19,90
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inkl. MwSt
- Verlag: Edition Virgines
- Themenbereich: Belletristik
- Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
- Seitenzahl: 234
- Ersterscheinung: 17.07.2021
- ISBN: 9783948229290
Aphoristisches Schreiben
Leitfaden mit kreativen Übungen
Zygmunt Januszewski (Illustrator), Pol Leurs (Illustrator), Hans-Joachim Uthke (Illustrator)
Wenn es doch nur so leicht wäre, wie es das Motto von Mark Twain vermuten lässt: „Man muss nur die falschen Wörter weglassen.“ Ja, dann bräuchten wir solche theoretischen und praktischen Anleitungen nicht, die uns im Einzelnen darlegen, welches denn „die falschen Wörter“ sind. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen steht eine ganz spezielle Literaturgattung: der Aphorismus. Hier geht es um Kürze, so viel ist schon klar. Bezeichnend ist der „Faden“, der Ausgangspunkt für unseren „Leitfaden“ geworden ist: „Ein Aphorismus ist für eine lange Gedankenkette der kürzeste und schönste Faden.“ In dieser aphoristischen Definition bezieht sich der Autor Carl A. Emge erkennbar auf die weitaus ältere und bekanntere von Marie von Ebner-Eschenbach: „Der Aphorismus ist der letzte Ring einer langen Gedankenkette.“ Nebenbei bemerkt: Wir erkennen schon beim Ein-stieg und noch vor dem ersten Kapitel, dass die Vertreter/innen dieser Gattung einen besonders ausgeprägten Hang zum Definieren haben – ganz im Sinne der griechischen Ursprungsbedeutung des Wortes: abgrenzen, definieren, auf den Punkt bringen. (Als erster Aphoristiker gilt übrigens Hippokrates mit seinen knappen medizini-schen Lehrsätzen.) Was beiden, Ebner-Eschenbach wie Emge, ge-meinsam ist: die Länge des Denkens, die dem vorausgeht, was schließlich sprachliche Form gewinnt, ob beides nun mit einer „Ket-te“ oder einem „Faden“ verbunden ist. Die Kette hat einzelne Ringe (wären das verschiedene Vorentwürfe oder Fassungen?), der Faden führt wie der berühmte mythische rote Faden der Ariadne aus einem Labyrinth von noch unklar Gedachtem heraus.
„Aller Anfang ist schwer.“ (Sprichwort, anonym). „Aller Anfang ist leicht. Schwer hat’s erst der Meister.“ (Aphorismus von Albrecht Fabri). Ob leicht oder schwer: Wir stehen erst am Anfang – das Knäuel unseres Fadens ist noch gar nicht entrollt – und möchten es Ihnen erleichtern, diesen Faden aufzunehmen, indem wir Ihnen auf mögliche Fragen klärende Antworten geben. Was erwartet Sie? In den einzelnen Kapiteln können Sie sich vor allem im spielerisch-kreativen Umgang mit der Sprache erproben. Und jeweils vorher von denen (und über die) etwas lernen, die uns das meisterhaft vorgemacht haben. Konkret gehen wir im Folgenden auf diese vier Fragen ein:
1. Was bedeutet der Begriff des kreativen Schreibens und was hat er mit dem aphoristischen Schreiben tun ?
2. Welche Erfahrungen bringen die Autoren mit?
3. An wen wendet sich der Leitfaden? Welche Ziele verfolgen wir damit?
4. Wie ist das Buch aufgebaut? Wie können die Leser/innen damit umgehen?
1. Was bedeutet der Begriff des kreativen Schreibens und was hat er mit dem aphoris¬tischen Schreiben zu tun?
Der Ausdruck „kreatives Schreiben“ leitet sich von dem englischspra-chigen Begriff „creati¬ve writing“ ab und bezog sich erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf Seminare an amerikanischen Univer-sitäten, in denen neben literaturwissenschaftlichen Kenntnissen auch praktische Schreiberfahrungen vermittelt wurden. Die Intention des amerikanischen Ansatzes war von Anbeginn, zur autobiographi-schen Selbstreflexion und zum professionellen Schreiben anzuleiten. Dazu sind in den USA inzwischen viele Handbücher erschienen. (Ei-nen Überblick vermittelt Barbara Glindemann in ihrer Dissertation „Creative Writing in England, den USA und Deutschland: Kulturelle Hintergründe, literaturwissenschaftlicher Kontext, institutioneller Bezug", 2000.) Auch in Deutschland gibt es seit den 1980er Jahren in wachsendem Maße eine kreative Schreibbewegung, die sich zuse-hends etabliert hat und sich vorzugsweise mit den klassi¬schen Lyrik- und Prosaformen in der Literatur befasst; als weiterer Schwerpunkt hat sich das szenische Schreiben herauskristallisiert. Hier sind vor allem die Universitäten Hildesheim (Studiengang Kreatives Schrei-ben) und Leipzig (Deutsches Literaturinstitut) zu nennen, an denen es eine Ausbildung zur/zum Schriftsteller/in gibt. Kreatives Schreiben be¬zeichnet ganz allgemein Schreibansätze, die darauf fußen, dass Schreiben zwar ein krea¬tiv-sprachlicher Prozess ist, zu dem jede/r Interessierte aber methodisch angeleitet und gefördert werden kann. Grundvoraussetzung ist allerdings ein ausgeprägtes Interesse am spielerischen Umgang mit der Sprache und ihren unterschiedli-chen Ausdrucksformen. Die Sprache ist nicht nur Medium, sondern auch Material.
Die Literatur auf dem Markt für Kreatives Schreiben ist umfangreich und beinah schon un¬übersichtlich geworden. Einen hilfreichen Überblick bietet hier Fritz Gesing in seinem Stan¬dardwerk „Kreativ schreiben – Handwerk und Techniken des Erzählens“ (Neuausgabe 2018). Im Hinblick auf assoziative Methoden sei noch Ga¬briele L. Ricos Buch erwähnt: „Garantiert schreiben lernen. Sprachliche Krea-tivität metho¬disch entwickeln“ (1984). In ihrem Intensivkurs auf der Grundlage der Gehirnforschung steht die Methode des Clustering im Zentrum. (Diese Methode und auch die des Mind-Mapping werden wir im Kapitel 10 vorstellen.)
Im Hinblick auf die Gattung des Aphorismus gibt es demgegenüber kaum Anleitungen, allenfalls hier und da mal einen Aufsatz (siehe Literatur). Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass diese Gattung generell im offiziellen Literaturbetrieb vernachlässigt wird, mit ande-ren Worten „zu kurz kommt“. Eine Kernfrage, die auch Gesing in sei-nem Vorwort (S. 12) stellt, bezieht sich auf die für das Schreiben erforderlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten. Für ihn gilt immer noch, „dass zum Schreiben Talent im Umgang mit der Sprache, Beob-achtungsgabe, Phantasie und Fabulierlust gehören.“ Doch diese Kompetenzen reichen al¬leine noch nicht aus, um etwa einen guten Roman, eine gelungene Kurzgeschichte oder auch einen zündenden Aphorismus zu schreiben. Es bedarf darüber hinaus einer Menge an Basiswissen oder Feldkompetenz, d. h. in unserem Falle: Kompetenz auf dem Gebiet der Aphoristik und nicht zuletzt auch des handwerk-lichen Könnens. Gesing führt den Gedanken¬gang so fort: „Denn Schreiben besteht, wie Umberto Eco und vor ihm schon viele andere betont haben, zu zehn Prozent aus Inspiration und zu neunzig Pro-zent aus Transpiration.“
Von Bedienungsanleitungen und Erfolgsrezepten möchten wir in diesem Lehr- und Lernzusammenhang allerdings nicht reden. Was wir in diesem Buch ver¬mitteln können und wollen, das sind Hinweise und praktische Orientierungshilfen. Denn beim Schreiben, zumal beim literarischen, handelt es sich keineswegs um eine rein mecha-nis¬che Anwendung oder Umsetzung von vorgegebenen und erlern-ten Techniken, son¬dern stets um einen individuellen kreativen Akt. Und der Erfolg des Geschriebenen ist nach wie vor nicht program-mierbar und vorhersagbar. Eine Aussage, die Voltaire zuge¬schrieben wird, ist jedoch immer noch gültig: „Jede Art von Literatur ist erlaubt, außer der langweiligen.“
2. Welche Erfahrungen bringen die Autoren mit?
Die beiden Autoren beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten intensiv mit der Gattung des Aphorismus, sowohl in Theorie als auch in Pra-xis. Sie haben, bei je eigenen Schwerpunkten, diverse Arbeiten über den Aphorismus und Aphoristiker/innen verfasst und selber Apho-rismen veröffentlicht. Sie haben schon mehrfach Schreibseminare für un¬terschiedliche Zielgruppen durchgeführt: Schüler/innen, Studie-rende, literaturinter¬essierte Teilnehmer/innen im Rahmen der Er-wachsenenbildung, Autoren/Autorinnen. Sie sind beide im Vor¬stand des Deutschen Aphorismus-Archivs (www.dapha.de) tätig und ha-ben in dieser Funk¬tion Tagungen, Schreib-Wettbewerbe und Lesun-gen durchgeführt und die kurze Gattung darüber hinaus in jeder Weise zu fördern gesucht, das Akquirieren von öffentlichen Mitteln für ihre Literaturprojekte eingeschlossen.
3. An wen wendet sich der Leitfaden? Welche Ziele verfolgen wir damit?
Kurz gefasst: Er wendet sich an Aphoristiker/innen im Anfangsstadi-um und darüber hinaus an alle, die Freude am kreativen Umgang mit Sprache haben.
Eines der Hauptziele dieses Lehrgangs besteht ganz allgemein in der Förderung der sprachlichen Kreativität. Es geht aber auch ganz konk-ret um handwerkliche und operatio¬nale Lernziele wie: Kennenlernen der Bestimmungsmerkmale des Aphorismus: Was zeichnet einen Aphorismus aus? Und was unterscheidet ihn somit von anderen lite-rarischen Kurzformen? Dazu zählt auch die Kenntnis der grundle-genden sprachlichen Ausdrucksmittel, zum Beispiel rhetorischer Stilfiguren, die vorzugsweise im Aphorismus Anwendung fin¬den. Gibt es „Muster“ innerhalb der Gattung, die man kennenlernen und nachahmen kann, ehe man sie kreativ abwandelt und ‚übersteigt‘? Wie kann man sich in dem ‚doppelten Blick auf die Sprache‘ üben, d. h. neben ihrer Mitteilungs- und Darstellungsfunktion, ihrer Referenz also, immer auch ihre poetische Funktion und ihren Klangkörper im Blick (und im Ohr!) haben? Statt in sprachtheoretische Höhen abzu-heben, nur zwei Beispiele: „Er las immer Agamemnon statt ‚ange-nommen‘, so sehr hatte er den Homer gelesen.“ (Georg Christoph Lichtenberg); „Nicht alles, was totgeschwiegen wird, lebt.“ (Karl Kraus) Lichtenberg geht vom Klangkörper des Wortes aus, um einen hoffnungslosen Altphilologen zu ironisieren. Kraus belebt eine Re-densart, die wir gedankenlos benutzen, neu, oder legt einer ver-blassten Metapher Rouge auf. Er nimmt also die poetische Funktion der Sprache ernst.
4. Wie ist das Buch aufgebaut? Wie können die Leser/innen damit umgehen?
Die Lektionen unseres Leitfadens entfalten sich vom Leichteren hin zu Schwierigerem, sind also im Sinne einer Progression aufgebaut und außerdem in eine Grundstufe und eine Aufbaustufe gegliedert; dabei hängt die Einschätzung von den Vorkenntnissen und vom je-weiligen individuel¬len Lernstand ab. Das kann im Einzelnen bedeu-ten, dass im literarischen Schreiben Fortgeschrittene das eine oder andere der Eingangskapitel überspringen können. In jedem Falle ist im Durchgang durch die verschiedenen Lernangebote die Selbsttätig-keit der Nutzer/innen gefordert. Sie bestimmen selbst, an welchen Stationen sie einsteigen und welche sie auslassen können.
In den einzelnen Kapiteln finden sich in der Regel unter der Rubrik „ A Wissenswertes vorab“ grundlegende Informationen auch literatur-theoretischer Art zum jeweiligen Themenbereich. Es folgen unter B kreative Denk- und Schreibaufgaben. Die Lösungen dazu stehen am Ende des Kapitels hinter den Literaturangaben. In besonderem Maße tragen die jeweiligen Schreibübungen gewinnbringend zur Förde-rung der eigenen aphoristischen Kompetenzen bei. Halten wir es mit Lichtenberg: „Alles gelernt, nicht um es zu zeigen, sondern um es zu nutzen.“
Zum Einstieg eine erste Übung:
Welcher dieser drei Aphorismen gefällt ihnen am besten? Nennen Sie Gründe dafür!
Überzeugungen sind der Wahrheit gefährlicher als Lügen. (Friedrich Nietzsche)
Alles wird teurer, nur die Ausreden werden immer billiger. (Hans-Joachim Rauschenbach)
Jemanden vergessen wollen heißt an ihn denken.
(Jean de la Bruyère)
„Aller Anfang ist schwer.“ (Sprichwort, anonym). „Aller Anfang ist leicht. Schwer hat’s erst der Meister.“ (Aphorismus von Albrecht Fabri). Ob leicht oder schwer: Wir stehen erst am Anfang – das Knäuel unseres Fadens ist noch gar nicht entrollt – und möchten es Ihnen erleichtern, diesen Faden aufzunehmen, indem wir Ihnen auf mögliche Fragen klärende Antworten geben. Was erwartet Sie? In den einzelnen Kapiteln können Sie sich vor allem im spielerisch-kreativen Umgang mit der Sprache erproben. Und jeweils vorher von denen (und über die) etwas lernen, die uns das meisterhaft vorgemacht haben. Konkret gehen wir im Folgenden auf diese vier Fragen ein:
1. Was bedeutet der Begriff des kreativen Schreibens und was hat er mit dem aphoristischen Schreiben tun ?
2. Welche Erfahrungen bringen die Autoren mit?
3. An wen wendet sich der Leitfaden? Welche Ziele verfolgen wir damit?
4. Wie ist das Buch aufgebaut? Wie können die Leser/innen damit umgehen?
1. Was bedeutet der Begriff des kreativen Schreibens und was hat er mit dem aphoris¬tischen Schreiben zu tun?
Der Ausdruck „kreatives Schreiben“ leitet sich von dem englischspra-chigen Begriff „creati¬ve writing“ ab und bezog sich erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf Seminare an amerikanischen Univer-sitäten, in denen neben literaturwissenschaftlichen Kenntnissen auch praktische Schreiberfahrungen vermittelt wurden. Die Intention des amerikanischen Ansatzes war von Anbeginn, zur autobiographi-schen Selbstreflexion und zum professionellen Schreiben anzuleiten. Dazu sind in den USA inzwischen viele Handbücher erschienen. (Ei-nen Überblick vermittelt Barbara Glindemann in ihrer Dissertation „Creative Writing in England, den USA und Deutschland: Kulturelle Hintergründe, literaturwissenschaftlicher Kontext, institutioneller Bezug", 2000.) Auch in Deutschland gibt es seit den 1980er Jahren in wachsendem Maße eine kreative Schreibbewegung, die sich zuse-hends etabliert hat und sich vorzugsweise mit den klassi¬schen Lyrik- und Prosaformen in der Literatur befasst; als weiterer Schwerpunkt hat sich das szenische Schreiben herauskristallisiert. Hier sind vor allem die Universitäten Hildesheim (Studiengang Kreatives Schrei-ben) und Leipzig (Deutsches Literaturinstitut) zu nennen, an denen es eine Ausbildung zur/zum Schriftsteller/in gibt. Kreatives Schreiben be¬zeichnet ganz allgemein Schreibansätze, die darauf fußen, dass Schreiben zwar ein krea¬tiv-sprachlicher Prozess ist, zu dem jede/r Interessierte aber methodisch angeleitet und gefördert werden kann. Grundvoraussetzung ist allerdings ein ausgeprägtes Interesse am spielerischen Umgang mit der Sprache und ihren unterschiedli-chen Ausdrucksformen. Die Sprache ist nicht nur Medium, sondern auch Material.
Die Literatur auf dem Markt für Kreatives Schreiben ist umfangreich und beinah schon un¬übersichtlich geworden. Einen hilfreichen Überblick bietet hier Fritz Gesing in seinem Stan¬dardwerk „Kreativ schreiben – Handwerk und Techniken des Erzählens“ (Neuausgabe 2018). Im Hinblick auf assoziative Methoden sei noch Ga¬briele L. Ricos Buch erwähnt: „Garantiert schreiben lernen. Sprachliche Krea-tivität metho¬disch entwickeln“ (1984). In ihrem Intensivkurs auf der Grundlage der Gehirnforschung steht die Methode des Clustering im Zentrum. (Diese Methode und auch die des Mind-Mapping werden wir im Kapitel 10 vorstellen.)
Im Hinblick auf die Gattung des Aphorismus gibt es demgegenüber kaum Anleitungen, allenfalls hier und da mal einen Aufsatz (siehe Literatur). Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass diese Gattung generell im offiziellen Literaturbetrieb vernachlässigt wird, mit ande-ren Worten „zu kurz kommt“. Eine Kernfrage, die auch Gesing in sei-nem Vorwort (S. 12) stellt, bezieht sich auf die für das Schreiben erforderlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten. Für ihn gilt immer noch, „dass zum Schreiben Talent im Umgang mit der Sprache, Beob-achtungsgabe, Phantasie und Fabulierlust gehören.“ Doch diese Kompetenzen reichen al¬leine noch nicht aus, um etwa einen guten Roman, eine gelungene Kurzgeschichte oder auch einen zündenden Aphorismus zu schreiben. Es bedarf darüber hinaus einer Menge an Basiswissen oder Feldkompetenz, d. h. in unserem Falle: Kompetenz auf dem Gebiet der Aphoristik und nicht zuletzt auch des handwerk-lichen Könnens. Gesing führt den Gedanken¬gang so fort: „Denn Schreiben besteht, wie Umberto Eco und vor ihm schon viele andere betont haben, zu zehn Prozent aus Inspiration und zu neunzig Pro-zent aus Transpiration.“
Von Bedienungsanleitungen und Erfolgsrezepten möchten wir in diesem Lehr- und Lernzusammenhang allerdings nicht reden. Was wir in diesem Buch ver¬mitteln können und wollen, das sind Hinweise und praktische Orientierungshilfen. Denn beim Schreiben, zumal beim literarischen, handelt es sich keineswegs um eine rein mecha-nis¬che Anwendung oder Umsetzung von vorgegebenen und erlern-ten Techniken, son¬dern stets um einen individuellen kreativen Akt. Und der Erfolg des Geschriebenen ist nach wie vor nicht program-mierbar und vorhersagbar. Eine Aussage, die Voltaire zuge¬schrieben wird, ist jedoch immer noch gültig: „Jede Art von Literatur ist erlaubt, außer der langweiligen.“
2. Welche Erfahrungen bringen die Autoren mit?
Die beiden Autoren beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten intensiv mit der Gattung des Aphorismus, sowohl in Theorie als auch in Pra-xis. Sie haben, bei je eigenen Schwerpunkten, diverse Arbeiten über den Aphorismus und Aphoristiker/innen verfasst und selber Apho-rismen veröffentlicht. Sie haben schon mehrfach Schreibseminare für un¬terschiedliche Zielgruppen durchgeführt: Schüler/innen, Studie-rende, literaturinter¬essierte Teilnehmer/innen im Rahmen der Er-wachsenenbildung, Autoren/Autorinnen. Sie sind beide im Vor¬stand des Deutschen Aphorismus-Archivs (www.dapha.de) tätig und ha-ben in dieser Funk¬tion Tagungen, Schreib-Wettbewerbe und Lesun-gen durchgeführt und die kurze Gattung darüber hinaus in jeder Weise zu fördern gesucht, das Akquirieren von öffentlichen Mitteln für ihre Literaturprojekte eingeschlossen.
3. An wen wendet sich der Leitfaden? Welche Ziele verfolgen wir damit?
Kurz gefasst: Er wendet sich an Aphoristiker/innen im Anfangsstadi-um und darüber hinaus an alle, die Freude am kreativen Umgang mit Sprache haben.
Eines der Hauptziele dieses Lehrgangs besteht ganz allgemein in der Förderung der sprachlichen Kreativität. Es geht aber auch ganz konk-ret um handwerkliche und operatio¬nale Lernziele wie: Kennenlernen der Bestimmungsmerkmale des Aphorismus: Was zeichnet einen Aphorismus aus? Und was unterscheidet ihn somit von anderen lite-rarischen Kurzformen? Dazu zählt auch die Kenntnis der grundle-genden sprachlichen Ausdrucksmittel, zum Beispiel rhetorischer Stilfiguren, die vorzugsweise im Aphorismus Anwendung fin¬den. Gibt es „Muster“ innerhalb der Gattung, die man kennenlernen und nachahmen kann, ehe man sie kreativ abwandelt und ‚übersteigt‘? Wie kann man sich in dem ‚doppelten Blick auf die Sprache‘ üben, d. h. neben ihrer Mitteilungs- und Darstellungsfunktion, ihrer Referenz also, immer auch ihre poetische Funktion und ihren Klangkörper im Blick (und im Ohr!) haben? Statt in sprachtheoretische Höhen abzu-heben, nur zwei Beispiele: „Er las immer Agamemnon statt ‚ange-nommen‘, so sehr hatte er den Homer gelesen.“ (Georg Christoph Lichtenberg); „Nicht alles, was totgeschwiegen wird, lebt.“ (Karl Kraus) Lichtenberg geht vom Klangkörper des Wortes aus, um einen hoffnungslosen Altphilologen zu ironisieren. Kraus belebt eine Re-densart, die wir gedankenlos benutzen, neu, oder legt einer ver-blassten Metapher Rouge auf. Er nimmt also die poetische Funktion der Sprache ernst.
4. Wie ist das Buch aufgebaut? Wie können die Leser/innen damit umgehen?
Die Lektionen unseres Leitfadens entfalten sich vom Leichteren hin zu Schwierigerem, sind also im Sinne einer Progression aufgebaut und außerdem in eine Grundstufe und eine Aufbaustufe gegliedert; dabei hängt die Einschätzung von den Vorkenntnissen und vom je-weiligen individuel¬len Lernstand ab. Das kann im Einzelnen bedeu-ten, dass im literarischen Schreiben Fortgeschrittene das eine oder andere der Eingangskapitel überspringen können. In jedem Falle ist im Durchgang durch die verschiedenen Lernangebote die Selbsttätig-keit der Nutzer/innen gefordert. Sie bestimmen selbst, an welchen Stationen sie einsteigen und welche sie auslassen können.
In den einzelnen Kapiteln finden sich in der Regel unter der Rubrik „ A Wissenswertes vorab“ grundlegende Informationen auch literatur-theoretischer Art zum jeweiligen Themenbereich. Es folgen unter B kreative Denk- und Schreibaufgaben. Die Lösungen dazu stehen am Ende des Kapitels hinter den Literaturangaben. In besonderem Maße tragen die jeweiligen Schreibübungen gewinnbringend zur Förde-rung der eigenen aphoristischen Kompetenzen bei. Halten wir es mit Lichtenberg: „Alles gelernt, nicht um es zu zeigen, sondern um es zu nutzen.“
Zum Einstieg eine erste Übung:
Welcher dieser drei Aphorismen gefällt ihnen am besten? Nennen Sie Gründe dafür!
Überzeugungen sind der Wahrheit gefährlicher als Lügen. (Friedrich Nietzsche)
Alles wird teurer, nur die Ausreden werden immer billiger. (Hans-Joachim Rauschenbach)
Jemanden vergessen wollen heißt an ihn denken.
(Jean de la Bruyère)
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