Lässt mich etwas zwiegespalten zurück
Charlotte Brandon entstammt einer Mesalliance, ihre Mutter hat nicht standesgemäß geheiratet und wurde deshalb von ihrer Familie verstoßen. Charlotte wird früh zur Waise, doch ihr Onkel, Lord Millford, ...
Charlotte Brandon entstammt einer Mesalliance, ihre Mutter hat nicht standesgemäß geheiratet und wurde deshalb von ihrer Familie verstoßen. Charlotte wird früh zur Waise, doch ihr Onkel, Lord Millford, sorgt für eine gute Erziehung in einem Mädchenpensionat. Nach deren Beendigung geht Charlotte davon aus, dass sie ihr Leben als Lehrerin oder Gouvernante weiterführen wird und ist sehr erstaunt, eine Einladung ihres Onkel zu bekommen, der, selbst ohne Kinder, sie schließlich sogar adoptieren möchte, um sein Erbe zu sichern. Dazu ist auch eine vorteilhafte Verheiratung nötig, wodurch Charlotte vor eine große Herausforderung gestellt wird.
Der Roman spielt im Regency, das auch die Zeit Jane Austens war, in deren Tradition die Autorin, wie sie selbst schreibt, diesen Roman geschrieben hat, allerdings deutlich gesellschaftskritischer, vor allem, was die Rolle der Frau angeht. Sprachlich hat die Autorin ihren Roman an die Zeit angepasst und auch die historischen und gesellschaftlichen Hintergründe sind gut getroffen. Viele Fußnoten geben Erklärungen zu allen möglichen Aspekten, historischen Persönlichkeiten und Errungenschaften, Kleidung und vieles mehr. Auch die historischen Anmerkungen im Anschluss an den Roman sind sehr informativ, darin geht die Autorin ausführlich auf verschiedene Aspekte des Regency, die sich auch in diesem Roman niederschlagen, ein.
Trotzdem lässt mich der Roman zwiegespalten zurück, und das liegt vor allem an der Geschichte selbst und zum Teil auch an den Charakteren. Die gesellschaftlichen Zwänge, denen die Menschen, vor allem die Frauen, jener Zeit ausgesetzt waren, sind schon schlimm genug, aber Charlotte ist auch noch mit zwei sehr unangenehmen Mitmenschen geschlagen, die mir einfach zu schwarz gezeichnet werden. Ich mag Antagonisten lieber, die eine gewisse Ambivalenz ausstrahlen, weniger Klischees sind. Das ist der Autorin in ihren späteren Romanen besser gelungen. Charlotte selbst ist mir zu „weichgespült“, sie lässt sich zu viel gefallen, sei es, weil sie um ihre Zukunft fürchtet, sei es, weil sie es für ihre Pflicht, vor allem dem Onkel gegenüber, hält. Da hätte ich mir ein bisschen mehr Renitenz gewünscht, zumindest in ihren Gedanken – immerhin ist sie anders aufgewachsen. Gut gefallen hat mir Lord John Battingfield und vor allem Walter Banning, die zeigen, dass Männer in jener Zeit auch anders sein konnten.
Die Geschichte ist manchmal zu vorhersehbar, man ahnt schnell, wie sich etwas entwickeln wird, hin und wieder schafft es die Autorin zwar mich doch ein bisschen zu überraschen, insgesamt hätte ich mir aber mehr davon gewünscht. So bleibt leider auch die Spannung auf der Strecke. Auf die Auflösung der komplizierten Liebesgeschichte war ich gespannt, diese ist dann aber eher enttäuschend.
Wie bereits erwähnt, lässt mich der Roman etwas zwiegespalten zurück. Geschichte und Charaktere können mich nicht so packen wie in den späteren Romanen der Autorin. Dafür hat sie ihr Debüt mit reichlich Hintergrundinformationen gespickt, die den Roman aufwerten. Ich vergebe daher 3,5 Sterne, die ich aufrunde und ein Leseempfehlung für alle, die sich für das Regency interessieren.