Achterbahnbahrt der Gefühle
𝕎𝕒𝕤 𝕨𝕖𝕟𝕟 𝕨𝕚𝕣 𝕘𝕖𝕟𝕦𝕘 𝕤𝕚𝕟𝕕
Was für eine Achterbahnbahrt der Emotionen 🙈 Ich empfehle bei diesem Roman UNBEDINGT die Triggerwarnung zu lesen, weil es sehr sehr authentisch und echt geschrieben ist, aufwühlend, ...
𝕎𝕒𝕤 𝕨𝕖𝕟𝕟 𝕨𝕚𝕣 𝕘𝕖𝕟𝕦𝕘 𝕤𝕚𝕟𝕕
Was für eine Achterbahnbahrt der Emotionen 🙈 Ich empfehle bei diesem Roman UNBEDINGT die Triggerwarnung zu lesen, weil es sehr sehr authentisch und echt geschrieben ist, aufwühlend, tiefgreifend und hart. Ein Buch, das nicht nur nach Beenden der Lektüre, sondern mit jeder einzelnen Seite seine tief hängen bleibt und mitnimmt. Wow! Das liegt daran, dass es sich u.a. um einen Own Voice Text handelt, da die Autorin wie die Protagonistin an einer Angststörung leidet.
Die einzelnen Figuren haben mir wahnsinnig gut gefallen, sie waren schlüssig ausgearbeitet, authentisch und man konnte bis zum Schluss mit ihnen fühlen.
Lily leidet unter dem Leistungsdruck von Schule, College und Familie. Ihr Vater meint es liebevoll, wenn er ihr sagt, wie stolz er auf sie ist, seine perfekte Tochter. Bei Lily erzielt dies jedoch das Gegenteil, denn nun setzt sie alles daran, dieses perfekte Mädchen zu sein.
Der Sportlehrer drillt sie, sich um Zehntelsekunden zu verbessern, anderenfalls würde sie vom Team ausgeschlossen und hätte keine Chance auf den Sieg zur Meisterschaft. Doch je größer der Druck, desto mehr verschlechtern sich ihre Leistungen. Während uns in Deutschland die Sportnoten in der Regel nicht wirklich interessieren (mich jedenfalls nicht) bzw. schlicht als Nebenfach gilt, benötigt man in den USA zahllose solcher Aktivitäten, um die Chance für das College zu erhöhen. Das dort wiederum unfassbar teuer ist und Lily möchte ihren Vater nicht finanziell belasten, da dieser bereits alle Hände damit zu tun hat, die Kosten für die psychiatrische Behandlung von Lily Schwester Alice zu bezahlen.
Dass Lily eine einzige Chance, ein Kunstprojekt, bleibt, um ein wichtiges Stipendium zu bekommen und sie zudem unter der Bipolarität ihrer Schwester leidet, die nach ihrem Klinikaufenthalt zurückkommt, mündet schließlich in selbstverletzendes Verhalten.
Neulich habe ich in einer Doku über Leistungsdruck in Schulen (den es laut unserem Bildungsminister nicht gibt xD) gehört, dass sich aktuell jede/r 5. Schüler/in selbst verletzt. Ich würde mal sagen, dass sagt alles über unser Schulsystem...
Bei dem Kunstprojekt jedenfalls lernt Lily Micah kennen, der mit Alice wegen Depressionen in der Klinik war. Zunächst geht sie ihm aus dem Weg, weil sie Angst hat, dass jmd von ihrer Schwester erfährt, plötzlich aber scheint er der Einzige, der sie versteht. Sie verliebt sich in ihn.
Für mich war die subtile Liebesgeschichte gar nicht 100% eine solche, sondern eher eine gegenseitige Rettungsmission als forever&always. Irgendwie habe ich beiden jemand "Stabiles" gewünscht, damit sie sich nicht gegenseitig tiefer und tiefer in die Dunkelheit ziehen. Rausgeholt haben sie sich teilweise, vor allem ging es jedoch darum, sich zu der anderen Person ins Dunkle zu setzen und deren Hand zu nehmen. Es war total berührend und ergreifend und ich hatte die eine oder andere Träne im Auge.
Micah ist ein sehr sehr starker Protagonist, der durch den frühen Suizid des Vaters litt und dessen Depressionen teilt. Die Mitschüler hänseln ihn massiv wegen seines Klinkaufenthalts und schicken ihm sogar Tabletten, um die Schule von dem "Psycho" zu befreien. Das Mobbing war so schrecklich, dass es mir in jeder Zelle weh getan hat. Micah war quasi gezwungen, dem Ganzen stillschweigend standzuhalten, weil er wegen einer Schlägerei auf seiner alten Schule die Suspendierung fürchten musste. Auch die Lehrer und Eltern hatten Vorurteile, er war von vorne herein der Sündenbock und hatte eigentlich gar keine Chance. Er war die Krankheit, der Klinikaufenthalt, die Schlägerei, ein Stempel, nicht Micah. Außer eben bei Lily, die ihn, seine Kunst und seine besondere Sicht auf die Welt lieben lernte.
Auch in der Kunst harmonierten sie wundervoll, er mit seinen atemberaubenden Zeichnungen, sie mit ihren hochemotionalen, ehrlichen Gedichten, die mitten ins Herz gingen und die sie sich laut auszusprechen nicht traute, um nicht ebenfalls einen Stempel aufgedrückt zu bekommen. Generell traute sich niemand, seine Gefühle, Denken und auch seinen Schmerz und seine Ängste offen zu teilen - bis die beiden ihr ganz besonderes, anonymes Kunstprojekt in die Welt riefen, indem sie auf dem ganzen Schulgelände den MitschülerInnen die Möglichkeit gaben, sich schriftlich auszudrücken, wodurch ein ungemeiner Support entstand und endlich jeder loswerden konnte, was er auf dem Herzen trug. Das machte das Buch zu etwas ganz Besonderem und war einfach nur wunderwunderschön, wenn auch erschreckend, worunter die Einzelnen stillschweigend leiden (müssen). Am liebsten hätte ich jeden fest in den Arm genommen und gesagt, nach der Schulzeit wird alles besser, du wirst schon sehen 💗
Es waren Worte, die in dieser oder ähnlicher Form sicher jeder von uns im Laufe seines Lebens schon einmal gehört hat, Worte die oftmals ein Leben lang festsitzen und von Klein auf prägen, Worte die wahnsinnig viel mit einem machen, bis man realisiert, dass man sich selbst seinen eigenen Wert geben darf und die der Gesellschaft absolut keine Bedeutung haben - Worte wie
𝒈𝒆𝒉 𝒂𝒖𝒇𝒔 𝒄𝒐𝒍𝒍𝒆𝒈𝒆
𝒃𝒆𝒔𝒕𝒆𝒉 𝒅𝒆𝒏 𝒕𝒆𝒔𝒕
𝒌𝒐𝒎𝒎 𝒎𝒂𝒍 𝒌𝒍𝒂𝒓
𝒗𝒆𝒓𝒔𝒂𝒖 𝒆𝒔 𝒏𝒊𝒄𝒉𝒕
𝒘𝒂𝒓𝒖𝒎 𝒃𝒊𝒔𝒕 𝒅𝒖 𝒔𝒐?
𝒔𝒕𝒓𝒆𝒏𝒈 𝒅𝒊𝒄𝒉 𝒎𝒆𝒉𝒓 𝒂𝒏
𝑺𝒆𝒊 𝒋𝒆𝒎𝒂𝒏𝒅 𝒂𝒏𝒅𝒆𝒓𝒔
𝑱𝒆𝒎𝒂𝒏𝒅 𝑩𝒆𝒔𝒔𝒆𝒓𝒆𝒔
𝑱𝒆𝒎𝒂𝒏𝒅 𝒅𝒆𝒓
𝑵𝒊𝒄𝒉𝒕
𝑲𝒐𝒎𝒑𝒍𝒆𝒕𝒕
𝑽𝒆𝒓𝒌𝒆𝒉𝒓𝒕
𝑰𝒔𝒕
𝒔𝒆𝒊 𝒎𝒖𝒕𝒊𝒈
𝒔𝒆𝒊 𝒌𝒍𝒖𝒈
𝒔𝒆𝒊 𝒘𝒖𝒏𝒅𝒆𝒓𝒔𝒄𝒉𝒐𝒆𝒏
𝒔𝒆𝒊
𝒅𝒊𝒆
𝑩𝒆𝒔𝒕𝒆
Im Endeffekt - sei alles außer du selbst.
Dahingehend öffnet dieses Jugendbuch wirklich nochmal enorm die Augen.
Durch Alice hat man das Ausmaß einer bipolaren Störung erlebt, die dazu führte, dass Lily sie mit aufgeschnittenen Armen am Badezimmerboden fand, wodurch ihre Depressionen erst begannen und sie sich fragen musste, ob sie an derselben Krankheit leidet wie ihre Schwester. Diese Parts waren besonders heftig und anschaulich, Lilys Überforderung und Wut waren absolut nachvollziehbar, zumal sie sich ein Zimmer mit Alice teilte, die entweder hoch enthusiastisch die ganze Nacht lang herumwerkelte oder sich tagelang unter der Bettdecke verkroch. Was Krankheiten innerhalb der Familie mit einem Schüler oder einer Schülerin machen, sieht natürlich niemand, es zählen nur die abfallenden Noten, denn was einem zuhause abverlangt wird, wird nicht in Zahlen bemessen.
Sowohl die Klassenkameraden als auch die Eltern und Lehrer waren sehr individuell gestaltet, wirkliche Charaktere und keine bloßen Funktionen, es war sehr sehr gut ausgearbeitet, wirklich als wäre die ganze Geschichte genau so passiert. Hut ab!
Der Schreibstil ist flüssig, die Kapitel haben eine angenehme länge und die Gedichte runden das Ganze hochemotional ab. Toll fand ich auch das von der Autorin gewählte Stilmittel, manche Sätze durchzustreichen, nämlich die, die Lily denkt, aber nicht ausspricht, das hat einfach soo gut gepasst und nochmal verdeutlicht, dass wir offener über unsere Gedanken und Gefühle reden sollen und Freunden und Familie die Chance geben, uns aufzufangen statt sie wegzustoßen.
Am Ende des Buches finden wir eine längere Anmerkung der Autorin zum Thema Angststörungen wie auch Telefonnummern für alldiejenigen, die stark belastet werden durch all die unausgespeochenen Worte, die sie mit sich herumschleppen.
Von mir gibt es eine Leseempfehlung im Mental Health Bereich mit 5+⭐