Umweltschutz, Weltanschauungen, alternativen Lebensweisen und vielem mehr. In den Erzählabschnitten mit Jivan als Protagonisten übernimmt ein allwissender Erzähler die Schilderung der Ereignisse in zeitlicher Reihenfolge. Dennoch liest man, durch kursive Schrift hervorgehoben, die Gedanken Jivans, oft auch als seine Reaktion auf den vorigen Text. Auf diese Weise rechtfertigt er häufig sein Tun, manchmal fühlt man aber auch seinen Kampf mit den inneren Dämonen, die aus seiner Erziehung heraus seinen Charakter geformt haben und gegen die er nun nicht anzukommen weiß, auch wenn er das auch eigentlich gar nicht will.
Roana dagegen erzählt in der Ich-Form, wodurch der Leser, den sie als ihren Verbündeten anspricht, ihrer Gedanken- und Gefühlswelt sehr nahe kommt. Sie erzählt aus der Gegenwart heraus im Rückblick auf die letzten Wochen und Monate. Sie ist also bereits da, wo der Leser erst am Ende des Buchs sein wird. Ihr Ziel ist es, sich den Respekt ihres Vaters zu verdienen. Sie trägt ihr Herz auf der Zunge und spricht eine unter jungen Leuten übliche Alltagssprache. Bewundernswert fand ich ihren Mut sich gegen die Wünsche ihres Vaters aufzulehnen, sich tief sinken zu lassen, das Gemeinwohl zu schätzen und sich in dessen Dienst zu stellen, wenn auch nicht uneigennützig. Von Beginn an weiß man, dass sie schwanger ist und nicht nur der Leser stellt sich die Frage nach dem Vater.
Emma Braslavsky zielt mit kleinen wohl dosierten Spitzen gegen Weltverbesserer, Sinnsuchende, Forscher und Politiker. Es ist spannend nachzuvollziehen, inwieweit die von ihr genannten Entwicklungen auf verschiedenen Gebieten dem tatsächlichen heutigen und dem zukünftig möglichem Stand der Dinge entsprechen. Welchen Weg der Einzelne gehen möchte, muss letztendlich jeder selbst bestimmen.
„Leben ist keine Art mit einem Tier umzugehen“ ist ein amüsanter, kreativer, abenteuerlicher, wunderbar köstlicher Lesegenuss, dem ich meine besten Empfehlungen gebe.