Cover-Bild Tumult
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10,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Suhrkamp
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 286
  • Ersterscheinung: 07.11.2015
  • ISBN: 9783518466360
Hans Magnus Enzensberger

Tumult

Wie konnte in tausend Tagen so viel passieren?

Wer sich nach einem halben Jahrhundert wiederbegegnet, muss auf Überraschungen gefasst sein. Hans Magnus Enzensberger hat sich auf dieses Abenteuer eingelassen: Ein zufälliger Kellerfund gab den Anlass für eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

1963 führt den Autor eine erste Reise nach Russland, und unverhofft wird er zum Gast auf Chruschtschows Datscha in Gagra. Das Ergebnis ist ein genaues Porträt des Mannes und der sowjetischen »Tauwetter«-Politik dieser Zeit. Drei Jahre später durchreist Enzensberger die UdSSR vom äußersten Süden bis nach Sibirien. Auf diesem Parforceritt nehmen die Verwicklungen des »russische Romans«, der konfliktreichen Beziehung zu seiner zweiten, russischen Frau, ihren Anfang. 1968/1969 gerät der Dichter dann in eine Phase des politischen und privaten Tumults. Mitten im Vietnamkrieg folgt er einer Einladung an die Wesleyan University, aber schon nach wenigen Monaten lockt das Kuba der Revolution. Doch sind die Fraktionskämpfe der außerparlamentarischen Opposition in Berlin nicht so weit entfernt, als dass der Dichter nicht auch auf diesem Schauplatz zum Akteur würde ...

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Veröffentlicht am 05.01.2022

Auf der Karbonspur in die Glückseligkeit

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Als Jürgen Habermas (Jg.1929) zum ersten Mal auf Adorno traf (+ Herbert Marcuse?) klärte sich bei Johannes Magnus (Jg.29 HME) so langsam die Zukunft. Der „stramme Max“ (M.F. Jg.1911) hatte in Rom noch ...

Als Jürgen Habermas (Jg.1929) zum ersten Mal auf Adorno traf (+ Herbert Marcuse?) klärte sich bei Johannes Magnus (Jg.29 HME) so langsam die Zukunft. Der „stramme Max“ (M.F. Jg.1911) hatte in Rom noch das Ingeborg-Kapitel vor sich („Siamo scrittori!“) und „Uns Uwe“ (Johnson, nicht Seeler) begegnet in Zehlendorf Peter Suhrkamp. Max sieht ihn (Uwe) bald als „ein(en) Mensch(en) unter dem Überdruck seiner Gewissenhaftigkeit.“ Max hat in den 70er Jahren (Friedenau) „horrende Auflagen“ und sein „Jag“ hat sfr 31.000 gekostet. Bei HME muss Max die Begriffe Schwätzer, Intelligenz und „glaubwürdige Person“ ins Verhältnis setzen. (Berliner Journal, 54) HME ist in Kaufbeuren zur Welt gekommen, wo sie den Eigen-Sinn pflegen und Empathieworte wie „armes Hascherl“ kennen und gebrauchen. (168) Mit 85 erinnert sich HME - „ich bin jetzt uralt“ (231) -, wie es „in den Jahren des Tumults“ zuging, ob er sich „eine Protagonistenrolle“ zuschreiben soll oder bloß „einen Rest von Komplizentum“. (265) Hatten die 68er „komfortable Karrieren“ gemacht? „Die meisten brachten es nur (!) zu einer Beamtentätigkeit als Lehrer oder Professoren, unkündbar und pensionsberechtigt.“ (264) Für HME war das keine Option: „Die Universität war nie mein Terrain. Dort hatte ich nichts zu suchen.“ (203) Die „akademische Welt kennt kein Erbarmen mit den Versagern.“ (273) Er findet, dass Reinhard Lettau und Rudi Dutschke sehr deutsch sind, bei Rudi fehle sogar die Ambition, Karriere zu machen, und Herbert Marcuse sei zum Sterben nach Starnberg gepilgert. (153, 258, 277) HME kann offenbar ganz gut mit Geld umgehen und sich und seinen Angehörigen Unterkünfte mieten oder kaufen (276 u.ö.): „Einsam war ich nicht gerade. Ich kannte ja hundert Leute in Berlin.“ (123) Im freiwilligen Exil am Oslofjord hört er, dass es im „Gebälk der Republik“ knistert, lässt sich von Uwe Johnson (Stierstraße) beim Hauskauf beraten, bald ist auch Max Frisch da (Sarazzinstraße), Günter sowieso - Friedenau wird zum bürgerlichen Epizentrum eines kleinbürgerlichen Vulkanausbruchs. (97) „Ich war 38, als das alles anfing. (…) Was mir aber gefiel, war die Erschütterung der deutschen Ordnung.“ (203) Und „berühmt waren wir damals alle.“ (213) „Man muss so wie er (= K. Marx) vorgehen und alle (!) Vorgänger rücksichtslos (!) demontieren.“ (223) Altersmäßig am nächsten stand ihm noch Ulrike Meinhof (Jg.1934), „eine berühmte und angriffslustige Journalistin. (…) Sie war einsam, eine Nonne ohne Abt. Sie tat mir leid. Wenn sie die Brille abnahm, sah sie wehrlos aus.“ (228) Ensslin und Baader stehen im Mai 1970 nach einer small Raushole spontan bei Johannes aus Kaufbeuren auf der Friedenauer Matte, wo ihnen der Hausherr aber den Unterschlupf ausredet. „Ich schließe aus dieser Episode, dass die RAF aus Versehen entstanden ist.“ (229) Ulrike bestellt ihn in Hamburg immerhin nochmal ein, auch Gudrun ist anwesend - und bewaffnet. „Chef dieser Gespensterarmee war der abscheuliche Andreas Baader.“ (230) Da glänzte man am besten durch Abwesenheit, denn „das Unbeteiligte altert nicht.“ (232) Dafür musste man aber um den Globus jetten, als hätte das Zeitalter der Globalisierung schon angefangen: „Ich war auf zu vielen Flughäfen im Nirgendwo.“ (150) Und auch ohne Internet hatten die Bilder schon ein Eigenleben: Sie „springen zwischen Raum und Zeit hin und her.“ (110) Den Umgang mit Frauen kann man hier wohl aussparen, das wäre noch ein eigenes Thema. Bei HME behalten sie ihre Würde und werden zu Selbständigkeit und Selbstbestimmung aufgefordert, was leider einschließt, dass HME große Mengen von Librium oder Triptizol auf dem Nachttisch nicht richtig zuordnen kann. (113) Er ist gedanklich ja fast immer woanders. Bei einer Scheidung vertritt ihn schließlich Horst Mahler: Johannes aus Kaufbeuren ist eben sehr viel auf Reisen (Neruda habe ich in Moskau getroffen, 209) und sitzt eben sehr oft am Schreibtisch (270). Einer Andalusierin müsse man keine Nachhilfe in Klimaxkunde geben und eine Brasilianerin - „halb Französin, ohne Beruf“ - „ist in der Liebe tierhaft stark, aber ohne eine Spur von Zärtlichkeit.“ (251) Gegen Ende von „Tumult“ kann ihn Imre Kertesz bei der Einordnung des Gesehenen und Miterlebten unterstützen: Meine Reise um die Welt war „sinnlos, anstrengend, aber schön.“ (238) Das Personenregister umfasst sieben Seiten und führt 300 - 400 Namen auf; Wilhelm Busch, Eric Hobsbawm oder The Rolling Stones dürfen nicht fehlen. In einem Gedicht von 1978 war HME noch kürzer angebunden: „Also was die siebziger Jahre anbetrifft / kann ich mich kurz fassen.“ (Es müsste „kurzfassen“ heißen). Im Flugzeug sitzt eines Tages ein Handwerker neben ihm und trinkt „sein drittes Bier.“ (257) „Es stellt sich heraus, dass er ein Sohn Ernst Jüngers ist.“ Small world?
Michael Karl

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Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Lebensabschnitts-Biographie

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Hans Magnus Enzensberger, einer der wichtigsten und weltweit bekanntesten deutschen Intellektuellen, findet im Keller alte Dokumente und beginnt, sich mit der Vergangenheit auseinaderzusetzen. Entstanden ...

Hans Magnus Enzensberger, einer der wichtigsten und weltweit bekanntesten deutschen Intellektuellen, findet im Keller alte Dokumente und beginnt, sich mit der Vergangenheit auseinaderzusetzen. Entstanden ist dadurch eine Lebensabschnitts-Biographie der 60er und 70er-Jahre. Hier erlebt Enzensberger einiges, er ist bei Chruschtschow in Russland, erlebt live die Cuba-Revolution, lernt seine russische Frau Mascha kennen und kennt auch sonst viele wichtige Menschen...

Wer sich für Politik und Weltgeschehen der 60er- und 70er- Jahre interessiert, wird hier ganz auf seine Kosten kommen, denn Enzensberger hat alles miterlebt und reflektiert vieles davon, auch sehr selbstkritisch. Der Erzählstil ist manchmal etwas langweilig, dann wieder spannend zu lesen, Biographie eben...Gespickt ist der Text mit Gedichten, die er zur entsprechenden Zeit und zum entsprechenden Thema verfasste, hauptsächlich beruht der Text aber auf alten Tagebuchaufschrieben.

Was mich gestört hat, vielleicht auch etwas belustigt und ungläubig, ist dass Enzensberger scheinbar überll seine Finger im Spiel hatte und alle Menschen kannte. Ein bisschen hat es mich an "Der Hundertjährige der aus dem Fenster stieg und verschwand" erinnert. Auf mich wirkte das etwas unauthentisch...

Zusammenfassend ein wichtiger Text der deutschen intellektuellen Kulturlandschaft, für Politikinteressierte und Zeitgeschehens-Interessierte sicherlich spannend und lesenswert.