Hurra, wir leben noch (Milva)
Wie stark ist der Mensch, wie stark?
Wie viel Ängste, wie viel Druck kann er ertragen?
Ist er überhaupt so stark, wie er oft glaubt?
Wer kann das sagen?
Hurra, wir leben noch
Was mussten wir nicht alles ...
Wie stark ist der Mensch, wie stark?
Wie viel Ängste, wie viel Druck kann er ertragen?
Ist er überhaupt so stark, wie er oft glaubt?
Wer kann das sagen?
Hurra, wir leben noch
Was mussten wir nicht alles übersteh'n?
Und leben noch
Was ließen wir nicht über uns ergehen?
Der blaue Fleck auf unsrer Seele geht schon wieder weg
Wir leben noch
(Milva)
Es ist nur ein winziger Augenblick, der das Leben von Evelyn Roll von jetzt auf gleich verändert. Ein geplatztes Aneurysma wirft ie aus der Bahn und zwingt sie dazu, ihr Leben noch einmal ganz von vorn zu beginnen. Was einmal klar und deutlich vor ihr gelegen hat, verschwimmt und doch sind da immer wieder Erinnerungsfetzen und Musik, die sie aus den Tiefen zurückholen.
Es ist ein Buch, das unter die Haut geht, weil es so persönlich, so ehrlich und selbstkritisch ist und doch keine Abrechnung mit dem was war, sondern was wahr ist . Eine Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte, die blinde Flecken aufweist und die ein oder andere Frage aufwirft. Es sind Fragen, die die Nachkriegsgeneration von ihren Eltern nie beantwortet bekommen hat und die uns als Enkel:innengeneration noch mehr beschäftigen, da wir oftmals keine Möglichkeit mehr haben uns an diejenigen zu wenden, die Licht ins Dunkel bringen können.
Der Weg zurück ins Leben ist gepflastert mit Träumen, Zerrbildern und jeder Menge Erinnerungen, die sich zunächst nicht eindeutig zuordnen lassen. Immer präsent - die Lieder der jeweiligen Epoche, die es sich als Ohrwürmer bei Evelyn Roll herrlich bequem eingerichtet haben und auch flugs ins Ohr der Leser:innen schlüpfen.
Aber Roll wühlt nicht nur in Erinnerungen und den daraus resultierenden Zusammenhängen, sie befasst sich auch mit der Komplexität unseres Gehirns, das alleine von der Macht des Lassens lebt: Zulassen, loslassen, weglassen. Und genau aus dieser gewagten Kombination entstehen Erinnerungen, formen sich zu neuen Bildern und graben sich ins Gedächtnis.
Während dem Lesen begleitet mich "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgski und unterlegt die Bilder von Rolls Familien-/Geschichte mit den Klängen, die ich schon lange vergessen glaubte. Das Buch liest sich wie eine Familienaufstellung, klärt Beziehungen und Unstimmigkeiten, erzählt von inniger Liebe und ist vor allen Dingen eines: der Neustart in ein Leben, das sich auf das Wesentliche reduziert, weil für alles andere eben kleinen Platz mehr ist.